Blaulichtmilieu. Stefan Mühlfried
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Читать онлайн книгу Blaulichtmilieu - Stefan Mühlfried страница 6
»Dass sie in dem Koffer war.«
»Ja, das glaube ich auch. Aber was hat es mit diesem Streit auf sich?«
»Meine Vermutung: Einer der beiden war der Bombenleger, und der andere wollte ihn stoppen.«
»Oder beide dachten, der Koffer gehöre ihnen.«
»Ausgerechnet der mit einer Bombe drin?«
Harald zuckte die Schultern. »Schon Pech irgendwie.«
»Wissen wir, wer der türkische Mann war?«
»Noch nicht. Es scheint aber keinen Verletzten zu geben, auf den die Beschreibung passt.«
»Also tot?«
»Schauen wir mal.«
Sie gingen zur Leichensammelstelle. Harald deutete auf einen Leichnam. »Der da könnte es sein.«
Der Tote hatte offensichtlich die volle Wucht der Explosion abbekommen. Vom Gesicht war nicht mehr viel übrig, ebenso wie vom Rest der vorderen Körperseite. Harald reichte Marie ein Paar Einmalhandschuhe. Sie seufzte, zog sie an und durchsuchte die Taschen des Toten – oder was davon übrig war.
In der Brusttasche des Jacketts wurde sie fündig. Mit spitzen Fingern holte sie eine schwer beschädigte, blutige Brieftasche hervor. Sie klappte sie auf. »Hier ist ein Personalausweis.«
»Türkisch?«
»Deutsch. Ibrahim … Den Rest kann ich nicht lesen. Geboren 57.«
»Kannst du die Ausweisnummer entziffern?«
Marie nickte und las sie vor.
Harald schrieb sie auf, zog sein Mobiltelefon heraus und wählte eine Nummer. »KHK Grossmann, LKA 41«, sagte er. »Ich habe hier eine Perso-Nummer, dazu bräuchte ich Name, Anschrift, Strafregister. Ja, kann losgehen.« Er schrieb, bedankte sich und legte auf.
»Ibrahim Kabaoglu«, sagte er. »Wohnt in Wilhelmsburg. Verheiratet, ein Sohn, eine Tochter. Keine Einträge.«
Marie sah auf den Toten hinunter und runzelte die Stirn. »Glaubst du, ein unbescholtener Familienvater wird auf einmal zum Bombenleger?«
»Bist du jetzt nicht ein bisschen voreilig?«
»Hast du mich nicht nach meinen Instinkten gefragt?«
Harald schüttelte langsam den Kopf. »Ist das Instinkt oder Vorurteil?«
Marie seufzte. »Ich weiß es nicht. Aber wir werden diese Frage sehr schnell beantworten müssen. Dir ist klar, was morgen in der Bild-Zeitung stehen wird, oder?«
»Die ›Bild‹ interessiert mich nicht. Was mich interessiert, ist –«
Marie hob den Arm und winkte. »He, hierher!«, rief sie und lief los.
Harald Grossmann seufzte.
Marie stoppte die drei Männer in orangen Overalls, die mit einer Trage und Notfalltaschen beladen durch eine der rückwärtigen Türen in die Halle traten und sich suchend umblickten.
Sie zeigte ihren Dienstausweis. »Schwartz, Kriminalpolizei. Die leitende Notärztin hat uns gebeten, Ihnen einen Patienten mit hoher Priorität zu übergeben.«
Der Notarzt – ein älteres Semester mit gepflegtem grauem Bart – sah sie über den Rand seiner Nickelbrille prüfend an. »Machen Sie neuerdings Botengänge für die Notärzte?«
»Nur ausnahmsweise. Es ist wirklich dringend.«
Er nickte knapp. »Zeigen Sie mal.«
Gemeinsam liefen sie zu Boskop. »Der da«, sagte Marie.
»Provisorisch drainierter Spannungspneu, Verdacht auf Milzriss«, brüllte jemand über den Lärm hinweg. Es war Tim, der neben einem anderen Patienten aufgestanden war und auf Boskop deutete. Die Finger seines Latexhandschuhs waren blutrot. »Dormicum und Ketanest sind drin. Schnappt ihn euch und gebt Gas, dann hat er noch eine Chance!«
Mit geübten Bewegungen untersuchte der Notarzt den Mann, dann nickte er seinen Kollegen zu. »Er hat recht. Das muss jetzt schnell gehen. Pit, lauf los und bereite den Start vor.«
Der Hubschrauberpilot nickte knapp. »Anmeldung in der Unfallklinik Boberg?«, fragte er.
»Ja. 20 bis 30 Prozent Verbrennungen zweiten und dritten Grades und Polytrauma.«
Der Pilot eilte davon. Der Arzt tauschte die leere Infusion gegen einen frischen Beutel und hob den Patienten gemeinsam mit seinem Sani auf die Trage. »Vier Mann, vier Ecken. Rollen geht hier nicht«, sagte er.
Marie und Harald packten mit an, und zu viert trugen sie den Patienten, so schnell es ging, über die Trümmer zu einem Durchgang in der Rückwand der Halle. Kaum hatten sie ihn passiert, war es, als träten sie in eine andere Welt: glänzender Steinfußboden, verglaste Wartezonen, schicke Boutiquen. Und Stille. Nichts deutete darauf hin, dass keine 50 Meter weiter die Hölle losgebrochen war. Abgesehen von den Hubschrauberbesatzungen und Feuerwehrleuten, die an ihnen vorbeihasteten.
»Da vorne die Treppe runter«, sagte der Notfallsanitäter, der am Kopfende neben Harald trug.
Unten befand sich ein weiteres Gate mit einem direkten Zugang zum Vorfeld. Draußen erwartete sie bereits der Pilot, der Marie die Trage abnahm.
Der Doc deutete auf die Infusion, die auf dem Bauch des Patienten lag. »Zusammenpressen«, sagte er. »Ich will, dass die leer ist, wenn wir am Heli sind.«
Marie drückte den Beutel mit beiden Händen zusammen, während sie neben der Trage über das Rollfeld lief. Als sie an dem orangefarbenen Rettungshubschrauber ankamen, schmerzten ihre Finger.
Eine Minute später hoben Marie und Harald die Arme schützend vor das Gesicht, während der Helikopter abhob und der Wind der Rotoren an ihnen zerrte.
Die LNA fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Kommt, lasst es. Hat keinen Zweck.«
Mark drückte noch einige Male auf den Brustkasten des Endzwanzigers vor ihm, warf einen prüfenden Blick auf den EKG-Monitor, der eine schnurgerade Linie zeigte, und richtete sich auf. »Ach, Scheiße!« Er zog die Latexhandschuhe aus und warf sie heftig auf den Boden.
»Kann man nichts machen«, sagte Tim.
»Sieh an, deine neue Flamme ist wieder da.«
»Was für eine Flamme, bitte schön?«
»Na, die Kriminalzicke mit der engen Jeans.«
»Na ja.«
»Was war das vorhin?«
»Wieso? Was soll gewesen sein?«
»Komm schon. Da läuft doch was.«
Tim sah Marie nach, wie sie mit ihrem Kollegen durch die Trümmer streifte und hin und wieder in