Odenwaldjagd. H. K. Anger
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Odenwaldjagd - H. K. Anger страница 10
Martina Lohse runzelte die Stirn. »Hat diese Kapellenruine nicht diesbezüglich eine Vergangenheit?«
»Was für eine Vergangenheit?« Frajo Helferich schaute seine Kollegin verwundert an.
»Der Ort wird doch für verschiedene religiöse Zwecke genutzt«, erwiderte Martina Lohse. »Das haben mir die Kollegen von der Polizeistation Wald-Michelbach bestätigt.«
»Ganz genau!«, stimmte der Kriminalhauptkommissar seiner Mitarbeiterin zu. »Für Katholiken ist die Kapelle ein Wallfahrtsort. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, wurden die jährlichen Wallfahrten um 1980 wieder aufgenommen. Am Sonntag nach Mariä Himmelfahrt pilgern die Gläubigen mit der Muttergottesstatue dorthin, die ansonsten in der Kapelle von Unter-Abtsteinach untergebracht ist. Aber viele suchen die Kappellenruine auch zwischendurch für ein Gebet auf.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie beabsichtigen, sämtliche Gläubige aus der Region unter die Lupe zu nehmen?«, stöhnte Doktor Wölfelschneider auf. »Ich bitte Sie! Überlegen Sie mal, was für eine Außenwirkung das hätte! Die Schlagzeilen in der lokalen Presse mag ich mir gar nicht ausmalen.«
»Wir machen das, was nötig sein wird, um den Fall aufzuklären«, presste Gunter Haase zwischen schmalen Lippen hervor.
Martina Lohse blickte von ihrem Handy auf. »Ich habe schnell gegoogelt. Um Sankt Maria in Lichtenklingen ranken sich verschiedene Mythen und Legenden. Angeblich soll dort ein Schatz aus dem Dreißigjährigen Krieg vergraben sein, den ein großer schwarzer Hund bewacht.«
Frajo Helferich seufzte. »Leider habe ich davon heute nichts gesehen. Weder vom Hund noch vom Schatz. Sonst säße ich wahrscheinlich nicht mehr hier.« Sehnsüchtig schaute der Kommissar aus dem Fenster, wo die Frühlingssonne strahlte.
Martina Lohse grinste. »Wer was findet, muss teilen!« Dann wurde sie wieder ernst. »Angeblich treibt in Lichtenklingen auch eine weiße Frau ihr Unwesen. Die erblickte einst der Förster, der als Einziger in dem neben der Kapelle errichteten Forsthaus verblieben war. Die weiße Frau war Teil einer nächtlichen Prozession von Frauen, die sich singend an den Wänden der Kapelle entlangbewegte. Der Förster griff nach seinem Gewehr und legte auf die mystischen Gestalten an. Aber sein Arm versagte ihm den Dienst und blieb danach steif.«
»Genau das sollte allen Jägern passieren«, murmelte Timo Keil leise vor sich hin. »Dann müssten weniger unschuldige Tier sterben.«
»Timo!« Gunter Haase rügte den jungen Kollegen mit einem strengen Blick.
Frajo Helferich wandte sich an Martina Lohse. »Meinst du, dass der Täter von der Sage wusste und die Tote diese weiße Frau darstellen soll?«
»Damit wäre der Täter in Jägerkreisen zu vermuten«, warf Doktor Kuno Wölfelschneider ein. »Hören Sie sich dort einmal um! Möglichst schnell.«
»Das werden wir machen«, versprach Gunter Haase. »Aber wir sollten eher nachfragen, ob jemandem von der Jägerschaft oder den Förstern etwas in der Gegend um Lichtenklingen aufgefallen ist. Ein Pkw, der dort im Forst nichts zu suchen hat, ein früher Wanderer oder Jogger. Wenn wir Glück haben, hat jemand die Frau vor ihrem Tod gesehen.«
Martina Lohse tippte nochmals auf ihrem Handy herum. »Hier steht auch, dass der Ort schon in vorchristlicher Zeit als Quellenheiligtum verehrt wurde. Deshalb wird Lichtenklingen neben den katholischen Wallfahrern auch von neuheidnischen Gruppen als Kraftort oder magischer Ort genutzt. Der Brunnen unterhalb ist, wie ihr vielleicht bemerkt habt, mit eindeutig heidnischen Symbolen geschmückt. Dem Wasser wird laut Google eine heilende Wirkung zugesprochen.«
Frajo Helferich zog die Luft zwischen den Zähnen ein. »Also ist an meiner Vermutung doch was dran! Könnte es nicht sein, dass die Frau irgendwelchen Göttern, an die so kranke Typen glauben, geopfert wurde? Dass wir es nicht mit einem Einzeltäter, sondern mit einer ganzen Gruppe zu tun haben?«
»War gestern nicht Frühlingsanfang?«, meinte Timo Keil.
»Ein Frühlingsopfer, das dem Frühlingsgott dargebracht wird?« Gunter Haase drehte den Boardmarker nervös zwischen den Fingern. »Wie bei Igor Strawinskys ›Le sacre du printemps‹, wo nach der Anbetung der Erde eine Jungfrau ausgewählt wird, die dem Frühlingsgott geopfert werden soll?«
»Für eine Jungfrau im klassischen Sinn war die Tote zu alt«, wandte Martina Lohse ein.
»Sind hier in der Region denn neuheidnische Gruppierungen, zu Gewalt neigende Esoteriker, Hexen, Druiden oder Magiker unterwegs?«, wollte Frajo Helferich wissen.
»Ich kann mich an keine Vorfälle in den letzten Jahren erinnern«, erwiderte Gunter Haase. »Aber hör dich doch mal bei den Polizeistationen um, ob den Kollegen vor Ort etwas aufgefallen ist! Ich werde diesbezüglich beim Verfassungsschutz anklopfen.«
Beim Wort »Verfassungsschutz« zuckte Doktor Wölfelschneider zusammen. Er richtete seinen Blick auf das linke Handgelenk, wo seit Weihnachten eine sündhaft teure Bremont-Fliegeruhr prangte, stand auf und rückte das Tweedjackett zurecht. »Nun, Sie wissen, was zu tun ist. Wir sehen uns Montagfrüh um acht in meinem Büro. Dann möchte ich erste Erfolge sehen. Meine Dame, meine Herren!« Doktor Kuno Wölfelschneider nickte seinen Mitarbeitern zu und war aus dem Besprechungszimmer verschwunden. Ein Hauch von Kent-Rasierseife verblieb in der Luft.
Gunter Haase zog eine Grimasse, als ob ihn plötzlich Zahnschmerzen plagten.
Martina Lohse sprang auf und öffnete eins der Fenster. »Ich brauch frische Luft.«
»Also gut.« Gunter Haase versuchte, sich zu sammeln. »Lasst uns so vorgehen: Frajo, du stellst eine Liste mit allen Förstern, Jägern und Jagdpächtern aus der unmittelbaren Nähe des Tatortes auf und klapperst sie telefonisch ab, ob sie etwas gesehen haben! Falls ja, fahr hin und befrag sie vor Ort!«
Der Kriminalkommissar nickte.
»Timo«, fuhr Gunter Haase fort, »du setzt dich an den Computer und findest heraus, ob es Parallelen zu anderen Fällen in der Region gibt! Nimm dir ruhig die letzten 20 Jahre vor! Ich will nachher eine komplette Zusammenstellung!«
»Wenn’s unbedingt sein muss.« Timo Keil stöhnte theatralisch auf.
Gunter Haase verkniff sich einen Kommentar und berührte Martina Lohse kurz am Arm. »Und wir beide, wir machen jetzt noch einmal einen Ausflug in den Odenwald.«
»Allemal besser, als Wohnzimmer und Küche zu streichen«, erwiderte die Kommissarin grinsend und schnappte sich ihre dunkle, mit Nieten besetzte Lederjacke.
6. Kapitel
Charlie betrat das kleine Büro auf dem der Straße abgewandten Teil des Atzeldoalhofes, das sie sich mit Reiner und in den letzten Wochen vermehrt mit Emelie teilte. Weshalb die alten Plakate mit Abbildungen von Schleppern und Vollerntern Postern der Tierrechtsorganisation PETA hatten weichen müssen. Eins der Poster zeigte den Kopf einer schwarz-weiß gefleckten Holstein-Kuh, von denen es eine 200-köpfige Herde auf dem Atzeldoalhof gab. »Lass mir meine Milch! Trink Pflanzenmilch!«, bat die Kuh mit traurigen Augen. Auf einem zweiten Poster lag ein toter Rehbock ausgestreckt im Gras, was mit der Überschrift »Jagd ist Mord!« kommentiert wurde. Über der Lehne des Schreibtischstuhls hing ein grünes T-Shirt mit dem weißen Aufdruck »Go vegan, safe the world!«. Im Raum roch es nach Schokoladenkeksen, Klebestiften und Pubertätshormonen. Charlie reichte Reiner, der am Computer saß, eine Tasse Kräutertee,