Odenwaldjagd. H. K. Anger

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Odenwaldjagd - H. K. Anger

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aus dem Rucksack hervor und füllte sie mit Quellwasser. »Die leer stehende Försterei und die Kapellenruine haben schon eine eigene Stimmung.«

      »Hast du etwa Angst vor der geheimnisvollen weißen Frau, die hier nachts spuken soll?«, neckte Tina sie.

      Charlie machte einen Satz zur Seite, weil eine Waldameise ihr über den Handrücken krabbelte. Die Wasserflasche, die sie in der Hand hielt, schwappte über und ein Teil des Wassers ergoss sich auf Charlies Hose. »Mist!«, fluchte sie und starrte auf ihr feuchtes Hosenbein. »Die Frau in Weiß lässt mich kalt, aber diese Viecher hier im Wald nicht. Die können ganz gemein stechen!«

      »Beißen«, korrigierte Tina. »Waldameisen beißen.«

      »Klugscheißerin!«, brummte Charlie und verstaute die Wasserflaschen im Rucksack.

      »Wollen wir uns die Ruine anschauen?«, schlug Tina vor.

      »Wenn wir eh schon hier sind«, erwiderte Charlie mit wenig Begeisterung in der Stimme.

      Sie folgte der Freundin, die hinter dem alten Forsthaus an der grau verputzten Hauswand in Richtung der Kapelle lief. Die Mauerreste des vermutlich im 11. Jahrhundert erbauten und nach der Reformation dem Verfall preisgegebenen Marienheiligtums waren dank der Renovierungsarbeiten im frühen 20. Jahrhundert gut erhalten. Der einschiffige rechteckige Sakralbau, der quadratische Chor und die Sakristei ließen erahnen, wie sich die Kapelle vor vielen, vielen Jahren den Gläubigen präsentiert hatte. Von einem mit einem Holzrahmen eingefassten, im Laufe der Jahre verblassten Farbdruck lächelte das Antlitz der Muttergottes auf die beiden Frauen hinunter. An der hoch aufragenden Außenwand des Altarraums hing eine schmale hölzerne Marienfigur. Besucher hatten Kerzen, Windlichter, Engelsfiguren, hübsch geformte Steine und andere Devotionalien in der Fensternische des Altarraums hinterlassen. Der rechteckige Altarstein war mit frischem Birken- und Haselgrün sowie Fichtenzapfen geschmückt. In einem großen Weckglas, das als Vase diente, befand sich ein Blumenarrangement aus weißen Tulpen, Ranunkeln und Schleierkraut. Eine große weiße Blockkerze thronte daneben, war aber in der milden Frühlingsbrise erloschen. Der Fuß des Altarsteins war in weißem Baumwollmusselin eingeschlagen, die Stoffenden waren zu einer Schleife geformt. Weiße Rosenblüten lagen wie große Schneeflocken um den Altarstein verstreut.

      Erst jetzt bemerkte Charlie die weißen Fähnchen, die von den herunterhängenden Ästen der an die Kapellenruine angrenzenden Kiefern und Buchen flatterten. Ein seltsamer Geruch lag in der Luft.

      »Riechst du das auch?«, wollte Charlie von ihrer Freundin wissen und hielt die Stupsnase in die Höhe.

      Tina schnupperte. »Riecht für mich nach Weihrauch. Und vielleicht nach Myrrhe und Sandelholz. So ein archaischer Geruch.«

      »Werden hier noch Gottesdienste abgehalten?«, wunderte sich Charlie.

      »Offiziell nicht«, erwiderte Tina. »Es gibt nur die Muttergottes-Wallfahrt im August, zu der Gläubige von Siedelsbrunn aus hierherpilgern.«

      »Bisschen früh dafür«, meinte Charlie.

      Tina zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich nutzen viele die Kapelle, um ein kurzes Gebet zu sprechen oder um Maria um einen Gefallen zu bitten.«

      »Bitte, bitte auf der Stelle zehn Kilo weniger auf der Waage!« Das konnte sich Charlie nicht verkneifen.

      »Um solche profanen Wünsche kümmert sich Maria nicht«, behauptete Tina.

      Charlie ließ nochmals den Blick über den Altarraum schweifen. Obwohl die Blumen, das viele Schnittgrün, die Kerze und die Fähnchen eine friedliche Stimmung hätten erzeugen sollen, war ihr doch unwohl. Im Wald krächzte ein Kolkrabe. Charlie zuckte zusammen. Kündigte der Vogel weitere Besucher oder Wanderer an? Oder war es eine Warnung? Charlie rückte den mit den schweren Flaschen gefüllten Rucksack in eine bequemere Position und rieb sich die Unterarme, die mit Gänsehaut überzogen waren. »Komm, lass uns gehen!«, bat sie.

      Die beiden Freundinnen schritten am Altarstein vorbei und traten durch die Maueröffnung. Zuerst erblickten sie nur ein Paar nackte Füße mit blutrot lackierten Zehennägeln, die hinter dem Mauerrest hervorlugten. Dann sahen sie die ganze Frau, die lang ausgestreckt in der ehemaligen Sakristei lag.

      »Hallo!«, sagte Charlie leise und kam sich sofort ziemlich dämlich vor.

      Die Frau blieb stumm. Sie trug ein weißes, hoch aufgeschlossenes und bis zum Hals reichendes Kleid, dessen Ärmel und Saum mit feiner Spitze besetzt waren. Die Hände mit den langen grazilen Fingern hielt sie wie zum Gebet gefaltet. Auf ihrer Brust lag eine weiße Rose. Das dunkelbraune, schulterlange Haar war mit einer Blütenkrone aus weißen Kamelien geschmückt. Die Lippen der Frau trugen die gleiche Farbe wie ihre Zehen- und Fingernägel.

      »Lieber Gott!«, presste Charlie zwischen bebenden Lippen hervor.

      »Ist sie tot?«, flüsterte Tina.

      Charlie legte den Rucksack ab, ging in die Hocke und führte die Spitzen von Zeige- und Mittelfinger an die Halsschlagader. Die Haut fühlte sich trocken und kalt an. »Kein Puls mehr«, murmelte sie. An der Kragenspitze bemerkte sie leichte rötliche Verfärbungen. In Charlies Fingern juckte es, den Kragen nach unten zu schieben und nach der Ursache zu suchen. Doch sie wusste, dass sie auf diese Weise wertvolle Spuren zerstören würde. Langsam kam Charlie wieder auf die Beine. Dabei berührte ihr linker Fuß unabsichtlich den Kopf der Toten. Einer der beiden weißen, glatt polierten Kieselsteine, die auf den Augen der Toten lagen, rollte zur Seite und gab den Blick frei auf eine leere Augenhöhle, die sich anklagend zum Himmel richtete. Dort zogen erste Wolken von Westen auf.

      Charlie unterdrückte die aufsteigende Übelkeit, wandte sich von der Toten ab und griff nach dem Handy. Gunter Haase meldete sich beim dritten Klingelton.

      »Tina und ich, wir sind hier in Lichtenklingen gerade über eine weibliche Leiche gestolpert«, informierte Charlie den Hauptkommissar.

      »Das ist jetzt nicht wahr, Bobbelsche?« Gunter Haase wischte sich mit dem Hemdärmel den Schweiß von der Stirn. Vor Charlies Anruf hatte er den 27. Holzpflock in Folge in die steinharte Odenwälder Erde gerammt.

      »Ich befürchte doch«, sagte Charlie. »Am besten, du bringst gleich das ganz große Besteck mit.«

      5. Kapitel

      Mit einem triumphierenden Lächeln steckte Beate Holzapfel den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Haustür. Sie war soeben über sich selbst hinausgewachsen. Für andere Sportler wären die 500 Meter, die ihre ebenerdige Wohnung vom Briefkasten entfernt lag, nicht mehr als ein Fliegenschiss. Beate hatte, für ihre Verhältnisse, soeben einen Halbmarathon hingelegt. Noch immer etwas außer Atem lehnte sie den Carbon-Gehstock gegen die Flurwand und streifte die Jacke ab. Dabei fiel ihr Blick in den Spiegel, der neben der weißen Garderobe hing. Beate verzog den Mund automatisch zu einer Grimasse. Dann atmete sie einmal tief durch und konfrontierte sich nochmals mit ihrem Spiegelbild. Ihre Psychotherapeutin und sie arbeiteten seit mehr als fünf Jahren daran, dass sie ihr neues Ich endlich akzeptierte. Mit ihrem jetzigen Aussehen zurechtkam. Ob es ihr gefiel, spielte dabei keine Rolle. Sie musste lernen, mit dem, was geschehen war, zu leben.

      Beate zog den langen, schräg geschnittenen Pony über die Narbe auf der Stirn. Der dicke Wulst an rotem, wucherndem Fleisch war dank mehrerer Operationen zu einem drei Millimeter breiten weißen Strich geschrumpft. Mit geschickt aufgetragenem Make-up bemerkten Leute, die nichts von ihrem Unfall wussten, den Makel meist überhaupt nicht. Der Rest von ihrem Gesicht – nun, das war eine andere Sache.

      Vor

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