Odenwaldjagd. H. K. Anger

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Odenwaldjagd - H. K. Anger

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paar Wochen später …

      Charlie Knapp hielt die Luft an und zog und zog, bis ihre Wangen rot glühten und sie wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappte.

      »Verflixt noch mal!«

      Der Reißverschluss ihrer Lieblingsjeans klaffte unterhalb des Hosenbundes mehr als einen Zentimeter auseinander. Um den Knopf am Bund zu schließen, müsste sie sich Gewalt antun. Charlie schälte sich aus dem prall sitzenden Kleidungsstück und pfefferte die Hose auf das ungemachte Bett. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Jeans anzuziehen, die sie vor Kurzem, auf dem Rückweg von einem Mandanten, im Rhein-Neckar-Zentrum in Viernheim gekauft hatte. Da hatte sie sich zwar über die Größennummer gewundert, die auf dem Etikett aufgedruckt stand, sich jedoch mit dem Gedanken getröstet, dass Konfektionsgrößen auch nicht mehr das waren, was sie von früher kannte. Wichtig war allein die Passform. Und ob sich die Jeans bequem anfühlte. Die Hose, die zusammengeknüllt auf ihrem Bett lag, war das reinste Folterinstrument. Charlie schlüpfte in die neu gekaufte Jeans, schloss den Reißverschluss und stellte sich vor den Spiegel. Drehte sich zur Seite, um sich im Profil zu betrachten. Instinktiv zog sie den Bauch ein.

      »Das gibt es doch nicht!«, presste sie zwischen den Lippen hervor. Unter dem Pulli zeichnete sich ein nicht zu übersehendes Bäuchlein ab. Das auf dem besten Weg war, sich zu einem ausgewachsenen Bauch zu mausern. Wie konnte das geschehen, fragte sich Charlie und kehrte dem Spiegel den Rücken zu. Dank der Familiengene mütterlicherseits hatte sie es nie geschafft, superschlank zu sein. Sie war eher kompakt, aber von sportlicher Statur. In Hamburg, wo sie die letzten zehn Jahre verbracht hatte, war sie bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Ihren treuen Drahtesel hatte sie vor ihrer Rückkehr in den Odenwald ihrer Freundin Frieda Olsen vermacht. Charlie nutzte für die meisten Wege inzwischen den alten Subaru, der auf dem Atzeldoalhof all denen als Fortbewegungsmittel diente, die einen Führerschein besaßen. Zu Fuß lief Charlie nur, wenn sie morgens und abends die Hühner versorgte und die Pachtpferde auf die Koppel brachte.

      »Ich bin faul geworden!«, musste sich Charlie eingestehen. Und fett, flüsterte eine kleine fiese Stimme in ihrem Inneren. Woran nicht nur der Mangel an körperlicher Betätigung, sondern vor allem Gertie Haases kalorienträchtige Landhausküche schuld war. Gerties Kartoffelsupp mit einem ordentlichen Schuss Sahne, ihr Apfelkuchen und Riwwelkuche mit viel »guter« Butter, ihr Schmorbraten zum Wochenende und der Kochkäse auf selbst gebackenem Sauerteigbrot samt Feierabendbier zum Abendessen hatten ihre Spuren hinterlassen.

      »Das muss sich, das wird sich ändern!«, verkündete Charlie in Richtung des Spiegels. Gestern war Frühlingsanfang, bis zum Sommer blieb also nicht mehr viel Zeit.

      In dem Moment hallte ein Ruf die Treppe zum Obergeschoss hinauf. »Frieschdick iss ferddisch!«

      Aus der gemütlichen Wohnküche mit den hellen Kiefernmöbeln und dem großen runden Esstisch schlug Charlie der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee entgegen.

      »Moije, Bobbelsche!«

      Der freudige Morgengruß ließ Charlie zusammenzucken. »Wie oft hab ich dir schon gesagt: Nenn mich nicht Bobbelsche!«

      Gunter Haase, Gerties ältester Sohn sowie seines Zeichens Kriminalhauptkommissar bei der Regionalen Kriminalinspektion K 11 in Heppenheim, köpfte, von Charlies Ausbruch unbeeindruckt, sein Frühstücksei.

      Reiner Haase, Gunters jüngerer Bruder, zog die hellbraunen Augenbrauen in die Höhe. »Schlecht geschlafen?«

      »Hör mer uff! Dudd dem oarme Mädschen doch de Meglischkeid gäwwe, sisch in aller Ruh hinzuhocke. Sie hodd geschdern werre bis schbäd owends im Biero gschaffd.« Gertie Haase schaute ihre beiden Söhne streng an.

      Theo Sauer, Gunters ehemaliger Fast-Schwiegervater und Dauergast auf dem Atzeldoalhof, klopfte auf den Stuhl an seiner rechten Seite. »Komm zu mir! Hier hast du deine Ruhe!«

      Unter Theos Stuhl lag Willy, der Rauhaardackel, den Charlie im vergangenen Jahr bei dem Mordopfer aus dem Lärmfeuer entdeckt und anschließend adoptiert hatte. Oder war es umgekehrt gewesen?

      Charlie nahm Platz und ließ sich von Gertie dankbar eine Tasse Kaffee einschenken. Der Dackel stupste sie zur Begrüßung mit der feuchten Nase in die Wade.

      »Hast du nichts zu tun?«, fragte Charlie Gunter Haase über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg. »Kein Mörder unterwegs, den du dingfest machen musst?«

      Gunter Haase ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Heute ist Samstag, Bobbelsche. Und was meine Mörder betrifft, die gehen dich, mit Verlaub gesagt, nichts an. Ich bin die Polizei, du nicht.«

      Emelie, Reiner Haases knapp 17-jährige Tochter, prustete los, wodurch ein paar Mohnsamen über den Tisch stoben. »Du bist doch nur sauer, weil Charlie diesen Brandstifter und Mörder aus Zotzenbach eher auf dem Schirm hatte als du. Ohne Charlie hättest du den Typen nie dingfest gemacht!«

      Theo Sauer nickte. »Wo das Mädel recht hat, hat sie recht.«

      Gunter Haase warf seiner Nichte einen strengen Blick zu. »Schon vergessen, dass du bei der ganzen Angelegenheit mit einem Bein im Knast standest?«

      Emelie senkte die haselnussbraunen Augen und schob ein paar Brötchenkrümel auf ihrem Teller herum. »Nein, aber ich bezahl auch dafür!«, murmelte sie. Seit dem Winteranfang half sie jeden Donnerstagnachmittag bei der »Tafel« Bensheim aus.

      »Nun hört doch auf zu streiten!«, bat Reiner Haase. Er war vom morgendlichen Melken erschöpft und hatte sich auf ein ausgiebiges Frühstück im Kreis der Familie gefreut.

      Gertie schob den Weidenkorb mit den frischen Brötchen, Laugenbrezeln und Croissants zu Charlie hinüber. »Die Weck hodd de Gunna kaafd.«

      Charlie schüttelte den Kopf und erhob sich vom Stuhl. Sie eilte zur Küchenspüle und begann, den Hängeschrank darüber zu durchwühlen. »Haben wir irgendwo Knäckebrot?«

      »Gnäggebroud?« Gertie schaute Charlie entsetzt an. »Sou en Gelumps häwwemer heer nedd.«

      »Was spricht gegen ein frisches, ehrlich gebackenes Brötchen?«, wollte Reiner Haase wissen und bestrich eine Brötchenhälfte üppig mit Leberwurst.

      Emelie warf Charlie einen verschmitzten Blick zu. »Biste etwa auf Diät?«

      Charlie spürte, wie ihr eine verräterische Röte in die Wangen stieg. »Natürlich nicht! Ich will nur mal ein bisschen Abwechslung.«

      »Klar doch!« Emelie war anzusehen, dass sie Charlie kein Wort glaubte.

      »Kinner!« Gertie schaute missbilligend in die Frühstücksrunde.

      Charlie kehrte zum Frühstückstisch zurück, griff nach einer Laugenbrezel und biss hinein, ohne sie vorher mit Butter zu bestreichen.

      »Und?« Reiner musterte seine Familie. »Wer hilft mir gleich, die Zäune zu reparieren? Ein Teil der Holzstiggel ist inzwischen so marode, dass der leiseste Windhauch genügt, sie umzukippen. Die müssen wir, bevor ich die Trockensteher auf die Weide an der Straße bringe, unbedingt durch neue ersetzen.«

      Theo rührte konzentriert in seinem Kaffee, den er seit Jahren nur schwarz trank. »Kann sein, dass der Karl-Heinz aus Weinheim nachher bei mir vorbeischaut«, murmelte er.

      Emelie stöhnte theatralisch auf. »Ich muss an meinem Vortrag für Sozialkunde arbeiten. ›Toleranz und soziale Integration als Voraussetzung für ein

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