Odenwaldjagd. H. K. Anger
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Читать онлайн книгу Odenwaldjagd - H. K. Anger страница 8
Beate atmete tief durch und streckte die Zunge heraus. »Hallo, funny face!«
Die Medikamente und die vielen Jahre, in denen sie zum körperlichen Nichtstun verdammt gewesen war, hatten ihre Spuren hinterlassen. Wenn Beate sich auf Fotos von früher sah, erkannte sie sich selbst fast nicht wieder. Nur ihre blauen Augen, die hatten nichts an Strahlkraft eingebüßt. Sie zeugten von Optimismus. Trotz allem. Alle Rückschläge, alle Niederlagen hatten ihren starken Willen nicht brechen können. In Beates Brust steckte das Herz einer Kämpferin. Mit eiserner Disziplin hatte sie sich aus dem Rollstuhl einen Weg in die Freiheit gebahnt. Denn Beate hatte ein Ziel: Sie wollte Rache. Endlich Genugtuung. Um jeden Preis.
»Beeil dich! Das Essen ist gleich fertig!«, rief Jörg aus der Küche. Er stand am Herd und rührte in einem Topf mit Tomatensoße. Die abgegossenen Spaghetti standen bereits in einer abgedeckten Schüssel auf dem Esszimmertisch.
Beate hauchte Jörg einen Kuss auf den Haaransatz im Nacken. Er hatte das Gewicht auf sein gesundes Bein verlagert, weil die neue Unterschenkelprothese drückte. Bis die Prothese richtig saß, war eine Menge Anpassungsarbeit notwendig.
»Es duftet himmlisch«, sagte Beate.
»Setz dich schon mal hin! Ich komme gleich mit der Soße«, erwiderte Jörg und lächelte.
Er besaß die beneidenswerte Gabe, das, was vorher war, nicht mit dem, was nachher kam, zu vergleichen. Er schaute nicht zurück. Jörg hatte sich während ihres gemeinsamen Aufenthaltes in der Rehaklinik in Beate verliebt. Wie sie vor ihrem Unfall, vor den vielen chirurgischen Eingriffen ausgesehen hatte, interessierte ihn nicht. Für ihn zählte nur das Hier und Jetzt. Eine winzige Unachtsamkeit auf dem Weg ins freie Wochenende hatte Jörg gezeigt, wie schnell das Leben vorbei sein konnte. Sein bester Freund Max, der hinter ihm auf der Moto Guzzi saß, hatte den Motorradunfall nicht überlebt. Jörg dagegen hatte »nur« den rechten Unterschenkel samt Fuß eingebüßt. Im Vergleich zu Max’ Schicksal ein, wie Jörg fand, geringer Preis.
Jörg zog den Topf vom Herd und humpelte zum Esstisch.
»Wollen wir morgen eine kleine Wanderung machen?«, schlug Beate vor, während sie ein paar Spaghetti um ihre Gabel wickelte.
Jörg warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Du willst wandern? Ist das nicht ein bisschen früh?«
»Nun ja«, erwiderte Beate, nachdem sie die Spaghetti hinuntergeschluckt hatte. »Wandern ist vielleicht zu viel gesagt. Aber ich muss lernen, mit dem Stock auch in unebenem Gelände klarzukommen.«
»Eins nach dem anderen«, bremste Jörg ihren Übereifer. »Lass uns morgen eine Runde um den Teich im Hermannshof-Garten drehen! Die Ärzte haben dich davor gewarnt, dich zu schnell zu überanstrengen. Oder willst du zurück in den Rollstuhl?«
»Niemals!«, brachte Beate keuchend hervor.
»Siehst du.« Jörg gab etwas geriebenen Parmesan über seine Spaghetti. »Wir gehen morgen in den Park und bewundern die Frühlingsblüher. Der Rest wird sich finden.« Er gab Beate einen liebevollen Nasenstüber. »Und jetzt iss weiter, bevor alles kalt wird!«
Beate tat, als ob sie sich mit Jörgs Vorschlag einverstanden zeigte. Insgeheim überlegte sie jedoch, wie sie so schnell wie möglich in den Odenwald gelangen könnte. Sie musste das Gelände auskundschaften. Und ihre wackligen Beine an das Gehen über Stock und Stein trainieren. Denn Beate wusste: Ohne ihr entschlossenes Handeln würde sich nichts finden oder lösen. Sie musste aktiv werden. Und bleiben.
»Kann mir vielleicht jemand verraten, was das soll?« Kriminalrat Doktor Kuno Wölfelschneider blickte anklagend in die im Besprechungszimmer der Regionalen Kriminalinspektion Heppenheim versammelte Runde.
Kriminalhauptkommissar Gunter Haase unterdrückte nur mit Mühe ein Seufzen. »Es tut mir aufrichtig leid, aber ich habe mir den Samstagnachmittag auch anders vorgestellt«, wagte er einzuwenden. Seine langen Beine steckten noch immer in der mit Erde verschmierten Jeans, die er bei der Holzpflockaktion auf dem Atzeldoalhof getragen hatte. Sein hellgraues T-Shirt war verschwitzt. Aber was hätte er tun sollen? Nach Charlies Anruf blieb keine Zeit, die Klamotten zu wechseln. Da hatten andere Aufgaben Priorität.
Doktor Kuno Wölfelschneider sah dagegen wie aus dem Ei gepellt aus: Statt Freizeitlook trug er einen dreiteiligen Anzug in feinstem schottischen Lovat Tweed. Die dunkelbraun-blauen Dreifachstreifen auf dem in Brauntönen gewebten Tweedstoff waren in Sachen Countrymode für den britischen Gentleman zwar der letzte Schrei, weckten in Gunter Haase jedoch Erinnerungen an einen Motorradurlaub in den schottischen Highlands, in dem es unaufhörlich geregnet hatte. So schlecht wie das Wetter war damals auch die Laune seiner Freundin gewesen; sie hatte ihm anschließend den Laufpass gegeben. Der Gesichtsausdruck des Kriminalrates verhieß ebenfalls nicht Gutes.
»Sie wagen es, mich wegen einer Lappalie von einem Polomatch im Georghof wegzuholen? Mitten im vierten Chukker, als wir gerade in Führung lagen?«, polterte Doktor Wölfelschneider los.
Timo Keil, der vor Eile vergessen hatte, den Fahrradrucksack vom Rücken zu nehmen, warf seinem Vorgesetzten einen anerkennenden Blick zu. »Sie meinen, Sie haben auf einem Polopferd gesessen und mit dem Schläger auf den Ball eingedroschen?«
Doktor Wölfelschneider zog die Tweedweste mit den fünf braunen Hornknöpfen zurecht, die auf seinem Bauchansatz nach oben wanderte. »Natürlich nicht! Ich gehöre zu den Sponsoren des Clubs.«
»Ach so.« Timo Keil wirkte sichtlich enttäuscht.
Gunter Haase verkniff sich trotz des Ernstes der Lage ein Grinsen. Seitdem Inge Wölfelschneider ihren Gatten über Weihnachten und Silvester in ein luxuriöses Landhotel in die Grafschaft Devon entführt hatte, machte der Kriminalrat auf britische High Society. Zum Anzug trug er eine optisch passende Fliege, seine Füße steckten in handgefertigten Oxford Boots. Die Gerüchteküche in der Regionalen Kriminalinspektion kolportierte, dass es dem Kriminalrat nach einem Landhaus im Hochtaunuskreis als Zweitwohnsitz gelüstete. Gunter Haase fragte sich, wann das erste Teegeschirr aus Silber in das Büro des Kriminalrats einziehen würde. Die venezianischen Masken, die bisher dort die Wände verziert hatten, waren seit Kurzem verschwunden.
»Den Mord an einer jungen Frau würde ich nicht gerade als Lappalie bezeichnen«, meldete sich Kriminalkommissarin Martina Lohse zu Wort. In ihrem schwarzen, zu einem kurzen Pixie Cut geschnittenen Haar waren helle Farbspritzer auszumachen. Gunter Haases Telefonanruf hatte sie beim Renovieren erwischt.
»Wieso eine Leiche?« Kriminalrat Wölfelschneider runzelte irritiert die buschigen grauen Augenbrauen.
»Das Bobbelsche, äh, ich meine Frau Knapp, hat bei einer Wanderung im Odenwald eine Tote entdeckt«, bemühte sich Gunter Haase, den Sachverhalt richtigzustellen.
»Schon wieder dieser Odenwald!«, stöhnte