Tod unterm Nierentisch. Alida Leimbach
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Читать онлайн книгу Tod unterm Nierentisch - Alida Leimbach страница 21
»Haben Sie vielen Dank, Frau Zerhusen. Ich brauche Sie gleich mit Ihrem Stenoblock!«
»Selbstverständlich, Herr Conradi!«
»Ach, noch etwas«, rief er ihr hinterher. »Bringen Sie doch den beiden Zeugen auch eine Tasse Kaffee und ein paar Butterkekse, das wäre sehr freundlich von Ihnen!« Sie machte ein überraschtes Gesicht, weil ein solcher Empfang nicht üblich war, aber sie sagte nichts dazu. Johann Conradi war neu im Präsidium und wusste vieles nicht.
Conradi ließ sich die Pässe der beiden Besucher zeigen und wandte sich dann zunächst an Karl Korittke. »Ihre Schwester habe ich ja bereits kennengelernt«, sagte er. Während der junge Mann ein paar unverständliche Worte murmelte, hatte der Kommissar Gelegenheit, ihn zu mustern. Die Unsicherheit, Verklemmtheit und Hemmung der Jugend stand ihm ins Gesicht geschrieben. Der hochaufgeschossene, picklige Junge litt unter Minderwertigkeitskomplexen, das war deutlich zu sehen. Der schwarze, zu klein gewordene Anzug und die kurzgeschorenen Haare betonten diesen Gesamteindruck noch.
»Meine Schwester hat ihn gefunden«, stammelte er. »Ich bin froh, dass ich es nicht war.« Er starrte die Fotowand an. Conradi folgte seinem Blick. Dort hingen die Lichtbilder aus dem Friseursalon, die Conradi am Tatabend gemacht hatte. Karl wandte sich schaudernd ab.
»Ich habe noch nie einen Toten gesehen«, sagte er leise.
»Nicht mal im Krieg?«
»Ich war noch zu jung. Meine Mutter ist froh darüber. Ich weniger. Ich hätte gerne gekämpft.« Er sah zu seiner Mutter hin, die nicht reagierte. Ihr Gesicht war plötzlich wie versteinert.
»Natürlich hat man Sie nicht genommen. Vor neun Jahren waren Sie entschieden zu jung.«
»Eben«, sagte der Junge beleidigt.
»Wie haben Sie den gestrigen Tag erlebt?«, wollte Conradi wissen. Seine Sekretärin erschien mit einem kleinen Tablett, setzte zwei Tassen mit einem ziemlich dünnen Gebräu ab, stellte Kekse hin. Freundlich distanziert lächelte sie, nahm dann mit ihrem Stenoblock hinter den Zeugen Platz und zog ihren gespitzten Bleistift hinter dem Ohr hervor.
»Ich habe gearbeitet«, sagte Karl. »Ich bin zurzeit in der Hotelküche eingesetzt.«
»In welcher?« Conradi gab ein Stück Würfelzucker und Dosenmilch in den Kaffee, verzog aber dennoch das Gesicht, als er den ersten Schluck nahm. Es war Kaffeeersatz.
»Mein Sohn macht eine Lehre im Hotel Hohenzollern«, antwortete Lieselotte Korittke an seiner Stelle.
»Als Koch«, sagte Karl, »aber noch bin ich für alles Mögliche zuständig: die Gäste mit Handwagen vom Bahnhof abholen, das Gepäck aufs Zimmer bringen, die Herrschaften mit Kaffee, Gebäck und Süßigkeiten versorgen, in der Küche helfen, Salat waschen, Gemüse schnippeln, den Köchen zuarbeiten und so weiter. Keine allzu aufregenden Sachen.«
»Du bist immer so ungeduldig«, sagte Lieselotte streng.
»Wann hatten Sie gestern Feierabend?«
»Um 19 Uhr. Ich war ziemlich fertig und habe mich sofort schlafen gelegt.«
»Dann müssten wir uns ja begegnet sein.«
»Ich habe den Kellereingang genommen, weil ich noch eine rauchen wollte.«
»Sie haben sich also nicht sofort schlafen gelegt.«
»Doch, danach schon.«
»Sind Sie noch einmal aufgestanden?«
»Nein, ich habe durchgeschlafen bis zum nächsten Morgen«, versicherte er.
»Das stimmt nicht, Herr Korittke«, entgegnete der Kommissar. »Als ich zum Tatort gerufen wurde, waren Sie nicht da.«
Der Junge suchte Hilfe bei seiner Mutter, aber die sah ihn nicht an.
»Wo sind Sie gewesen?«
»Mein Sohn hat die beiden Kleinen zu Nachbarn gebracht«, antwortete seine Mutter nun an seiner Stelle. »Sie waren sehr aufgewühlt und sollten nicht alles mitbekommen.«
»Als Sie von der Arbeit kamen, müssen Sie die Aufregung mitbekommen haben. Ihr Vater war zu der Zeit bereits tot.«
Karl verneinte und behauptete wiederum, er sei gleich ins Bett gegangen.
»Hat Sie jemand geweckt?«
Hilflos sah Karl erneut zu seiner Mutter.
»Mein Sohn sollte die Kinder fortbringen, weil Bettine dazu nicht in der Lage war. Wir standen alle unter Schock.«
Johann Conradi versuchte, in den Gesichtern der beiden zu lesen. »Sie wohnen noch bei Ihren Eltern oder haben Sie ein Zimmer im Hotel Hohenzollern?«
»Ich wohne bei meinen Eltern, habe aber auch ein Zimmer im Hotel, falls es mal spät wird.«
»Arbeiten Sie mit im Geschäft?«, richtete Conradi das Wort an Lieselotte Korittke.
»Ab und zu kommt es vor, dass ich an der Anmeldung bin oder kassiere. Früher habe ich auch Haare geschnitten und frisiert, aber das mache ich schon lange nicht mehr.«
»Warum nicht?«
»Ich habe es zu selten gemacht, kam aus der Übung und habe es verlernt.«
»Ihr Kerl wollte nicht, dass sie arbeitet«, brummte Karl.
Lieselotte warf ihm einen warnenden Blick zu.
Conradi blieb gelassen. Er wusste, dass es den meisten Männern ein Dorn im Auge war, wenn ihre Ehefrauen einer bezahlten Beschäftigung nachgingen. Sie waren der Überzeugung, andere würden glauben, dass sie nicht in der Lage wären, ihre Familie allein zu ernähren. Und die Frauen hatten ohne Zustimmung des Mannes keine Chance, eine Stelle zu finden, denn er musste den Arbeitsvertrag für sie unterschreiben. Conradi verstand es nicht. Er hätte seiner Frau niemals vorgeschrieben, was sie zu tun und zu lassen hatte, aber er war nun einmal nicht wie andere Männer. Frederike war nach der Heirat selbstverständlich weiter als Kindergärtnerin tätig gewesen. Er griff nach Lieselottes Pass, besah sich das Foto. Lieselotte Korittke war am 21.06.1910 geboren, also gerade 44 Jahre alt geworden. Sie hatte ein jugendliches, attraktives Gesicht, rotblonde, kurze Locken, eine sehr weibliche Figur mit schönen Kurven. Er konnte sich vorstellen, dass es viele Männer gab, die gerne mit ihr ausgehen würden.
»Gab es gestern oder in den Tagen davor Auffälligkeiten im Verhalten Ihres Bekannten? Erschien er nervöser als sonst oder streitlustiger?«
»Nein, er war so wie immer.«
»Wie war er denn immer?«
»Fleißig und strebsam, aber auch schnell aufbrausend, wenn es nicht nach seiner Mütze ging. Er forderte Gehorsam von den Kindern, aber das erwarten ja die meisten Väter.«
Karl stieß ein zischendes Geräusch aus.