Tod unterm Nierentisch. Alida Leimbach
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Читать онлайн книгу Tod unterm Nierentisch - Alida Leimbach страница 22
»Wie viele Kinder haben Sie?«
»Ich habe sechs Kinder geboren, von denen eins nicht mehr lebt. Gerd, der Erstgeborene, wäre jetzt 26 Jahre alt. Er ist im Krieg gefallen.«
Conradi murmelte eine Beileidsbekundung. Der Krieg war neun Jahre her, damals war Gerd demnach erst 17 Jahre alt.
Lieselotte erzählte ihm die Geschichte. Ihr Sohn Gerd hatte eine Lehre beim Bäcker gemacht. Im Herbst 1944 hatten Offiziere der Waffen-SS die Schüler der Berufsschule besucht und fünf Schüler ausgewählt, deren Namen und Adressen sie notierten. »Darunter war auch Gerd«, sagte sie mit gesenkter Stimme. »Im Frühjahr 1945, kurz vor Kriegsende, bekam er den Einberufungsbefehl. Er sollte sich im tschechischen Kurort Bad Luhatschowitz einfinden, um dort eine Kurzausbildung im Umgang mit Waffen zu absolvieren. Gerd sollte auf die Schnelle zusammen mit Gleichaltrigen zum Soldaten ausgebildet werden, um die Rote Armee an der tschechischen Grenze aufzuhalten. Mein Sohn war viel zu jung und unerfahren, um sich dem Feind zu stellen. Er hatte keine Chance. Beim Versuch zu fliehen wurde er von Soldaten der Waffen-SS zusammen mit seinem Freund Erich ergriffen, in den Wald geführt und dort erschossen. – Die Benachrichtigung über seinen Tod habe ich immer noch«, sagte Lieselotte leise. »Sie steckt hinten im Fotoalbum der Kinder. Das war der Tiefpunkt meines Lebens. Am liebsten wäre ich ihm in den Tod gefolgt.«
»Soll ich alles mitschreiben?«, fragte die Stenotypistin.
Conradi winkte ab. »Lassen Sie mal. Ich gebe Ihnen ein Zeichen, wenn es wieder nötig ist.« Er wartete ab, bis Lieselotte Korittke weitersprach.
»Zwei seiner vier Freunde aus der Berufsschule haben den Krieg überlebt und alles mitbekommen«, sagte sie mit spröder Stimme. »Sie haben mir hinterher erzählt, was geschehen ist. Einer von ihnen fragte noch: ›Wo geht ihr hin?‹, als er gesehen hatte, dass die Soldaten mit meinem Jungen und seinem Freund Erich durchs Dorf zogen. Wissen Sie, was mein Sohn geantwortet hat?«
Conradi schüttelte schmallippig den Kopf.
»›Zum Sterben‹, soll er gesagt haben. »Können Sie sich das vorstellen? Zum Sterben! Es zerreißt mir bis heute das Herz, wenn ich daran denke. Er war noch ein Kind! Mein Kind!«
Conradi nickte betroffen.
»Warum ich Ihnen all das erzähle: Meinen Lebenspartner Rolf hat das überhaupt nicht interessiert. Es hat ihn ungerührt gelassen. Soll ich Ihnen sagen, was seine Reaktion auf dieses tragische Ereignis war, als ich es ihm erzählt habe? ›Immerhin ein Esser weniger‹, hat er gesagt. Ist das nicht grausam? Er hat Gerd nie kennengelernt und war wohl froh darum. Wie herzlos von ihm! Mein Karl reichte ihm schon. Und Eva und Bettine interessierten sich für sein Friseurgeschäft. Eva zumindest am Anfang, dann ist sie andere Wege gegangen.«
»Ich verstehe«, sagte Conradi.
»Am liebsten hätte ich mich auf der Stelle von ihm getrennt, als er das gesagt hat, aber wir hatten schon die gemeinsamen Kinder, Karin und Peter. Und dann muss es ja vorwärts gehen, immer weiter. Im Krieg habe ich gelernt, dass man scheußliche Dinge so schnell wie möglich hinter sich lassen sollte. Wer nicht vergessen kann, hört nicht auf zu leiden, Herr Wachtmeister. Dann hört das Ganze nie auf. Wir müssen stark sein. Ich möchte über diese schlimmen Dinge nie wieder reden. Karl hört zum ersten Mal davon. Entschuldige, Karl!«
Ihr Sohn nickte mit gesenktem Kopf.
»Ich verstehe Sie vollkommen. Es war eine schlimme Zeit. Ich hoffe, dass wir so etwas niemals mehr durchmachen müssen!«
»Sie fangen doch schon wieder an«, klagte Lieselotte. »Sie rüsten wieder auf, als hätten sie nichts gelernt, diese Halunken. Sie werden mir eines Tages auch mein jüngstes Kind wegnehmen, mein Peterle. Ich könnte heulen vor Wut!«
»Das ist nicht gesagt. Ich denke, dass sie in Zukunft vorsichtiger sein werden. So leicht riskiert niemand einen neuen Krieg!« Nervös geworden, griff er nach seinen Zigaretten und zündete sich eine an. Er hielt Lieselotte Korittke die Packung hin. Die schüttelte den Kopf.
»Lesen Sie keine Zeitung? Sie rüsten auf, diese Himmelshunde. Es wird wieder Krieg geben! Ich will nicht noch eines meiner Kinder verlieren.« Resigniert ließ Lieselotte ihre Hände im Schoß sinken.
»Ein Kind geht, ein Kind kommt«, warf Karl plötzlich ein. »Der Lauf des Lebens. Bald ist noch mehr Leben in der Bude. Bettine wird Mutter!«
Lieselotte herrschte ihn an: »Hältst du wohl den Rand, du Bengel! Ich könnte dich …« Sie hob die flache Hand.
Karl presste den Mund zusammen, blieb ansonsten äußerlich ungerührt. Seine Schüchternheit schien verflogen zu sein.
»Also ist es wahr?«, fragte Conradi, dem der zart gerundete Leib bei Bettine aufgefallen war. »Ihre Tochter ist in anderen Umständen?«
Lieselotte Korittke schwieg ärgerlich. Karl grinste.
»Sie kennt diesen Mann noch gar nicht lange«, sagte Lieselotte schließlich. »Erst seit vorigem Jahr. Er ist eigentlich ein Freund von unserem Karl, ging bei uns wie selbstverständlich ein und aus. Warum musste er sie gleich schwängern?«
»Gab es zu Hause Streit deswegen?« Conradi zog an seiner Zigarette und blies den Rauch durch die Nasenlöcher aus.
»Natürlich war es uns nicht recht. Noch immer haben wir uns nicht an den Gedanken gewöhnt. Meinem Mann … also meinem Bekannten war es allerdings ein Dorn im Auge. Er hat sich sehr geärgert, als er gehört hat, dass dieser Edmund ein Auge auf unsere Bettine geworfen hat.«
»Er hat getobt«, sagte Karl und lächelte verschmitzt.
»Nun übertreib mal nicht. Also gut, er hat sich furchtbar aufgeregt.«
»Dann sag auch, was er von Bettine verlangt hat.«
Lieselottes Augen wurden eisig.
»Was denn?«, wollte Conradi wissen und aschte in den Zinnbecher. »Was hat er von ihr verlangt?«
Sie wand sich, brauchte ein paar Sekunden Bedenkzeit. »Er wollte mit ihr zu so einer Frau gehen, aber das habe ich nicht erlaubt. Nun, auch mir fällt es nicht leicht. Auch ich bin hin- und hergerissen, was in dem Fall zu tun ist. Offen gestanden mache ich mir Sorgen um meine Tochter, wirklich große Sorgen. Edmund will sie nicht heiraten. Wie steht sie denn da als ledige Mutter? Was soll aus ihr werden? Ich fürchte mich vor dem Klatsch und Tratsch der Leute. Bald kommt keiner mehr zu uns, wir können schließen. Wir werden nicht mehr eingeladen. Das geht nicht. Wir brauchen unsere Stammkunden und können es uns nicht leisten, dass die schlecht über uns reden.«
»Und wenn? Ist doch egal«, maulte Karl.
»Ja, dir ist alles egal.«
»Ihr Mann hat verlangt, dass sie abtreibt?«, hakte Conradi nach.
Lieselotte nickte. »Ja, aber das wollte ich nicht. Ich traue diesen Engelmacherinnen nicht. Meine Freundin hat das damals nicht überlebt. Sie war auch in so einer Situation.« Sie senkte den Kopf.
»Ich muss Ihnen eine Frage stellen, die Sie bitte nicht persönlich