Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa. Joachim Bitterlich
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Helmut Kohl stand in all den Jahren zunehmend im Mittelpunkt des europäischen Geschehens. Er war – unterstützt von Jacques Delors – der nicht gewählte, aber doch von allen gesuchte und akzeptierte „Anführer“ Europas und des Europäischen Rates, in gewisser Weise an der Spitze einer Art „permanenten europäischen Vermittlungsausschusses“, eine von den Partnern bewusst akzeptierte Führung Europas!
Naturgemäß gab es dabei auch Länder, die im Reflex eher Helmut Kohl folgten als andere, es gab auch schwierigere, sensible Partner wie die Niederlande oder das Vereinigte Königreich oder auch mitunter Italien. Mein Problem war es, an der Seite Helmut Kohls deren Ansprechpartner zu sein, Probleme zu erkennen, sie zu kanalisieren, sie mit zu entschärfen – ein Arbeitspensum, das nur dank eines wenn auch kleinen, so doch hervorragenden Teams mit einem gut funktionierenden Frühwarnsystems mit den Kollegen aus den jeweiligen Ländern zu bewältigen war.
Und ein Problem war es zusätzlich, dass Helmut Kohl (leider) alle wesentlichen politischen Akteure aus diesen Ländern persönlich kannte, manche besser als ich selbst, und er zudem seine Vorlieben und Abneigungen über die Jahre entwickelt hatte. Eine permanente Herausforderung – zumal der „Chef“ auch in Deutschland selbst seine parallelen Quellen hatte – und ich oft nicht wusste, mit wem er gerade zuletzt gesprochen hatte oder woher er die eine oder andere Information hatte. Das galt nicht nur für die Länder, die von Parteien geführt wurden, die der EVP angehörten, sondern auch für andere, wie z.B. für Österreich!
Teil dieses Netzwerkes waren in jenen Jahren auch meine Kollegen, Kabinettchefs oder diplomatische Berater der jeweiligen Regierungschefs. Und auch insoweit blieb das Verhältnis zu einem Teil eine gute, professionelle Beziehung, mit anderen wurde daraus ein sehr freundschaftliches Verhältnis, das zum Teil bis heute besteht. Ich nenne als Beispiele bewusst die Freunde aus den „kleineren“ Mitgliedstaaten der EU, Martine Schommer, die hoch engagierte und sehr offene Luxemburgerin, Dominique Struye van Zwielande, den bedächtigen, immer verlässlichen Freund aus Brüssel, oder Niels Egelund, den dänischen Freund, den ich Jahre später in Paris wieder treffen sollte. Ich müsste über andere berichten wie die spanischen und italienischen Freunde, Ricardo Diez-Hochleitner und Umberto Vattani – und doch dies ist nur ein kleiner Teil einer oft verschworenen kleinen Gemeinschaft!
Deutschland und die anderen „Großen“
Ich hatte die Chance, in den Jahren an der Seite Helmut Kohls drei Premierminister des Vereinigten Königreichs zu erleben, zunächst Margret Thatcher, dann John Major und schließlich ab 1997 Tony Blair.
Margret Thatcher war für Helmut Kohl eingedenk ihres Misstrauens gegenüber Deutschland und gegenüber dem überzeugten Europäer Kohl wohl die schwierigste Partnerin. Der Bundeskanzler tat das ihm mögliche, um immer wieder die Brücke für das Vereinigte Königreich nach Europa zu bauen. Doch er biss bei ihr auf Granit!
Sie war mit der Kohl'schen europapolitischen Ausrichtung einfach nicht einverstanden, der Christdemokrat und Deutsche waren ihr im Reflex suspekt. Hugo Young schreibt in seinem blendenden Werk über die Insel und Europa zum Verhältnis zwischen Thatcher und Helmut Kohl „but Schmidt she could understand, whereas Kohl she spent eight years regarding as a pain: verbose and difficult; They could not, for a start, speak the same language, a misfortune that partly lay behind her nickname for him: the gasbag („der Schwätzer“)“ 3 Selbst bei dem für sie aus ihrer politischen Philosophie so wichtigen Thema des europäischen Binnenmarktes hakte es. Sprichwörtlich stand dafür ihr fast paranoid anmutendes Misstrauen gegenüber dem Projekt des Kanaltunnels zwischen Frankreich und der Insel, über das am Rande der Beratungen über die Einheitliche Akte in Luxemburg dank des damaligen dänischen Regierungschefs Witze unter den Regierungschefs kursierten!
Auch die Tatsache, dass Charles Powell, ihr engster außenpolitischer Berater, in Brüsseler Tagen mein Kollege in einer der vertraulichen Arbeitsgruppen des Rates war, erwies sich für mich als nicht besonders hilfreich. Respekt vor dem anderen vielleicht ja, aber Vertrauen entstand daraus kaum.
Thatchers Misstrauen gegenüber Helmut Kohl wurde durch die Beratungen in der EU im Jahre 1988 noch stärker, ihre Haltung gegenüber der deutschen Einheit musste überzogen und selbst den Amerikanern befremdlich erscheinen. Letztlich hat Helmut Kohl in den Jahren 1988/89, beginnend mit der Sondertagung des Europäischen Rats im Februar 1988, dann aber vor allem durch die deutsche Wiedervereinigung, ganz entscheidend zu ihrem Niedergang und Ende beigetragen.
John Major hatte als ihr Nachfolger von Anfang an einen schweren Stand innerhalb der konservativen Partei. Sein Ton war gemäßigter, sein Bemühen um Ausgleich wirkte offener, und doch seine Margen waren beschränkt. Sein Verhältnis zu Helmut Kohl wurde durch die beiderseitige herzliche Abneigung gegen Margaret Thatcher erleichtert und durch gegenseitiges Vertrauen und Respekt geprägt. Dies zeigte sich vor allem in Maastricht und in der Folge um die Sicherung der Ratifikation durch das Unterhaus. In Maastricht war er gehalten, das Paket der von Kohl geförderten „sozialen Dimension“ abzulehnen wie auch deutsch-französische Anliegen zugunsten einer stärkeren gemeinsamen Verankerung der Außen- und Sicherheitspolitik die Zähne zu ziehen – aufgrund der Einstimmigkeit im Rat kamen wir an ihm, am Vereinigten Königreich nicht vorbei.
Und in der Folge machten wir in Sachen Umsetzung des in Maastricht als Kompromiss vereinbarten „Subsidiaritätsprinzips“ alle Verrenkungen, um ihm innenpolitisch entgegen zu kommen. Wir stimmten einem Gipfeltreffen zu diesem Thema unter britischem Vorsitz – im Herbst 1992 in Birmingham – zu, um die Konturen dieses Prinzips zu schärfen – vieles der damaligen Debatte erinnert an die heutige Diskussion der britischen Konservativen über Europa und zum Brexit!
Trotz aller gegenseitigen Bemühungen blieb das Verhältnis auch in der Zeit von John Major gespannt, Querschläger kamen von innen, aus der konservativen Partei und vor allem auch aus den Medien. Betroffen davon war nicht nur Helmut Kohl selbst, sondern auch die Mitarbeiter. So zerriss im August 1992 unter dem Titel „After you, Helmut“ der damalige EG-Korrespondent des Daily Telegraph, Boris Johnson, heute Premierminister Ihrer Majestät, die Politik John Majors. Der Bösewicht für ihn war aber nicht Helmut Kohl, sondern vor allem ein gewisser Joachim Bitterlich!
Ich muss lachen, wenn ich heute diesen blendend geschriebenen Artikel lese, damals fassten deutsche wie britische Diplomaten Johnsons Analyse mit der Kneifzange an. Ich zitiere einfach einige der wesentlichen Aussagen Johnsons: „Joachim Bitterlich who runs the European Affairs department in the Bundeskanzleramt, epitimises all that Our Men are up against in Bonn. His introverted, blondish mien is compared, predictably but accurately to that of an SS colonel, but one who loves France ….”4 Ich halte hier inne, man könnte noch so viel mehr zitieren, jedenfalls ein Beitrag zur Förderung aller negativen Vorurteile gegen die Deutschen.
Einige Jahre später setzte Andrew Roberts in seinem futuristischen Werk „The Aachen Memorandum“ noch eins drauf: 2045 wurde nach der Einverleibung des Vereinigten Königreichs in die Vereinigten Staaten von Europa ein gewisser Joachim Bittersich einer der Verwalter der „South English Region“ und die Beschreibung der Person ging in die gleiche Richtung.5 Der Fairness halber muss ich hinzufügen, dass es in all den Jahren britische Kollegen – ja, Freunde – gab, die nicht nur exzellente Kollegen waren, sondern die sich ehrlich darum bemühten, solche (Vor-)Urteile zurückzuweisen. So drückte mir im vergangenen Jahr einer dieser britischen Kollegen „zur Erinnerung“ einen kleinen Stapel von – inzwischen freigegebenen – Berichten in die Hand: „Sei uns nicht gram, wir haben damals schon überzogen.“
Tony Blair wurde Mitte der neunziger Jahre mit seinem Slogan „New Labour, new Britain“ zum „shooting star“ von Labour und gewann im Frühjahr 1997