Challenge Ironman. Frank-Martin Belz
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Wenige Monate später radelte Torsten mit dem Mountainbike rund 800 Kilometer die Elbe von der Mündung in Cuxhaven über Hamburg und Dresden bis an die deutsch-tschechische Grenze entlang. Er fuhr diese Tour bewusst alleine. Ursprünglich wollte er darüber ein Tagebuch führen, doch seine Einträge wurden immer mehr zu Reflektionen über sein eigenes Leben. Dabei kamen ihm grundlegende Fragen, die er sich in dieser Form vorher noch nie gestellt hatte:
„Wo will ich im Leben stehen? Wie soll meine Karriere aussehen? Wie mein sportlicher Weg? Und was macht mich wirklich glücklich?“
Torsten bezeichnet die Radtour entlang der Elbe heute als eine Reise zu sich selbst. Dabei stellte er fest, dass die Ziel- und Orientierungslosigkeit einer der Hauptgründe für seine latente Unzufriedenheit war. Er vergleicht sich selbst mit einem Passagier, der in einem Zug sitzt und die Welt an sich vorbeirauschen lässt. Er nahm sich für die Zukunft vor, die Rolle des Lokführers in seinem eigenen Leben einzunehmen, der die Weichenstellungen und das Tempo selbst bestimmt. Dabei sollte auch Sport eine wichtige Rolle spielen:
„Mit jedem Kilometer, den ich der sächsischen Schweiz näher kam, stiegen das Selbstvertrauen und die Einsicht, dass Sport einfach zu meinem Leben gehört. Dass ich ihn brauche, um meine Laune hoch zu halten, um zu entspannen und nicht zuletzt für meine Ausgeglichenheit. Einfach dafür – damit es mir gut geht.“
So wurde Sport vom einmaligen Projekt zur täglichen Routine. Neben kleineren Wettbewerben finishte er 2009 seinen ersten Triathlon über die Olympische Distanz. Und verfolgte so Schritt für Schritt seinen großen Traum: eines Tages einen Ironman zu schaffen. Er hörte mit dem Rauchen auf und eignete sich als Autodidakt Wissen zur Trainingslehre im Triathlon an. Nach einem Halbmarathon lief er auch seinen ersten Marathon. Vier Jahre später war es dann soweit: Nach einer erfolgreichen Mitteldistanz meldete er sich 2014 zur Challenge Roth an. Wie wichtig ihm die Erfüllung dieses Traums war und welche Priorität Sport in seinem Leben neben dem Beruf bekommen hatte, zeigen zwei Entscheidungen: Im Herbst 2013 bekam er ein gutes Jobangebot für eine neue Führungsposition in seiner Firma, das er mit der Begründung ablehnte, dass es nicht mit seinem privaten Ziel und dem Training für die Challenge im nächsten Jahr vereinbar sei. Im Frühjahr 2014 ging er noch einen Schritt weiter und bat um unbezahlten Urlaub, was damals für Führungskräfte in diesem Unternehmen ein Novum war und als ein Ding der Unmöglichkeit galt. Die Auszeit wurde gewährt und machte ihm den Weg frei: Im Juli ging Torsten bei der Challenge Roth an den Start und finishte in 12:22 Stunden. Im Ziel nahm ihn sein Trainingskollege Freddy in Empfang, der ihm damals den Anstoß zum Triathlon gegeben hatte und mittlerweile ein Freund geworden war. Dieses Finish markierte für Torsten den größten Tag in seinem Sportlerleben. Es steht für das Ende einer langen Reise, die sieben Jahre zuvor begonnen und in deren Verlauf er ein vollkommen neues Selbstwertgefühl gewonnen hatte.
DOMINANZ UND MISSBRAUCH
Natascha Badmann ist bekannt als die „Queen of Kona“, weil sie den Ironman Hawaii sechsmal gewann und damit zu den erfolgreichsten Triathletinnen aller Zeiten gehört. Weniger bekannt ist ihr Leben vor dem Triathlon und ihre traurige Kindheit. In ihrer bewegenden und lesenswerten Autobiographie spricht sie davon, zwei verschiedene Leben geführt zu haben.21 Das erste Leben begann mit ihrer Geburt am 6. Dezember 1966 in Basel. Ihre Mutter war zu diesem Zeitpunkt erst 21 Jahre alt und unverheiratet, der leibliche Vater war ein Deutscher und wollte sich nicht binden. Natascha war offenbar kein Wunschkind. Die Mutter musste sie alleine großziehen, was in der bürgerlichen Zeit der 1960er Jahre sehr schwierig war. Nach außen wahrte ihre Mutter stets den Schein und war zu anderen Kindern immer nett, ihr gegenüber aber ausgesprochen streng, um nicht zu sagen dominant. Natascha schreibt über ihre Mutter:
„Die Kinder, die zum Spielen zu mir kamen, liebten sie. Doch ich denke heute, dass hinter dieser Fassade der Fröhlichkeit eine im Grunde zutiefst unglückliche Frau steckte. Um sich nicht mit ihrem Leben beschäftigen zu müssen, wollte sie meines vollkommen kontrollieren, was für mich grauenhaft war. Ich sollte so werden, wie sie es sich vorstellte, auch wenn es nicht meinem natürlichen Wesen entsprach. In ihrer vermeintlich süßen Art wurde sie zu meiner Herrin und Meisterin.“22
Finanziell gesehen mangelte es Natascha in ihrer Kindheit an nichts. Die fehlende emotionale Nähe und Wärme wurden durch materielle Dinge kompensiert. Sie bekam schöne Kleider und Schuhe. Sie wurde mit Klavier- und Ballettstunden gefördert. Sie hatte einen eigenen Hund zum Spielen und später auch ein Pferd zum Reiten. Trotzdem entsprach sie nicht den Vorstellungen ihrer Mutter. Im Gegensatz zu ihrer schlanken, attraktiven Mutter war Natascha als Kind eher dick und unsportlich. Die Sportstunden in der Schule blieben ihr nicht in guter Erinnerung:
„Ich gehörte zu den Dicksten in der Klasse, kam nicht die Kletterstange hoch, schaffte im Hochsprung keinen Meter, und der Ball flog aus meiner Hand keine fünf Meter weit. Wo es nur ging, machte ich eine schlechte Figur.“23
Sie fühlte sich als Außenseiterin und als „Loser der Familie“. Als sei dies nicht schmerzlich und schlimm genug, wurde sie von ihrem Stiefvater über Jahre hinweg sexuell missbraucht. Der erste Übergriff fand während der Sommerferien im Tessin statt, als sie noch keine 12 Jahre alt war. Der letzte war mit 19 Jahren, als sie bereits eine erwachsene Frau und Mutter eines Kindes war. Der Stiefvater raubte ihr nicht nur die Kindheit, sondern auch die Jugend. Als Folge des sexuellen Missbrauchs wurde Natascha depressiv, und es gab eine Zeit, in der sie ihr Leben für nicht mehr lebenswert hielt. Die sexuellen Übergriffe waren jedoch nicht der einzige Grund für ihre Traurigkeit und Depressionen. Es war auch das Zusammenspiel aus Dominanz und Macht, das ihre Mutter und ihr Stiefvater auf sie ausübten. Aufmerksamkeit und Anerkennung erhielt sie nur, wenn sie sich anpasste und unterordnete. Dadurch wurde ihr die Möglichkeit genommen, ihre eigenen Vorstellungen, ihren Willen und ihre Persönlichkeit zu entwickeln. In dieser Situation war es kein Wunder, dass sie kein Selbstwertgefühl besaß. Sie war wie in einem Käfig gefangen, aus dem es kein Entfliehen gab. Das sollte sich erst ändern, als sie ihren Lebenspartner Toni Hasler kennenlernte und den Triathlon für sich entdeckte – der Beginn ihres zweiten Lebens.
Natascha und Toni arbeiteten in derselben Firma und kamen dadurch ins Gespräch. Sie wollte abnehmen, weil sie sich noch immer zu dick fand. Toni, durch und durch Sportler, meinte zu dem heiklen Thema: „Fräulein, wenn Sie abnehmen wollen, müssen Sie erst einmal anfangen zu essen!“, wobei er hinterherschickte: „Aber Sie müssen sich auch ein bisschen bewegen.“24 Noch am selben Tag ging Natascha laufen und erzählte es ihm am nächsten Tag voller Stolz. Es habe sogar Spaß gemacht oder zumindest das Gefühl, das sich danach einstellte, weil sie etwas geleistet habe, selbst wenn es nur 1,5 Kilometer gewesen seien, die sie anfangs zurücklegen konnte. Dies war der Anfang ihrer Beziehung und der Einstieg in den Sport, der so richtig Fahrt aufnahm, als sie Toni zu einem Triathlon begleitete. Die Atmosphäre, der Kampfgeist und die glücklichen Gesichter im Ziel beeindruckten sie zutiefst. „Das will ich auch!“, war ihre erste Reaktion, als Toni nach dem Wettkampf aus der Dusche kam. Toni spürte ihre Begeisterung für den Sport und die Freude an der Bewegung. Er half bei den ersten Schritten im Training, und im nächsten Sommer startete sie zunächst bei einem Duathlon, bevor sie dann wenige Wochen später ihren ersten, lang