Tod eines Jagdpächters. Thomas Sutter

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Tod eines Jagdpächters - Thomas Sutter

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wohnte in Merzbach, nur wenige Kilometer von Rheinbach entfernt.

      Den Eltern war erst am Morgen aufgefallen, dass ihre Tochter in der Nacht nicht zuhause war. Offensichtlich waren die beiden Teenager zusammen ausgerissen.

      Die Rheinbacher Kollegen erklärten, dass sie die Mitschüler von Ralf und Jessica in der Schule aufsuchen und befragen würden.

      Funk parkte auf dem Weg, der zum Naturkindergarten führte. »Ich frage jetzt echt nur aus Neugier: Konntest du eine Lösung wegen der unfreiwilligen Hundepatenschaft finden?«, erkundigte sich Funk, während sie in Richtung Naturkindergarten schritten.

      Beltel wollte eigentlich überhaupt nicht daran erinnert werden. »Der Nachbar meiner Haushälterin will sich nach einer geeigneten Hundepension erkundigen«, brummte er. »Aber aufgrund seiner Allergie kann er den Hund dort nicht hinbringen und seine Frau hat keinen Führerschein. Das muss ich dann nach Feierabend machen, und du weißt selbst, wie lange momentan unsere Arbeitstage sind. Na ja, vielleicht kann ich Butz heute Abend schon loswerden. Dann werde ich erst mal tief durchatmen. Zum Glück konnte ich der Nachbarin meinen Hausschlüssel dalassen, so dass sie den Hund ein paar Mal am Tag zum pinkeln nach draußen führt. Das Kerlchen würde mir sonst noch den Teppich einsauen.«

      Funk legte eine Hand auf seinen Bauch. »Also, wenn es nach mir ginge, würde ich dir ja helfen. Ich würde mir am liebsten sowieso einen Hund anschaffen. Viel spazieren gehen wäre nicht schlecht. Allein schon wegen meinen Kilos. Aber Marga mag nur Katzen und da zieh ich den Kürzeren.«

      Beltel nickte kurz, ohne auf Funks Bauch zu schauen. »Hast in der Tat letzte Zeit einiges zugelegt.«

      »Meine Frau hat so eine Scherzkarte an den Kühlschrank gepinnt: ›Alles schläft, einer frisst‹. Das passt leider wirklich. Nachts überkommt mich furchtbarer Heißhunger. Da kann ich gar nicht anders. Meistens spachtele ich drei Joghurts nacheinander rein. Und was es da für Sorten gibt. Im Moment steh ich total auf weiße Schokolade.«

      »Ja, dann mach mal weiter so«, sagte Beltel schadenfroh lächelnd.

      »Dann hab ich nachts sogar Ideen für weitere exotische Joghurt-Geschmacksrichtungen. Die vergesse ich dann wieder, weil ich schnell wieder einschlafe.«

      »Schreib sie mal auf und dann schickst du sie an einen Joghurthersteller. Vielleicht kriegst du sogar Geld für die Erfindung einer neuen Joghurtkreation«, schlug Beltel scherzhaft vor.

      »Habe ich auch schon dran gedacht«, nickte Funk und merkte gar nicht, dass sein Kollege ihn auf die Schippe nahm.

      Nach wenigen Schritten standen sie vor dem Grundstück, auf dem sich die herrlich ausgebauten Bauwagen befanden, die den Kindern bei Regenwetter, anstatt eines Steinhauses, zur Verfügung standen. Beltel war froh, dass die Joghurtschwärmerei ein Ende gefunden hatte.

      Letzte Nacht hatte es geregnet, und die Wiese des abgezäunten Grundstücks war nass. Fast zehn Kinder liefen in Gummistiefeln herum. Einige hatten Matschflecken an den Knien der Jeans und auch die T-Shirts und Hemdchen strahlten nicht gerade vor Sauberkeit.

      Zwei Kleine saßen in einem Holzanhänger und ein Junge, der sicher nicht älter als vier war, versuchte den Wagen zu ziehen. Verzweifelt rief er nach Verstärkung, aber die anderen waren so beschäftigt, dass sie seiner Bitte nicht nachkamen. Der Junge gab auf, versetzte dem Holzkarren einen Tritt und blieb mit verschränkten Armen und Schmollmund stehen.

      Beltel fühlte sich an seine eigene Kindheit erinnert. Obwohl er nie einen Kindergarten kennengelernt hatte. Er hatte sich auf dem Bauernhof seiner Eltern ausgetobt und ständig so ausgesehen wie diese Kids. Scheinbar gab es kein Plastik- und Lego-Spielzeug. Hier galt es, Pflanzen und Tiere zu erkunden. Beltel sah den angelegten kleinen Teich und hörte das Quaken der Frösche.

      Für ihn waren seine ersten naturverbundenen Jahre die glücklichsten seines Lebens gewesen. Es gefiel ihm, dass es Kindergärten gab, die das »Zurück zur Natur« mit den Kleinen praktizierten.

      Zwei Erwachsene standen vor einem großen braunen Bauwagen, der eher einem wunderschönen Zirkuswagen glich, und unterhielten sich. Nicht nur von außen war der Wagen mit dichten Pflanzen bewachsen. Durch die Fenster konnte man auch im Inneren Grünzeug erkennen, das die Funktion von Gardinen eingenommen hatte.

      Die Frau sah Beltel und Funk kommen und ging ihnen entgegen.

      »Sind Sie von der Polizei? Gaby Dederichs.« Sie reichte den Polizisten die Hand. Beltel und Funk stellten sich ebenfalls vor.

      »Mordkommission?«, fragte sie ungläubig, ihr war die Farbe aus dem Gesicht gewichen. »Ralf ist doch nichts …?«

      Beltel unterbrach sie. »Nein, Ihrem Pflegesohn ist nichts passiert. Aber vorletzte Nacht ist ein Mann namens Nirbach in einem Waldgebiet ganz in der Nähe von Ihrem Wohnort erschossen worden, und in dieser Angelegenheit würden wir gerne mit Ralf sprechen.«

      »Aber Sie wissen sicher, dass Ralf letzte Nacht nicht nach Hause gekommen ist?« Gaby Dederichs konnte den sorgenvollen Ton in ihrer Stimme nicht verbergen.

      »Das wissen wir. Seine Freundin Jessica Carlius ist letzte Nacht auch nicht zu Hause gewesen. Es sieht so aus, dass die beiden zusammen abgehauen sind. Haben Sie eine Ahnung, wo sie stecken könnten?«, fragte Funk.

      »Eigentlich wollte ich mir heute hier frei nehmen. Leider sind aber zwei Kolleginnen krank und es ging nicht. Na ja, ich hätte sowieso nicht gewusst, wo ich nach Ralf suchen sollte.«

      Eines der Kinder fiel hin und Gaby Dederichs musste die Unterredung kurz unterbrechen. Ihr Kollege eilte herbei und nahm ihr die Aufgabe ab, sich um den kleinen Jungen zu kümmern. Das Kind hatte zu weinen begonnen, weil es nass geworden war. Der Erzieherkollege verschwand mit dem Jungen im Bauwagen und Gaby Dederichs wandte sich wieder an die Polizisten. »Wissen Sie, Ralf war sehr schwierig. Die ersten Monate mit ihm beanspruchten die Kräfte meines Mannes und mir dermaßen, dass wir schon aufgeben wollten. Aber nach und nach ging es besser. Teilweise hat er etwas Vertrauen zu uns aufbauen können. Nur was er mit seinen Freunden so treibe, ginge uns nichts an und erst recht nichts, was seine Freundin betraf. Darüber wollte er nicht mit uns reden. Wahrscheinlich haben die meisten Teenies in der Pubertät keine Lust, mit den Eltern über ihre Privatsphäre zu sprechen. Wo die beiden sich getroffen haben, was sie zusammen unternommen haben, weiß ich leider nicht.«

      »Frau Dederichs, Ralf hat keine einfache Geschichte. Einiges ist uns bekannt. Auch, dass er bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, unter anderem wegen Gewaltdelikten. War Ihr Pflegesohn immer noch bereit, Gewalt anzuwenden?«, wollte Beltel wissen.

      Gaby Dederichs seufzte. »Die Erzieher im Heim sind überhaupt nicht mehr mit ihm klargekommen. Dort hätte wahrscheinlich bald wieder die Jugendstrafanstalt angestanden und wie gesagt, waren auch mein Mann und ich anfangs total überfordert. In den ersten Monaten wollte ich so wenig wie möglich mit dem Jungen alleine bleiben. Von mir hat er sich überhaupt nichts sagen lassen. Das war schon frustrierend. Wenn Sie definitiv nach Gewalt fragen, dann muss ich sagen, dass ich anfangs auch Angst vor ihm hatte. Ralf war sicher ein ganz schwieriges Kind, aber es hat eine – für seine Maßstäbe – enorme Entwicklung stattgefunden. Mein Mann und ich haben da echt was hingekriegt. Aber sicherlich lag es auch an diesem Medikament. Ich war eigentlich dagegen, dass Kinder so ein Zeug nehmen. Dennoch gab ich nach, denn die Ärzte hatten bei Ralf dieses so genannte ADHS diagnostiziert und ihm Ritalin verschrieben. Wie gesagt, hat mir das anfangs gar nicht gefallen, dann aber sah ich ein, dass etwas geschehen musste. Und ja, dieses Medikament hat wirklich eine extreme Änderung herbeigeführt.«

      Funks Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »ADHS?«, hakte er nach.

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