Tod eines Jagdpächters. Thomas Sutter
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»Okay, Manfred, gehen wir diesem mysteriösen Gedicht nach und fahren nach Loch. Dennoch sollten wir keine Scheuklappen anziehen. Auch wenn ich deine Überlegung nachvollziehen kann, unser Hauptaugenmerk sollte trotzdem auf Ralf Schmitter liegen.«
»Früchte des Zorns«
Kurz hinter Rheinbach begannen die Hügel. Willkommen in der Eifel, hieß es hier für die Flachländer. Es war sonderbar. Plötzlich befand man sich in einer vollkommen anderen Landschaft. Irgendwie hatte man das Gefühl, als würden hier die Uhren anders ticken.
Nach fünf Kilometern Waldstrecke erblickte man Loch in einem Tal. Die Hütten, in denen die Erdbeerpflücker untergebracht waren, befanden sich oberhalb von Loch, einem Teil, der sich Queckenberg nannte. Hinter der Kreuzung, an der es rechts nach Flamersheim und Euskirchen und links nach Altenahr ging, wand sich die Straße durch einen relativ neuen Dorfteil nach oben.
Beltel war hier schon gewandert, auf dem Weg von Rheinbach nach Bad Münstereifel. Von Merzbach kommend musste man hier durch. Allerdings rechts von dieser Straße, sozusagen durch Lochs Altstadt. Besonders ein Fachwerkhäuschen unten am Dorfrand, mit einer zugewachsenen Terrasse, war ihm immer wieder aufgefallen. Der Innenhof mit der alten Scheune, der im Sommer zum draußen sitzen einlud, hatte ihn auf den Gedanken kommen lassen, sein Häuschen in Altenahr zu verkaufen und sich so etwas Schönes zu suchen.
Aber er war ein Gewohnheitsmensch und wusste, er würde diesen Wunsch nicht in die Tat umsetzen. Schon der Gedanke, dass dieser komische freche Dackel ihn für eine Zeit aus seinem gewohnten Rhythmus brachte, war zu viel. Ein Umzug mit dem Inventar eines ganzen Hauses, eine neue Nachbarschaft und eine neue Umgebung schreckte zu sehr, als dass er ihn wirklich in Angriff nehmen würde.
Beltel bog links oberhalb der Kirche in Richtung Madbachtalsperre ein und hielt nach wenigen Metern.
Die Unterkünfte der Saisonarbeiter waren leer und auch der Hof wirkte wie ausgestorben. Nur die Wäscheleine, auf der die Sachen einer ganzen Kompanie zum Trocknen hingen, zeugte von Leben. Nach zweimaligem Läuten trat eine Bäuerin aus dem Haus, das den Hof in L-Form umgab. Die Polizisten stellten sich vor und erklärten, dass sie gerne mit einer Frau namens Ivonna Martiniak reden würden.
»Grete Much«, machte die Bäuerin sich bekannt. »Ivonna ist auf dem Erdbeerfeld. Ist etwas passiert? Hat sie etwas verbrochen?«
Beltel erklärte, dass Karl Nirbach ermordet worden war und dass davon auszugehen war, dass Ivonna den Mann gekannt hatte.
Die Bäuerin war schockiert. »Der Nirbach ist tot?«
Die Polizisten antworteten nur mit einem kurzen Nicken und Frau Much fuhr fort. Nun war Groll in ihrer Stimme zu erkennen. »Man soll die Toten ja ruhen lassen und ermordet zu werden ist wirklich ein Grauen, aber viele Tränen werden diesem Mann bestimmt nicht nachgeweint. Das kann ich mir nicht anders vorstellen. Allein die Geschichte mit der Ivonna war eine Sauerei. Der Mann hatte hier in der Gegend überhaupt keinen guten Ruf. Da können Sie sich ruhig umhören.«
»Welche Geschichte mit der Ivonna gibt es denn da?«, erkundigte sich Beltel.
Frau Much ging ein paar Schritte in das Hofinnere. Dann senkte sie ihre Stimme und sprach leiser, als hätte sie etwas Geheimes zu erzählen.
»Na ja, die Ivonna hat letztes Jahr noch auf einem anderen Gut in Schweinheim gearbeitet. Dort hat sie diesen Kerl kennengelernt. Er ist mit dem Gutsbesitzer bekannt. Um die jungen Saisonarbeiterinnen ist er wie ein Pfau herumgeschlichen. Und Ivonna ist auf ihn hereingefallen.«
Draußen auf der Straße zockelte ein Traktor vorbei. Die Bäuerin verstummte, bis das Dröhnen des alten Diesels wieder verebbte. »Sicherlich hat er ihr mit seinem dicken Mercedes imponiert, und wie ich weiß, hat er sie auch mit in seine schicke Villa genommen. Seine Frau muss in Urlaub gewesen sein, und natürlich hat er Ivonna nicht erzählt, dass er verheiratet ist. Tja, und wie es bei einem Mädchen aus armen Verhältnissen kommen kann, hat ihr der ganze Luxus scheinbar imponiert. Das Spielchen hat er eine Weile gespielt, dann wurde sie schwanger und er hat sie fallen lassen. Ich verurteile sie nicht, weil sie sich mit einem dreißig Jahre älteren Typ eingelassen hat. Die meisten der Saisonarbeiter kommen aus wirklich armen Verhältnissen, und für sie schien hier in Deutschland ein Traum in Erfüllung zu gehen. Er wird ihr sicher jede Menge Versprechungen gemacht haben. Aber stattdessen hat er sie ins Unglück gestürzt.«
Beltel hatte Klötsch kennengelernt. Von Nirbachs Vergangenheit als Saunaclub-, sprich Puff-Betreiber wusste er auch. Das Bild, das er sich von dem Toten gemacht hatte, bestätigte sich in gutem Maße. »Was ist mit dem Kind?«
»Er hat sie zu einer Abtreibung gezwungen und danach hat sie trotzdem ihre Arbeit auf dem anderen Gut verloren. Dieses Jahr ist sie zu uns gekommen, und ich bin sehr zufrieden mit ihr. Ihr Bruder Dariuz hat damals auch in Schweinheim gearbeitet und ist ebenfalls entlassen worden, weil er sich mit Nirbach angelegt hat. Angeblich hat er einen Diebstahl begangen. Er hat schon bei mir gearbeitet, da wurde er verhaftet und nach einer Zeit im Gefängnis wurde er nach Polen abgeschoben. Ivonna hat mir geschworen, dass ihr Bruder diesen Diebstahl nicht begangen hat, und ich glaube ihr. Ich habe eine gute Menschenkenntnis und er machte auf mich einen sehr guten Eindruck. Die meisten der Saisonarbeiter sind anständige Leute, die hart arbeiten, gar nicht dem Bild entsprechend, das bei vielen Deutschen über Menschen aus osteuropäischen Ländern herrscht.«
»Können wir mal mit Frau Martinak reden?«, bat Beltel.
»Kommen Sie mit«, sagte die Bäuerin. »Sie ist auf dem Erdbeerfeld. Sie spricht Englisch und nur ein paar Brocken deutsch, aber mein Vorarbeiter Mihau Grechuta kann übersetzen. Ich kann mir allerdings denken, dass sie nicht gerne über die Geschichte reden möchte. Es wird ihr sehr peinlich sein.«
Beltel fühlte sich an den Roman »Früchte des Zorns« von John Steinbeck erinnert. Garantiert lebten und arbeiteten die Menschen hier auf dem Erdbeerfeld besser als die Figuren in Steinbecks Roman. Verglichen mit den Löhnen, die in ihren Heimatländern gezahlt wurden, verdienten sie sogar außerordentlich gut und von dem, was sie hier in ein paar Monaten ansparten, konnten sie zuhause wahrscheinlich ein ganzes Jahr leben. Dennoch war die Erdbeerernte alles andere als ein einfacher Job. Beltel erblickte mehrere Menschen, die auf die Sechzig zugingen. In Deutschland bereitete man sich in diesem Alter gemächlich auf die Rente vor. Diese Leute hier hatten für Monate ihre Familien verlassen und verrichteten eine Arbeit, die vor allem für einen alten Rücken Gift sein konnte. Die Gesichter waren von einem harten Leben gekennzeichnet. Auch die Alten sahen sehr robust und stark aus, aber dennoch zehrte der Knochenjob sichtbar an ihnen. Er sah Frauen mit bunten Kopftüchern, wie er sie aus Dokumentationen über Russland von russischen Bäuerinnen kannte. Viele trugen im feuchten Boden Gummistiefel. Einige stapften mit matschverklumpten Sportschuhen zwischen den Erdbeerbeeten herum. Über der Szene hatten sich am blauen Himmel ein paar Wolken breit gemacht und der Tag schien heute für die Pflücker zum Glück nicht sengend heiß zu werden.
Frau Much grüßte die Saisonarbeiter, die am Rande des Feldes arbeiteten und rief Ivonnas Namen. Eine Frau mit einem rot-blau gemusterten Kopftuch drehte sich um und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann kam sie auf Frau Much und die beiden Polizisten zu. Der Vorarbeiter Mihau Grechuta war einer der Männer am äußeren rechten Feldrand. Er blickte herüber und setzte sich in Bewegung, nachdem Frau Much ihm gewinkt hatte.
Beltel und Funk begrüßten Ivonna Martiniak auf Englisch. Sie war wahrscheinlich Ende zwanzig. Ihre blonden, langen Haare waren am Rande des Kopftuchs schweißverklebt. In ihrem