Tod eines Jagdpächters. Thomas Sutter
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Aber nun hatte seine Vergangenheit ihn eingeholt. Er würde sich wieder so verhalten, wie er es früher gelernt hatte. In einer Notwehrsituation bis aufs Ganze gehen. Hart sein, rücksichtslos. Er sah keinen anderen Weg. Jessica und er brauchten jetzt schnell Geld und das war nur auf die altbekannte Art zu beschaffen. Eine Bedrohung war aufgetaucht, an der er keine Schuld trug, so wie er für die Dinge in seinen jungen Jahren keine Schuld trug, und er konnte noch nicht mal den Dederichs vertrauen.
Okay, er und seine Kumpel hatten die Hochstände verwüstet. Purer Übermut war das gewesen. Warum sie das getan hatten, wussten sie alle drei selbst nicht genau. Manchmal war da einfach nur Scheiße im Kopf. Markus und Oli waren im Grunde normale Kids, aber die beiden hatten die Initiative für diesen Unsinn ergriffen. Auch sie konnten ganz schön durchtriebene Jungs sein, deren Unfug bisher aber zu nichts Drastischem geführt hatte.
Hätte Ralf ausschließlich brave Jungs in Loch und Umgebung kennengelernt, wäre er vor Einsamkeit eingegangen. Markus und Oli waren genau richtig gewesen. Nicht so hart wie die Heimkids, aber auch nicht brav angepasst wie die meisten Langweiler aus der Umgebung. Die Verwüstung der Hochstände hätte ihn seine Bewährung kosten können – das war ihm natürlich klar. Insofern war es besser, die Tracht Prügel erhalten zu haben. Als Nirbach und Klötsch auf ihn losgingen, hatte dies tatsächlich Mordlüste in ihm geweckt, aber er hatte den Mann nicht getötet, und war entschlossen, es gar nicht erst darauf ankommen zu lassen, dass ihm niemand glaubte.
Pflegeeltern und Lehrern hatte er gelernt, bis zu einem gewissen Grad zu vertrauen. Polizei und Justiz jedoch würden aber wahrscheinlich nie zu Institutionen zählen, denen er trauen mochte.
Er brauchte einen Grundstock für den Start in ein neues Leben zusammen mit Jessica. Im Ausland würden sie sich eine Arbeit suchen, eine gemeinsame Wohnung und sich Stück für Stück etwas aufbauen. Er musste einen Plan entwickeln und zwar schleunigst. In dieser Scheune wollte er auf keinen Fall eine weitere Nacht verbringen. Sie mussten so schnell wie möglich weg aus der Eifel und aus Deutschland.
Jessica räkelte sich. Sie vertraute ihm und Ralf fühlte sich in der Beschützerrolle stark wie nie zuvor in seinem Leben. Er würde ihr eine ganz neue Zukunft bieten. Egal zu welchem Preis.
Sie breitete die Arme aus und lächelte ihn an. Sofort ließ er die Grübelei sein und nahm sie in die Arme. Die Wärme war wieder da. Jessica und er waren eine Einheit. Er wusste, sie würde alles für ihn tun und er für sie. Nie wieder würde ihr Vater eine Hand an sie legen und nie wieder würde Ralf in ein Heim oder den Knast gehen. Er war stark genug, sie beide aus dieser verflixten Erwachsenenwelt zu befreien.
Ein Geräusch riss die beiden aus ihrer Umarmung. Die alte Scheune war undicht und gab an einigen Stellen den Blick nach draußen frei. Ralf griff sofort nach der Glock, als er den Streifenwagen den Feldweg herauffahren sah. Jessica klammerte sich ängstlich an ihn. Er überlegte, sich hinter dem Scheunentor zu platzieren, um die Bullen zu überraschen. Aber der Polizeiwagen war noch weit genug entfernt, so dass eine Flucht mit dem Roller gelingen musste.
»Wir müssen zum Roller, aber nicht durch das Tor!«, zischte er aufgeregt und wies auf die Strohballen, die sich bis zur Scheunendecke hin stapelten. »Wir springen hinten raus. Schnapp deine Sachen.«
Jessica folgte seinen Anweisungen und wollte sich daranmachen, ihren Schlafsack aufzurollen. »Nein, dafür ist keine Zeit! Die Schlafsäcke lassen wir hier, mach schnell.«
Ralf steckte die Glock in die Jackentasche, aber die Walther konnte er nicht finden. Dann sah er die zweite Pistole. Sie war zwischen zwei Strohballen nach unten gerutscht. Ein Blick nach draußen ließ ihn zu der Entscheidung kommen, auf die zweite Waffe zu verzichten.
Jessica war schon an dem Fenster oberhalb der seitlich gelagerten Strohballen angekommen. Sie mussten etwa zweieinhalb Meter tief springen.
»Lass mich zuerst«, hielt Ralf sie zurück.
»Wieso?«
Jessica war schon unten, bevor Ralf antworten konnte. Er warf die hastig gepackte Tasche hinunter und sprang dann selbst. Schnell brachte er die Kabel zusammen, mit denen er bereits gestern Abend den Roller kurzgeschlossen hatte, schwang sich auf das Gefährt und fuhr zusammen mit Jessica los.
Der Polizeiwagen parkte mit knirschenden Reifen vor der Scheune. Aber das knatternde Motorengeräusch des Rollers verriet die beiden. Der Wagen startete sofort wieder und schoss mit durchdrehenden Reifen hinter die Scheune.
Jessica hatte die Tasche umgehängt und sich fest an ihren Freund geklammert. Der Polizeiwagen scherte, eine Staubwolke verursachend, ebenfalls Richtung Wald ein. Auf dem holprigen Weg konnte das Auto nicht schnell aufholen, es kam dennoch immer näher. Die Tachonadel des Rollers näherte sich der vierzig. Bei dieser Geschwindigkeit war es nicht möglich, die Schlaglöcher zu umfahren. Die Stoßdämpfer stießen hart auf, und der Junge musste den Lenker mit aller Gewalt festhalten. Immer wieder sah er nach hinten.
Der Streifenwagen fuhr gefährlich dicht auf. Nun war er nur noch wenige Meter hinter ihnen. Jetzt stieg der Weg auch noch an und der Roller verlor immer mehr an Geschwindigkeit. Der Streifenwagen näherte sich bis auf höchstens drei Meter. Ralf schaltete runter, aber auch in den tieferen Gängen nahm der Roller bei dem Anstieg keine Geschwindigkeit auf. Er scherte nach rechts aus. Quer durch den Wald, wo es wieder nach unten ging. Die ganze Zeit hielt Jessica sich fest an ihn geklammert.
Nun stoppte das Polizeifahrzeug und die Beamten sprangen heraus.
Von dem Gefälle her gab der Roller nun wieder alles, aber das Unterholz war im Weg. Ralf konnte die Polizisten einfach nicht abhängen, obwohl sie nun zu Fuß unterwegs waren. Plötzlich sah er den Pfad, der höchstens zehn Meter unterhalb und eben verlief. Die Polizisten keuchten und fluchten, während Ralf auf der ebenen Strecke in den nächsthöheren Gang schaltete und endlich die Verfolger abschüttelte.
Gedicht Nummer zwei
Nachdem der Notarzt beim Beerdigungszug eingetroffen war, konnten Beltel und Funk sich wieder ihrer eigentlichen Arbeit widmen. Aber sie hatten in Schweinheim weniger Glück als in Loch. Der Erdbeerbauer war in Euskirchen unterwegs und niemand vermochte zu sagen, wann er zurückkam. Unter den Saisonarbeitern war kein Übersetzer, so dass keine Verständigung stattfinden konnte. Dann kam der Anruf von den Rheinbacher Kollegen. Beltel erfuhr von Klötschs Verletzung und dass er sich im Krankenhaus Euskirchen befand. Beltel wollte sich unbedingt die als Falle konstruierte Nagelpistole ansehen. Die Befragung in Schweinheim musste später nachgeholt werden.
Vor dem Waldhotel Rheinbach standen zwei Streifenwagen, sowie ein Fahrzeug von der Spurensicherung. Die Treppen wurden noch untersucht, so dass Beltel und Funk noch nicht ins Hotelinnere durften. Ihre Geduld wurde nicht zu sehr strapaziert. Nur etwa zehn Minuten nach ihrer Ankunft trat Wolfgang Langen von der Spurensicherung nach draußen. Den Zettel in seiner rechten Hand