Herbst in Nordkorea. Rudolf Bussmann
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Im Moment sei sie außer Betrieb, sagt Herr Kang auf unsere Frage. Sie sei auch schon vierzig Jahre alt.
»Was heißt im Moment?«
Genaueres kann, will, darf er uns nicht sagen. Ob sie repariert wird, aus Sicherheitsgründen geschlossen wurde, ob sie je wieder in Betrieb genommen werden soll, wisse er nicht. Er ist eigentlich nicht verschlossen, er redet gern, es ist angenehm, ihm zuzuhören. Doch sobald das Gespräch auf gewisse Themen kommt, gerät es ins Stocken oder wird umgelenkt. Es sind die Themen, die uns interessieren; sie hängen mit der Wirtschaft des Landes, seiner Geschichte, seinen Katastrophen zusammen.
»Man muss hier im Kaffeesatz lesen«, bemerke ich zu Yu-mi.
»Behalte einfach die Augen offen«, sagt sie. »Zu Hause findest du vielleicht heraus, was du jetzt nicht erfährst.«
Tatsächlich wird die Raffinerie-Ruine vor Rajin zu Hause etwas von ihrem Rätsel preisgeben. Aus Büchern und Internetseiten werde ich von einer politischen Katastrophe erfahren, die mit der Wucht und Geschwindigkeit einer Sturzflut über das Land hereinbrach.
Sie stammt aus den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, einer Zeit, als Nordkorea ein wirtschaftlich aufstrebendes Land war. Nach dem Koreakrieg (1950–1953) waren von ihm nur noch Trümmer übrig geblieben; ein Zehntel seiner Einwohnerinnen und Einwohner war tot. In der letzten Kriegsphase hatten flächendeckende US-Luftangriffe die nordkoreanischen Städte, Industrieanlagen, Dämme, Brücken und Straßen praktisch vollständig zerstört, angeblich, um das Land für eine Friedenslösung gefügig zu machen. Es war eines der größten Massaker der Weltgeschichte. Bis zum Beginn der Waffenstillstandsverhandlungen seien neben den großen Infrastrukturanlagen wie Staudämmen 18 der 22 größten nordkoreanischen Städte zum großen Teil dem Erdboden gleichgemacht worden, lese ich im Internet. US-General William Dean, der ab Juli 1950 in nordkoreanischer Kriegsgefangenschaft gewesen war, erinnerte sich später an die nordkoreanischen Städte und Dörfer als »Ruinen oder verschneite, leere Flächen«. Fast jeder, der ihm begegnet sei, habe Angehörige im Bombenkrieg verloren.
Der Wiederaufbau begann sofort nach dem Waffenstillstandsabkommen vom 27. Juli 1953, den die UNO mit Nordkorea schloss. Unter Führung des charismatischen Kim Il-sung brachte die Bevölkerung das Land in einem beispiellosen Kraftakt so weit voran, dass alle ein Dach über dem Kopf und genügend zu essen hatten. Die nordkoreanische Wirtschaft wuchs stärker als die südkoreanische – 1960 kam der Staatshaushalt praktisch wieder ohne internationale Hilfe aus. Die Einbindung in die sozialistische Staatengemeinschaft führte zu einem regen Handelsverkehr, bei dem Nordkoreas Wirtschaft vom Export seiner reichen Bodenschätze profitierte. Im Gegenzug lieferte etwa die Sowjetunion billiges Erdöl, das in Raffinerien zu Treibstoff verarbeitet wurde. Die Entstehung der Raffinerie vor Rajin verdankt sich sowjetischer Bruderhilfe.
Dann kam 1989. Der Zusammenbruch des Ostblocks traf Nordkorea hart. China und die Sowjetunion, beide selbst in wirtschaftlicher Bedrängnis, kündigten bestehende Verträge und begannen Waren zu Weltmarktpreisen zu liefern. Der nordkoreanische Außenhandel ging dramatisch zurück; von 1990 bis 1998 brach er auf ein Drittel seines Werts ein (vgl. S. 73–84). Dem Land fehlten die Devisen, um Rohstoffe und Energie zu kaufen; die Wirtschaft war daran zu kollabieren. Im Zuge dieser Entwicklung dürfte die Raffinerie Anfang der neunziger Jahre ihre Tore geschlossen haben. Sie nahm bis auf ein kleines Zwischenspiel 1994, als vorübergehend amerikanisches Erdöl ins Land kam, ihre Produktion nicht wieder auf.
Das Hotelfenster in Rajin läßt sich nicht öffnen. Es ist mit einer getönten Folie überzogen. Ein nostalgisches Braun liegt über der leeren Kreuzung, der Brücke, die den Fluss überquert, über der Uferstraße. Ab und zu holpert ein alter Lastwagen vorbei. Personenwagen sind ein Ereignis, sie sind der Post, offiziellen Personen oder Ärzten vorbehalten.
Nähern sich der Kreuzung mehrere Wagen, kommt Bewegung in den blau uniformierten Verkehrspolizisten, der am Straßenrand vor einem Haus steht. Er marschiert in die Mitte auf sein betoniertes rundes Podest, strafft den Körper und beginnt mit ruckartigen Bewegungen die Leere zu dirigieren. Nach getaner Arbeit marschiert er in strengem Schritt an seinen Wartepunkt zurück.
Die beidseitigen Gehsteige sind dagegen belebt. Fußgänger, Leute mit Handwagen, Radfahrer müssen sich den Platz teilen, müssen mit ihren Rucksäcken, Taschen, Brettern, Säcken, den beladenen Rädern aneinander vorbeikommen und gleichzeitig die Spalten im Boden oder die aufstehenden Platten meiden. Oder den Pfützen dort, wo die Gehsteige aus Naturbelag bestehen, ausweichen. Die Straße gehört nicht ihnen, sie ist den nicht vorhandenen Autos vorbehalten. Vor der Kreuzung haben die Radfahrer anzuhalten, vom Rad zu steigen und den Fußgängerstreifen zu Fuß zu überqueren. Erst auf der anderen Straßenseite dürfen sie weiterfahren.
Verkehrsordnung in Absurdistan. Einigen wenigen Privilegierten sind die Straßen vorbehalten, während über neunzig Prozent der Menschen, die unterwegs sind, sich auf den Gehsteigen drängen. Die Benutzung des Fußgängerstreifens ist zwar Pflicht, schützt jedoch keineswegs vor den Autos, die uneingeschränkt Vortritt haben und die Fußgänger, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen, mit ungedrosseltem Tempo hupend von den Zebrastreifen jagen.
Ich erzähle Herrn Lee, wie der Verkehr bei uns geregelt ist; dass die Zebrastreifen mit der Pflicht, sie zu benutzen, zugleich den Schutz vor dem Autoverkehr garantieren und dass die Fahrbahn auch von Radfahrern benutzt wird. Er schaut mich erstaunt an.
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2Zur Raffinerieruine vor Rajin vgl. Rüdiger Frank, Unterwegs in Nordkorea, S. 332.
Die Sonderwirtschaftszone Rasŏn
Dunkle Wolkenschiffe jagen über den Himmel, das Meer wirft schiefergraue Wellen an die Küste. Lichtinseln breiten sich auf dem Wasser aus und verschwinden. Verankerte Fischerboote schwanken in der Bucht.
Der Strand ist leer. Ein wuchtiger Gebäudekomplex erinnert an einen der Hotelkästen, wie sie in den fünfziger Jahren an die südeuropäischen Mittelmeerstrände geklotzt wurden. Es ist ein Kasino.
»Seit achtzehn Jahren ist es in Betrieb und gehört einem Unternehmer aus Hongkong«, sagt Herr Kang auf meine erstaunte Frage mit unbewegter Miene. »Er wollte es ursprünglich auf die Insel Pipa dort drüben stellen. Aber«, sagt er mit leichtem Nachdruck, »das wurde ihm nicht erlaubt.«
»Von wem nicht erlaubt? Von der Partei?«
»Von der Provinzregierung.«
»Also doch von der Partei?«
»Eigentlich nicht. Von der Provinzregierung.«
Die Wege, die ein Projektverfahren in Nordkorea nimmt, sind schwer zu durchschauen. Die Mitglieder der Regierungen auf allen Ebenen sind zugleich Funktionäre der omnipräsenten Partei der Arbeit, deren Direktiven durch die Regierungen vermittelt und umgesetzt werden. Dass es zwischen der zentralen Parteileitung und den regionalen politischen Gremien zu Differenzen kommt, ist zu vermuten. An die Öffentlichkeit dringt davon nichts.
»Das Kasino spielt also einem privaten Financier aus Hongkong Geld in die Tasche? In der Demokratischen Volksrepublik Nordkorea?«
Herr Kang erklärt. Wir