Die kleine Stadt. Heinrich Mann

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Die kleine Stadt - Heinrich Mann

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und ihre weit von­ein­an­der ent­fern­ten Au­gen gin­gen kalt über die wach­sen­de Men­ge, als prüf­te eine Macht die an­de­re. Beim An­blick des vor ihr ge­krümm­ten Schnei­ders be­kam sie un­ver­mu­tet ein Kin­der­lä­cheln und gab ihm eine klei­ne graue Hand.

      Da­rauf schüt­tel­te er die Rech­te des al­ten Te­nors, der über die an­de­ren Sän­ger eine Ge­bär­de be­schrieb, ohne dass er da­bei hin­sah: wie ein Fürst, der sein Ge­fol­ge vor­stellt.

      »Herr Vir­gi­nio Gad­di, Ba­ri­ton.«

      Der un­ter­setz­te Mann mit dem Cäsa­ren­pro­fil misch­te sich, eine Hand in der Ho­sen­ta­sche, un­ter die Bür­ger.

      »Fräu­lein Ita­lia Mo­le­sin, So­pran.«

      Die der­be Schwarz­haa­ri­ge lach­te mit großen Zäh­nen al­len zu und stieß da­bei ko­kett mit den Schul­tern, um den Schal zu­rück­zu­wer­fen; denn sie trug einen Schal, wie die Mas­se der Mäd­chen, und kei­nen Hut.

      »Herr Nel­lo Gen­na­ri, ly­ri­scher Te­nor.«

      Da sa­hen die Frau­en das matt­blei­che Ge­sicht des jüngs­ten Man­nes sich ih­nen zu­wen­den. Weil es ein­fach und stark ge­mei­ßelt war, er­kann­ten die am wei­tes­ten Ent­fern­ten es, reck­ten sich und sag­ten laut:

      »Oh! Ist er schön!«

      Sei­ne Au­gen dank­ten ih­nen al­len, ohne Über­ra­schung und ohne Ei­fer, mit ein we­nig schwer­mü­ti­gem Spott.

      Nun aber wen­de­te der Ca­va­lie­re Gior­da­no sich nach dem Mäd­chen um, das für sich stand, beug­te leicht vor ihr den Rumpf und sag­te mit ent­zück­ter Stim­me:

      »Und dies ist un­se­re Pri­ma­don­na as­so­luta, das Fräu­lein Flo­ra Gar­lin­da, eine Künst­le­rin von un­er­mess­li­cher Zu­kunft, die Hoff­nung der ly­ri­schen Büh­ne Ita­li­ens.«

      Dann sah er er­war­tungs­voll die Bür­ger an. Der Ad­vo­kat, der ihr am nächs­ten stand, fuhr ein we­nig zu­rück; und dann hul­dig­te er der Pri­ma­don­na umso ehr­furchts­vol­ler, je we­ni­ger er sie vor­her be­ach­tet hat­te. Er frag­te sie, ob sie schon in der Sca­la ge­sun­gen habe. Sie zuck­te die Ach­seln und krümm­te den Mund, als ver­ach­te­te sie die Sca­la. Da­rauf mach­te er einen großen Kratz­fuß.

      »Ein Fräu­lein wie Sie muss wohl Lieb­ha­ber ha­ben, so vie­le es nur will.«

      Sie lach­te auf und ließ ihn ste­hen. Er schiel­te nach rechts und nach links, ob man es ge­se­hen habe; – aber in die­sem Au­gen­blick schwank­te die Men­ge: je­mand teil­te sie, mit den Ar­men stür­misch über ih­ren Schul­tern ru­dernd.

      »Der Mae­stro!«

      Er war an­ge­langt; er keuch­te. Sei­ne hel­le Ge­sichts­haut war un­ter sei­nem leich­ten blon­den Bart ganz ro­sig be­wölkt, sein ver­le­gen ehr­gei­zi­ges Lä­cheln zer­ging manch­mal, und dann sah man, dass er zor­nig war. Er setz­te an:

      »Das ist aber … Ich den­ke doch, ich bin hier der Ka­pell­meis­ter … Die von mir en­ga­gier­ten Künst­ler sind da, und nie­mand ruft mich? Herr Ad­vo­kat, ich muss Sie …«

      Der Ad­vo­kat klopf­te ihm auf den Rücken.

      »Mein lie­ber Dor­leng­hi, al­les geht gut, ich habe mich als Vor­sit­zen­der des Ko­mi­tees mit die­sen Her­ren be­reits ins Ein­ver­neh­men ge­setzt.«

      »Aber ich be­grei­fe nicht, wie man ohne mich … Dann füh­ren doch Sie den Ka­pell­meis­ter­stab!«

      »Sei­en Sie gut, Dor­leng­hi!« sag­te der Apo­the­ker, und Pol­li, der Ta­bak­händ­ler, mein­te:

      »Das al­les ist doch nicht der Mühe wert.«

      Der Mu­si­ker warf die Arme noch hö­her.

      »Nicht der Mühe wert! Ah! Ca­va­lie­re: denn ich irre mich nicht, Sie sind der Ca­va­lie­re Gior­da­no, und ich hei­ße En­ri­co Dor­leng­hi und bin Di­ri­gent ei­ner Dorf­ka­pel­le, nichts wei­ter. Ich habe in mei­nem Zim­mer ge­ses­sen, da hin­ten in ei­nem Win­kel der Stadt, wo man nichts hört noch sieht, und habe an ei­ner Mes­se ge­schrie­ben, die ich noch die­sen Herbst in der Kir­che auf­füh­ren soll. In­zwi­schen ern­ten die­se Her­ren die Frucht mei­ner Be­mü­hun­gen; denn ich bin stolz, Sie, Ca­va­lie­re, un­se­rer Büh­ne ge­won­nen zu ha­ben, Sie und Ihre Kol­le­gen. Nicht der Mühe wert! Wenn Sie ahn­ten, welch ein Er­eig­nis für einen Ver­bann­ten, Ge­op­fer­ten …«

      Er ging mit dem al­ten Sän­ger um den Post­wa­gen her­um; sei­ne keu­chen­de Stim­me ver­sank manch­mal, denn das Volk schrie ihm zu. Vie­le schri­en auf ein­mal: »Bra­vo, Mae­stro!« an­de­re: »Seht, er ist ver­rückt ge­wor­den!« Und die meis­ten wuss­ten nicht, wer ge­meint war, und rie­fen: »He, Ma­set­ti!« nach dem Kut­scher, der, stimm­los vom Schel­ten, an den Pfer­den zerr­te. Er saß mit ih­nen fest; Jun­gen kro­chen zwi­schen den Bei­nen der Men­ge her­vor und knif­fen ihn. Er schlug aus … In­zwi­schen ward der Ka­pell­meis­ter wie­der sicht­bar, noch im­mer fuch­telnd. Plötz­lich stand er vor der Pri­ma­don­na. Wie der Ca­va­lie­re sie nann­te, sa­hen sie sich an. Der Mu­si­ker war auf ein­mal ver­stummt, die jun­ge Sän­ge­rin sah aus, als göl­te es: und die Hän­de, die sie sich hät­ten rei­chen sol­len, noch in der Schwe­be, tra­ten bei­de ein we­nig zu­rück. Dann be­grüß­ten sie sich: er ro­sig von ver­le­ge­nem Ehr­geiz, sie mit dem ent­schlos­se­nen Blick von Macht zu Macht, den sie auch auf das Volk ge­rich­tet hat­te. Der Ka­pell­meis­ter sag­te:

      »Ich wür­de mich an die ›Ar­me To­ni­et­ta‹ nicht her­an­wa­gen, hät­te ich für die Haup­trol­le nicht Sie ge­won­nen, Fräu­lein Flo­ra Gar­lin­da.«

      Sie lä­chel­te gnä­dig.

      »Auch Ihr Name, Mae­stro, fängt an, sehr be­kannt zu wer­den. Noch neu­lich in So­g­lia­co sag­te der Di­rek­tor Cre­mo­ne­si …«

      Er hat­te ein Ge­sicht wie ein Hun­gern­der. Aber ihre Wor­te gin­gen aus, wie er kaum an­fing, sie zu ver­schlin­gen. Der Gast­wirt Ma­land­ri­ni bot ihr eins sei­ner bei­den Zim­mer an. Der große be­leib­te Mann war laut­los, man wuss­te nicht wie, durch das Ge­drän­ge ge­langt, lä­chel­te breit und glatt und kann­te schon je­den beim Na­men.

      »Ih­nen, Ca­va­lie­re, mei­nen Ehren­sa­lon! Gera­de muss ich den Hand­lungs­rei­sen­den ha­ben, der im­mer her­kommt; und zu­dem ist ein Frem­der da, der nichts tut: sonst wür­de ich alle die­se Da­men und Her­ren zu mir ein­la­den. Sie aber, Fräu­lein Flo­ra Gar­lin­da …«

      Die Pri­ma­don­na lehn­te ab; sie sei zu arm, um ins Gast­haus zu ge­hen.

      »Der Di­rek­tor Cre­mo­ne­si«, sag­te angst­voll der Mae­stro, »gilt für ge­schickt.«

      Der Perücken­ma­cher No­nog­gi kam da­zwi­schen, die­ner­te auf ei­nem Bein und emp­fahl sich den

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