Die kleine Stadt. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die kleine Stadt - Heinrich Mann страница 8
»Wenn sie noch da wäre? Vielleicht erwartet sie mich! Vielleicht aber war sie ein Gesicht und nur ich hatte es?«
Die schattigen Räume mit dem Blick durchirrend:
»O Alba! Süßes Morgenlicht, gehe mir auf! Ich liebe dich. Wenn ich dich finde, will ich in dir verbrennen. Soll ich niemals lieben? Ich hasse die Weiber, die ich gehabt habe. Ich bin zwanzig Jahre, und ich will dich lieben, o Alba, immer, immer.«
Er schwankte, im Rausch seines Herzens. Als er dann hinaustrat, ging beim Glockenturm, wo es am dunkelsten war, irgendetwas hin und her, langsam immer hin und her. Der Tenor machte sich rasch herzu.
»Heda, guter Mann, sagt doch …«
»Wie?« fragte der Kaufmann Mancafede und blieb stehen.
»Verzeihen Sie, Herr …«
Der junge Mann erwachte verwirrt. Seit einer Stunde lebte er in einer Welt von Abenteuern, denen alles Volk beiwohnte und die doch nur ihm galten. Diese Stadt und das Wunder in ihr hatten ihn erwartet. Er flog von einem zum anderen als einziger Fühlender zwischen verzauberten Steinen und fragte nach der wunderbaren Frau.
»… ich wollte nur …«, stammelte er. »Mein Herr, ich bin fremd hier.«
»Man weiß«, sagte der Kaufmann. »Der Herr ist einer der Komödianten.«
»Sie werden auch begreifen, mein Herr, dass man in meinem Alter nicht immer … dass man … Oh, mein Herr, sie ging in den Dom.«
»Ah! in den Dom ging sie.«
»Sie kennen sie?«
»Das sage ich nicht. Aber um Ihnen gefällig zu sein, will ich mich bei meiner Tochter erkundigen.«
»Sie wollen … Oh!«
Der Kaufmann ging ins Haus. Der junge Mann fragte nicht, wer diese Tochter sei, die das Erlebnis seines Herzens kannte. Er ließ geschehen, dass die Schleier der Verzauberung wieder heraufstiegen. Mit beiden Händen umfasste er seine Schläfen, tat zwei stürzende Schritte und schüttelte sich ganz.
»O Alba! Süßes Morgenlicht!«
Der Kaufmann kehrte zurück.
»Meine Tochter weiß wohl, wen Sie meinen; aber sie sagt es Ihnen nicht.«
»Warum nicht?«
»Meine Tochter wird auch das wissen.«
»Aber die Frau hat mich angesehen! Sie wandte sich um, noch in der Domtür, und sah mich an, mich allein.«
»Sie hat Sie also angesehen.«
Der junge Mann stampfte auf.
»Wen geht das alles an, als nur mich! Was will Ihre Tochter! Aber sie weiß gar nichts, Ihre Tochter!«
»Oho!«
Der Kaufmann verlor seine Trockenheit.
»Wenn meine Tochter nichts weiß, dann haben Sie geträumt, junger Mann, und es ist nichts geschehen. Was geschehen ist, das weiß sie auch.«
»Warum sagt sies also nicht?«
»Soll sie jener Unglücklichen einen Menschen schicken, der sie verführt? Meine Tochter ist nicht sehr eingenommen für dergleichen. Aber wissen: oh, sie weiß alles.«
»Mein Herr« – und Nellos Stimme schmeichelte. »Hier habe ich einen schönen Ring. Sie sind Kaufmann. Sie werden den Wert dieses Rubins zu bestimmen verstehen. Wissen Sie, zu welchem Preise ich ihn Ihnen gebe? Für den Namen, mein Herr, für den Namen!«
»Lassen Sie doch sehen!«
Mancafede zog den jungen Mann am Ringfinger bis unter die Lampe vor dem Dom. Plötzlich sah er auf, mit schwarzen Runzeln über die Hornränder seines Klemmers hinweg.
»Von wem haben denn Sie einen solchen Ring, junger Mann?«
Nello errötete tief, zog den Finger zurück und machte sich mit einem Gemurmel davon.
»Ich bin ihrer unwürdig! Noch trage ich den Ring von der Frau des Juweliers!«
Und er suchte Dunkel auf.
Aber es blieb nicht dunkel. Aus dem Corso, über den Platz und zum Tor stürmte ein Haufen Jungen mit Kerzen in Papiertüten. Alle schrien:
»Sie kommen! Es kommen noch mehr!«
Sogleich klappten ringsum Fensterläden an die Mauern, und Licht fiel herab. Die Häuser begannen sich wieder zu leeren von Neugierigen, die noch die Münder wischten. Alle sammelten sich am Ausgange des Platzes, reckten die Arme nach dem Tor und lärmten mit. Denn immer lauter ward dort hinten das Gewirr von Lachen und Gekreisch, das Trommeln auf Holz, das Singen … Und mit Rasseln, Knallen und Gebell und umtollt von den Windlichtern der Jungen, brach, voll weiblicher Schreistimmen, ein ganz bunter Wagen herein – niemand begriff etwas vor Buntheit – fuhr mitten auf den Platz und war da. Schon standen, rückwärts gebogen, junge Leute darum her und breiteten Arme aus, lauter Arme, die sich wiegten; – und auf allen Seiten des hohen Stellwagens blähten bunte Röcke und Blusen sich auf, wie die Mädchen hinab in die Arme sprangen, mit geschlossenen Augen darauf los, als sei ringsum Wasser. Dann kletterten die Männer herab.
»Die Choristen sind gekommen!« rief man den Häusern hinan; und die noch droben waren, stiegen auf den Platz. Im Café ward es ganz hell. Der Konditor Serafini im Corso musste seinen Laden wieder aufgemacht haben, denn der Karren mit dem Gefrorenen klingelte durchs Gedränge. Der Advokat Belotti wand sich hindurch, er keuchte.
»Wir haben Wohnungen, meine Damen, wir sind das Komitee.«
»Wir sind das Komitee«, heulten die Jungen ihm nach.
Der Advokat schwenkte immer krampfhafter seine Liste über den Köpfen. Der Schneider Chiaralunzi und der junge Savezzo riefen ihren Freunden zu, die Musikinstrumente zu holen.
»Gott! Hilf noch dies eine Mal!« schrie