Die Rose im Staub. Sarah Skitschak

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Die Rose im Staub - Sarah Skitschak

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wusste ich: Es war ein unbeliebter Schachzug unter den Bürgern – jedoch einer, der mir eine längere Pause zwischen den Stichprobenkontrollen gewährte und mir die Gelegenheit offenließ, die kurzzeitige Schockreaktion meines Körpers wieder zu dämmen. Wollte man den Kapriolen meines Herzschlags Glauben schenken, so erschien mir eine längere Pause um der eigenen Gesundheit willen auch mehr als nötig. Wie ein verschreckt flatternder Vogel im goldenen Käfig donnerte der Muskel gegen meine Rippen, während sich der kalte Schweiß bereits über meinen Rücken ergoss und die Gewandung unter der Soldatenrüstung förmlich durchtränkte.

      All dies, weil ein Bürger seinen Pass länger als gewöhnlich hatte suchen müssen.

      All dies, weil die Befehle auf sofortige Tötung von Dieben lauteten.

      Ich hasse den Wasserwachdienst.

      Abermals wanderten meine Augen durch die Massen, die nach meinen Worten ein gutes Stück hinter der Grenzlinie zurückgewichen waren. Da waren Sklaven von höhergestellten Bürgern mit Holzkonstruktionen über ihren Schultern, ärmliche Frauen in schmutzigen Leinen mit Tonkrügen auf ihren Hochsteckfrisuren, Männer in sandverfärbten Roben neben geflochtenen Wasserkörben … und eine verhüllte Gestalt mit einem Wasserschlauch in der Hand. Ja, eine verhüllte Gestalt, die im Gegensatz zu den anderen Städtern nur wenig Furcht im Herzen zu hegen schien.

      Ich vermutete einen weiblichen Körper unter dem braunen Sonnenschutzmantel und glaubte, unter all den Lagen und der weiten Kapuze wohl eine Händlerin aus den südlichen Regionen der Lande finden zu müssen. Die Tracht galt in den Südstädten weit verbreitet.

      Der dichtgewobene Stoff sollte die Trägerin vor übermäßiger Lichteinstrahlung schützen, die hellere Haut der Südländerin im Dunkeln und die Einwirkung des Zentralsterns so gering als möglich halten – wie es sich bei adeligen Händlerinnen aus den südlichen Häusern nun einmal schickte. In den Randgebieten des Marktplatzes waren einige der Braunkutten zu sehen, wie sie ihre Waren auf den langen Händlertischen feilboten … und eben auch die jüngeren Gildenmitglieder in Richtung des Brunnens sandten, um auf eine ausreichende Wasserversorgung zu achten. Zwar verbarg der Sonnenmantel die weiße Zeremonientracht unter den dunkleren Leinen, doch das sichere Auftreten jener Botin …

      Ein geringes Risiko, oder?

      Alle Händler besitzen gesonderte Pässe.

      »Du, Braunkutte«, beschloss ich kurzerhand laut. »Wie viele Kellen stehen dir zu?«

      Die Gewandungsgestalt zuckte unwillkürlich zusammen, als hätten meine Worte wie ein Blitz in ihren Körper geschlagen und sämtliche Glieder augenblicklich zu Stein werden lassen. Die Braunkutte schien zu einer Marmorversion ihres Selbst zu erstarren und ihre Füße als Wurzeln in den Boden zu stemmen, bis sie von einer der Frauen nach vorne gestoßen wurde. Ihre Füße stolperten über die Glasmarkierung, noch ehe sie das Gleichgewicht zu finden vermochte, noch ehe überhaupt eine Reaktion ihrerseits erfolgte und gegen die rüde Behandlung der anderen aufbegehrte. Was anfangs wie ein sicheres Kartenspiel anmuten wollte, verwandelte sich zu einem Tanz auf Messers Schneide.

      Da stand sie. Allein. Vor der Markierung. Zögerte.

      Durch die Menge in ihrem Rücken ging ein erleichtertes Raunen …

      … doch durch mein Herz ging ein unerwarteter Dolchstoß, der mich meine Wahl aufs Tiefste bereuen ließ.

      Noch während die verhüllte Gestalt wie eine Marmorstatuette auf der Stelle verharrte, vermutete ich bereits mit Furcht im Gemüt, dass ich dieses eine Mal die falsche Wahl getroffen haben sollte.

      »Komm nach vorn«, presste ich meinen Befehl hervor.

      Und obgleich ich beinahe auf ihre Weigerung hoffte und sie vor meinen inneren Augen auf der Flucht vor den anderen Soldaten sah, obgleich ich hoffte, sie würde sich umdrehen und durch die Menge in Richtung der Stadttore stürzen, obgleich ich im Stillen an ihre Vernunft appellierte … raffte die Gestalt ihren Sonnenmantel und überbrückte die Distanz bis zum Wachposten ganz ohne Zögern. Die vermeintliche Händlerin nahm den Wasserbeutel in ihre Linke, ließ die Rechte heimlich in Richtung des Gürtels verschwinden und hob den Blick, als sie meine Position erreichte.

      Kaum ein halber Meter trennte uns mehr.

      Durch die Bewegung ihres Kopfes schälte das Sonnenlicht ihre Miene aus dem Schatten der Kutte und enthüllte die atemberaubendsten Augen, die mir in meinem Leben jemals hätten begegnen sollen. Strahlendes Stahlblau reflektierte den Schein ihrer Blicke, verwandelte die Tiefen ihrer Iris in Teiche von Silber und raubte mir im bloßen Anblick den Atem. Die sonnengebräunte Haut schmiegte sich in satten Farbverläufen unter die Brauen und wartete auf den glänzenden Wangen mit weißer Stammesbemalung auf. Das Haar – dunkelbraun, etwas strohig, doch zu einem üppigen Zopf zusammengebunden und seitlich über die Schulter gelegt.

      Ich wusste umgehend, dass es sich um eine Wilde aus dem Land der Namenlosen handelte.

      Dennoch versagte mein Geist jegliche Reaktion.

      Mir blieb nur, die katzenhaften Züge der Frau mit meinen Blicken Stück für Stück zu umschweifen und jede Sekunde des Anblicks mit meinen Erinnerungen aufzusaugen, um das gottgleiche Bildnis niemals mehr vergessen zu müssen. Hatte ich stets an die Nicht-Existenz von Göttern geglaubt, so sah ich mich nun der lebenden Lügenstrafe der Gedanken gegenüber. Eine solch anmutige Wildheit in ihrer Miene, die unübertreffliche Perfektion in den Proportionen, die Augen, die jegliche Seele durchdrangen … Jegliches Detail ihres Körpers schien von überirdischen Gegebenheiten gesegnet worden zu sein, als hätte sich tatsächlich ein Gott das Abbild dieser Frau ersonnen.

      Ich mochte meinen eigenen Augen nicht glauben.

      Es war, als erweckte ihr Anblick binnen Sekunden Altes in mir, als hätte ich sie schon einmal in Träumen oder Gedanken gesehen und wäre darin dem Schöpfungsfunken begegnet – ohne ein Verständnis dessen ergreifen zu können.

      »Den … den Pass«, stammelte ich mit geweiteten Augen, obwohl ich um die Lächerlichkeit meiner eigenen Aufforderung wusste.

      Mein Gegenüber schien nicht einmal zu blinzeln. Die Namenlose reckte mir den Wasserschlauch entgegen und enthüllte indessen weitere Stammesbemalungen an ihren Fingern, sodass ich in einer Impulsreaktion näher an sie herantrat und die weiße Farbe vor den Augen der umstehenden Städter verbarg. Ihre Hand wurde an meinen Brustpanzer gedrückt, zuckte in der Berührung rasch nach hinten und ließ den Wasserschlauch in den Spalt zwischen unseren Körpern fallen.

      Es waren Sekunden, in denen mir das Denken unmöglich erschien.

      Mit einem uneleganten Platschen kam der Fellbeutel auf dem Pflasterstein auf.

      Dann wusste ich nichts mehr. Absolut nichts mehr.

      In jeder anderen Situation wäre wahrscheinlich eine Gedankenwalze über mich gekommen und hätte mich mit Zweifeln niedergedrückt, hätte mich an meine Befehle erinnert und daran, dass man mir gebot, die Wilde zu töten. In jeder anderen Situation wäre meine Hand zum Griff des Schwertes geschnellt, bloß, um dort zögernd innezuhalten und meine größte Angst vor aller Welt offen preiszugeben.

      Doch nun. Nichts.

      Rein gar nichts.

      Während mich die stahlblauen Blicke der Frau durchbohrten und kaum einen Gedanken hinter der Fassade erkennen ließen, beugte ich mich zu ihrem Wasserschlauch und las ihn von den Pflastersteinen. Über die Handlung kam ich der Wilden noch näher und gab mich, als hielte ich

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