Die Rose im Staub. Sarah Skitschak

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Die Rose im Staub - Sarah Skitschak

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mit den anderen Stammesmitgliedern vorzubereiten, den Triumph dieses Wasserdiebstahls gebührend zu feiern. All diese Dinge schienen wie bloße Ereignisketten hintereinander abzulaufen, schienen sich förmlich in ihrer Geschwindigkeit zu überschlagen, und drohten, mich mit all ihren Eindrücken zu überwältigen.

      Kein Wunder daher, dass ich vorübergehend aus dem Dorf geflüchtet war.

      Noch immer blickte ich auf die blauen Kaskaden des Himmelsbands, als wäre irgendwo zwischen Blassblau und Cyan, den wehenden weißen Sanden und Dünenkronen, ein Sinn hinter all diesen Dingen verborgen. Als wären all jene Abfolgen aus einem Grunde geschehen und in tröstlicher Gewissheit einer Planung erfolgt, die dem guten Zweck unserer Götter dienten, die eben nicht dem Zufall geschuldet waren und mich in den Weiten des Kosmos verloren glauben ließen. Als wäre ich nie in echter Gefahr gewesen, weil die Götter einen anderen Weg für mich verfügten.

      Meine Blicke strichen über die Sandwehen der Dünenspitzen und verfolgten die fliehenden Körner, als könnte ich mich für einen Moment aus den Fesseln des Körperlichen lösen und mit ihnen über das klare Himmelsband tanzen.

      Nach Gwerdhyll. Der Stadt, in der mein Schicksal eine Kurve geschlagen hatte.

      Vor der blauen Leinwand manifestierte es sich erneut: das Antlitz des Soldaten, der mein Leben in andere Bahnen lenkte.

      Ich wollte ihn hassen; wollte ihn wahrlich hassen und bald schon vergessen wie die anderen Städter, doch …

      Ich sah sein breitgeformtes Gesicht direkt vor Augen, sah selbst die Form seiner buschigen Brauen, die geschwungene Form seines Stirnansatzes und die kurzen Locken auf seinem Haupt, deren Farbe ich wohl kaum auf andere Weise als durch das Wort straßenköterblond zu bezeichnen glaubte. Ja, ich sah selbst das Grün seiner durchdringenden Iris, das im Gegensatz zu Jharrns stachelgrünem Blick wie die sanfte Färbung einer Graspflanze anmuten wollte, das mich bis in die Tiefen meiner Seele durchdrang und mich mit seinem Versprechen auf Leben beinahe in ein Gefühl des Geborgenseins hüllte. Alle Einzelheiten der Soldatenzüge zeichneten sich auf den blauen Grund, machten mich selbst seine kurzen Bartstoppeln und die hauchzarten Schnittnarben auf den Wangen erkennen.

      Es war, als stünde der Mann unmittelbar vor mir.

      Als projizierte sich sein Antlitz direkt in den Himmel.

      Obwohl ich mir jegliche Erinnerung an das Gesicht des Mannes verbot und mir die Reaktion meines Körpers bei mir höchstselbst nicht zu erklären vermochte, so durchströmte doch ein unleugbares Gefühl für Fügung meinen Aderkreislauf. Wie warmer Honig sickerte das befremdliche Empfinden durch meine Nervenbahnen, ummantelte meinen Geist mit einer augenscheinlichen Bestimmtheit und jagte mir indessen kalte Schauer über den Rücken. Die Augen des Städters schienen sich in meine Seele zu brennen, mich an eine bekannte Person erinnern zu wollen, die ich in Erinnerungen jedoch nicht mehr greifen konnte.

      Vergangenes. Verwaschenes. Verweht wie die Dünen.

      Ein Gefühl für Hitze und Kälte zugleich, als wären in diesen Sekunden auf dem Marktplatz von Gwerdhyll … als wären zwei Welten kollidiert, die sich niemals hätten begegnen dürfen … die sich unweigerlich begegnet waren, auf dass sie sich nicht ohne Weiteres voneinander zu lösen vermochten.

      Soll es wirklich derart schicksalsgebunden gewesen sein oder folge ich einer Sinnestäuschung?

      Sag mir, Städter jenseits der Mauern, weshalb kann ich dein Gesicht nicht vergessen?

      Erinnerst du dich an mich oder wird mein Bild dir entgleiten?

      Bin ich bloß eine Wilde?

      Weshalb hast du mich dann nicht getötet?

      Ich nahm einen tiefen Atemzug in die beklemmende Stille, die jegliche Vertrautheit aus der Farbe meines Lieblingsortes gewaschen und die Atmosphäre meiner Sandoase gewandelt hatte. Dann schüttelte ich entschieden den Kopf, straffte meine Schultern nach hinten, nahm einen weiteren Atemzug und machte mich glauben, ich könnte auch dieses Erlebnis eines Tages vergessen.

      Schließlich handelte es sich um einen wertlosen Städter. Der Feind hinter den Mauern. Das ureigene Übel.

      Nein, dir stehen meine Gedanken nicht zu!

      Mit der Hand angelte ich nach einer ledernen Tasche.

      Der schlauchförmige Beutel aus Ziegenfellen und Rinderhaut lag mittlerweile von Sand überzogen im Staub, verwuchs allmählich mit den Farben der Wüste und wäre bald gänzlich mit der Steppe verschmolzen, hätte ich ihn nicht in meiner Kurzschlussreaktion aus seiner misslichen Lage befreit. So klopfte ich mit energischen Bewegungen die feinen Partikel aus dem Ziegenfell und platzierte das gute Stück erst danach auf dem Schoß, um meine Finger ins Innere der Tasche gleiten zu lassen.

      Es dauerte nicht lange, ehe ich das Objekt der Begierde zu fassen bekam.

      Meine Fingerkuppen ertasteten den rauen Stamm einer Pflanze. Die zierlichen Knospen. Die Wurzelknolle.

      »Na also.«

      Ich schloss meinen Griff um die sich verjüngende Stelle des Holzteils und befreite die Wüstenrose aus dem Schatten des Beutels. Kaum war die Pflanze aus dem Dunkel geglitten, da entwich mir auch schon ein behaglicher Seufzer, wie ich da so auf meinen Schützling blickte und das kostbare Gut in den Händen wog. Bald schon würden Blüten in Farben von zartrosa bis rot aus den Knospen brechen, den Stamm in eine Krone aus Blumen hüllen … und meinem Lieblingsplatz eine neue Maske verleihen.

      An diesem Ort wollte ich meinen Schützling pflanzen. Ich wollte wieder eine Wüstenrose pflanzen, wie ich es mir seit jeher zur Aufgabe machte.

      Denn – ungeachtet meiner Geschichte, ungeachtet der Kommentare meines Stammes, ungeachtet all der düster darbenden Dinge der Welt, ungeachtet des Schicksals, ungeachtet der Götter – da hegte ich einen utopischen Traum im Herzen.

      Den Traum, meine Wüste würde eines Tages im Meer zahlreicher Wüstenrosen erblühen und sich über den Staub ihrer Vergangenheit erhaben erweisen.

      In einer vorsichtigen Geste strich ich über die Blätter der Rose, führte sie unter meine Nase und kostete den Duft des puren Grüns jenes Wunders. Wohl wusste ich um die zahlreichen Strapazen, die hinter dem kleinen Sprössling lagen und ihn so manches Mal an den Rand des Todes getrieben hatten, die mich um die bloße Existenz des Grüns hatten bangen und mich mit allen Mitteln für das Pflänzchen hatten kämpfen lassen. Wohl wusste ich um die Mühen hinter dem Grün, die es nun einmal kostete, wollte man den Setzling mit wenigen Wasserresten von Ritualen und Pferdemist am Leben erhalten.

      Doch die Rose hatte selbst den dürrsten Perioden getrotzt.

      Sie hatte überlebt. Meine Rose war bereit, in die Steppe entlassen zu werden und auf den Regen des nächsten Rituals zu harren.

      Ich bedachte die größte der Knospen mit einem Kuss und setzte die Rose auf den versandeten Boden. Dann befreite ich eine Harke aus meinem Gürtel, schob die oberen Sandschichten beiseite und machte mich daran, ein Loch in die härteren Erdschichten unter den Verwehungen zu graben. Der trockene Boden platzte, bröckelte, sprang wie die trockenen Lippen des Landes, doch grub sich das Werkzeug Schicht für Schicht in die Tiefe und schuf ein Bett für die Rose im Staub.

      »Du wirst nicht lange auf den Regen warten müssen«, versicherte ich der Pflanze mit mutiger Brust. »Die Älteste hat das Ritual für den morgigen Abend angesetzt – und so die Götter es wollen, schenken sie uns einen Schauer,

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