Die Rose im Staub. Sarah Skitschak
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Читать онлайн книгу Die Rose im Staub - Sarah Skitschak страница 20
»Lass mich nicht umsonst hoffen, kleine Rose«, bat ich das Pflänzchen.
Aus dem Wasserschlauch entließ ich die kläglichen Tropfen, die nach der Übergabe an die Stammesälteste noch im Transportgefäß verblieben waren. Die aufgewühlte Erdschicht schluckte das Wasser mit gierigen Zügen und verfärbte sich derart rasch, dass man meinen mochte, sie wäre ein Verdurstender an der Schwelle des Todes.
Womöglich lag dieser Umstand der Wahrheit nicht fern.
Ich bettete die Wüstenrose in die feuchtgewordene Höhle und schlug die Erdklumpen wieder über die Wurzel, um sie danach mit weiteren Wassertropfen fest auf den Knollenstamm zu drücken. Die lehmartige Masse schien mit dem Stamm zu verwachsen, verankerte die Pflanze an ihrem Platz und ließ sie selbst den Wüstenwinden trotzen.
Da stand sie nun. Meine Wüstenrose.
Da stand sie und machte mich glauben, dass der Tag wohl doch noch ein guter werden würde.
Zu diesem Zeitpunkt konnte und wollte ich nicht erahnen, wie sehr ich mich in jenem Glauben nur täuschte.
***
»Ich wusste, dass ich dich hier finden würde.«
Die knarzende Frauenstimme hinter den Felsen ließ den Atem in meiner Kehle stocken, so sehr hatte ich mich in meine Gedankenwelten vergraben und in den Utopien einer blühenden Wüste verloren. Zunächst erschien mir der Klang jener Worte derart fremd, derart Stille zerstörend und fehl an diesem friedlichen Ort, dass ich die Person hinter den Sätzen über Minuten nicht einordnen konnte. Dann allerdings trat die Gestalt hinter den Steinen hervor …
… und ich landete unwillkürlich in der Realität.
»Sei gegrüßt, Nakhara«, krächzte die Stammesälteste.
Ein Schmunzeln legte sich auf das faltenzerfurchte Gesicht jener Frau, deren Körper unter einem roten Leinengewand verborgen war und indessen jegliche Körperlichkeit an die zahlreichen Stofflagen zu verlieren schien. Die Zeremonienkleidung bedeckte den buckligen Leib wie eine Wand des Unantastbaren, täuschte die Sinne mit zahlreichen Perlen und reflektierte die Sonne mit ihren bunten Scherben, sodass man glaubte, die Älteste würde über die Sanddünen schweben. Lediglich ihre knochigen Hände verliehen der Gestalt ein wenig Menschlichkeit, wie sie da so ohne jegliche Hautfarbe aus den Ärmeln ragten und sich an einen Gehstock aus Wurzeln klammerten.
Silbernes Haar schmiegte sich als Zopf an die Wange. Die Miene lag im Schatten eines dunklen Turbans, doch ihre Augen, die blitzten stahlblau aus der Nacht ihrer Kleidung.
»Sei willkommen, Älteste«, ließ ich mit einem ehrfürchtigen Nicken verlauten und erstarrte sogleich mit offenem Munde, als ich mir meiner wenig ehrfürchtigen Position vor ihr gewahr wurde. »Ach herrje, ich …«
Für gewöhnlich war die Stammesälteste mit einer angemessenen Verneigung zu begrüßen, wohingegen ich noch immer am Boden kauerte und meiner Rose augenscheinlich mehr Respekt in den Gesten zollte als der Lebensbringerin meines Stammes höchstselbst.
Ich saß auf dem Boden! Auf den Knien. Im Sand.
Schon fuhr ich in einer eiligen Bewegung in den Stand und stolperte über meine kribbelnden Beine, torkelte letztlich in Richtung der Felsen, stützte mich an die große Säule und raffte mich rasch zu einer besseren Haltung. Während auf den Lippen der Ältesten ein Lächeln der offensichtlichen Belustigung erschien, mühte ich mich gegen die Nebenwirkungen der lang gehaltenen Knieposition und versuchte, den Knicks nicht noch ungeschickter als meine Aufstehtorkeleien zu vollführen. Dann klopfte ich mir den imaginären Staub von der Kleidung. Man mochte meinen, ein Skorpion hätte mich in mein Sitzfleisch gestochen.
»Oh Götter! Entschuldigung. Ich war in Gedanken«, brabbelte ich mit hochroten Zügen in mich hinein, während die Bewegungen meiner Hände einer gewissen Hektik verfielen.
Mein Kommentar provozierte jedoch nur ein weiteres Lachen ihrerseits. Diesmal … gänzlich ungehalten. Und laut.
Die Älteste lachte mit ihrer knarzenden Reibestimme derart laut auf, dass der knochige Brustkorb unter den Stofflagen zu wippen begann und mit den aufgenähten Perlen und Scherben um die Wette zu schlackern schien. Der raue Klang erschütterte die Stille unter den Steinen, echote in den verborgen Steinschlünden fort und trieb mir mehr und mehr Röte auf die Wangen, bis ich glaubte, meine Haut könnte nicht röter werden.
»Mein Kind, mag ich auch deine Älteste sein, so bin ich doch noch immer deine Großmutter gewesen«, artikulierte die Frau zwischen den vergnügten Glucksern. »Dieser Ort kennt nur uns beide. Dich kennt er vermutlich besser als mich. Lass uns die Göttersalbung für ein paar Minuten vergessen.«
Ihr Faltengesicht veränderte den Ausdruck mit dem Gesagten und verwandelte sich in einen Blick voller Liebe.
»Du bist noch immer mein Kind. Du bist meine Tochter im Blut, Nakhara. Seit uns die Stämme des Westens deine Mutter genommen haben, bist du alles, was mir geblieben ist.«
Sie blinzelte.
»Ja, wir sind ein Stamm, aber wir sind auch Familie.«
Mein gepeinigter Herzschlag beruhigte sich unter den Worten, die der Stammesältesten äußerst selten über die Lippen kamen und zumeist im Geheimen geflüstert wurden. Obwohl diese Frau mich seit frühester Kindheit großgezogen hatte, ja, einer Mutter noch am nächsten gekommen war und mich durch die schwere Zeit ohne Eltern getragen hatte, sollte uns eine Nähe dieser Art seit ihrer Machtübernahme schlichtweg nicht mehr möglich sein. Mit ihrem Titel war sie auch für mich zur Ältesten des Stammes geworden.
Zur Führerin des Geistes. Zu einem Teil der Göttlichen.
Unantastbar und unnahbar sollte sie sein – und der Moment, da sie verdrängte Erinnerungen in mir erweckte, blieb umso kostbarer und reiner für mich. So verschwand letztlich auch die Röte aus meinen Zügen und nahm die Schamgefühle gleich mit sich fort, als ich mir gewahr wurde, dass meine Großmutter als Blutsfamilie – nicht als gottgleiche Gestalt – zu mir treten wollte.
Ich überbrückte die merkwürdige Distanz und fiel der buckligen Gewandungsgestalt um den Hals, presste den dürren Körper immer enger an mich und atmete ihren vertrauten Duft, als könnte ich den Moment auf diese Weise ewig bei mir behalten. Die Stammesälteste umschlang ihrerseits meinen Bauch, drückte ihr Gesicht an meinen Brustkorb und schloss die Umarmung mit dem Wanderstab hinter meinem Rücken.
Durch die nicht unerheblichen Größenunterschiede würde es stets bei einer skurrilen Form des Zuneigungsaustauschs bleiben. Dennoch schätzte ich die Sekunden der Nähe, die man für gewöhnlich an einer Hand abzuzählen vermochte.
»Ich bin stolz auf dich, Nakhara«, flüsterte die Frau. »Ich wollte es dir bereits bei deiner Ankunft im Lager sagen, dir erzählen, wie stolz ich auf deinen ersten Wasserdiebstahl bin, wie glücklich ich mich mit dir als mein eigen Fleisch doch schätzen darf. Du bist heute tapfer deinen Ängsten entgegengetreten und hast deine Dämonen in Gwerdhyll besiegt, indem du den Männern keinerlei Mühen mehr gelassen hast. Du hast deinen ersten Diebstahl erfolgreich gemeistert – und meine Brust wollte bersten vor Glück … Aber du bist so schnell zwischen den Zelten