Die Rose im Staub. Sarah Skitschak

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Die Rose im Staub - Sarah Skitschak

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die Schlafwandler mit einem Male im gleichen Rhythmus und gaben sich der Liedbeschwörung des Chores hin.

      Auch meine Nervenbahnen reagierten mit Spannung. Mir war, als durchzuckten mich winzige Blitze, als würde ich von einem aufkommenden Gewitter durchflutet werden und müsste indessen sämtliche Muskeln zu steinernen Klumpen ohne Funktion anspannen. Lediglich die Beipriesterinnen schienen sich dem Zauber der Zeremonie erwehren zu können und setzten ihren Weg zur Mitte des Priesterplateaus fort, während sich ihre weiblichen Stimmen über die männlichen Gesänge legten.

      Mit belegter Brust verfolgte ich die feenhafte Anmut der Frauen. Sie drehten sich um die eigene Achse, schwebten über die Marmorböden und ließen ihre Gewänder in den Bewegungen fliegen, bis der Raum gänzlich von den weißen Schleiern erfüllt schien, bis sämtliche Luftpartikel um die Kleider tanzten und den Stoff wie gefallene Blätter im Winde trugen. Dann knieten sich die Frauen zu den Füßen der Hohen und reckten die Krüge über das Haupt, sodass die Gefäße auf Höhe ihrer Hüfte schwebten.

      Welch eine Kraft es wohl erfordern mochte, diese Position über den Zeitraum der Zeremonie zu halten? Wie viele Jahre der Übung es wohl erfordern mochte, die Wasserkrüge leicht wie eine Feder vor den Augen der Bevölkerung wirken zu lassen?

      Schon immer hatte ich die Leichtigkeit jener gefrorenen Momente bewundert. Ein scheinbares Standbild – und doch ein Kraftakt, der nicht wie ein Kraftakt anmuten wollte.

      Der Augenblick, der den wahren Zenit jener Gebete markierte.

      »Ich rufe die Dreigottheiten bei ihren Namen«, erhob die Hohepriesterin erstmalig das Wort … und ihre Stimme echote in die tiefsten Winkel der Halle, sodass sich ein Mantel der Wärme über den Tempel legte. »Ich rufe Zeit – Göttin unserer Gegenwart, Schöpferin der Vergangenheit und Hüterin unserer Zukunft, die Göttin der Geschehnisse, die Göttin, die den Lauf der Zeiten schenkt, die ihn schenkt, ohne ihn jemals zu lenken. Ich rufe Geist – Gott unseres Glaubens, Erschaffer des Wissens und Weber der Handlung, den Gott der Taten, den Gott der Götter, der unser Schwert lenkt wie unseren eigenen Geist. Ich rufe Zufall – Göttin unserer Leben, Pfadbereiterin der Lebenswege und Element der Unberechenbarkeit, die Göttin des Chaos, der Würfel und Waagenspiele, die Göttin, die über jede Vorherbestimmtheit und Schicksalsgabe erhaben ist. Ich rufe die Dreigottheiten bei ihren Namen, um sie in unsere Mitte treten zu lassen! Zeit, Geist, Zufall – weilt unter uns Menschen, seid unsere Gäste und nehmt unser Opfer.«

      Als ihre Worte zwischen den Säulen und Steinen verhallten, neigten die Beipriesterinnen ihre Krüge ein wenig nach vorn und entließen ein stetig fließendes Rinnsal auf die Marmormuster des Tempelbodens. Während sich die Gefäße langsam leerten und immer weiter, immer mehr dem Wasser nach neigten, sammelte sich das goldgleiche Gut des Lebens in einer Lache vor den Knien der Frauen und rann über die Treppenstufen zu den Menschen hinab. Dort schien es zwischen den Spalten der Steinplatten zu versickern, als würde es tatsächlich von höheren Mächten genommen.

      »Wir bitten euch, schenkt uns Regen«, intonierte das Volk.

      »Wir bitten euch, schenkt uns Zukunft«, intonierte auch ich.

      »Wir bitten euch, gewährt uns Gnade«, intonierten wir alle.

      Da mochte ich den Göttern noch so wenig das auf dem Tempelboden versiegende Wasser vergönnen, meinen Respekt vor den Menschen in diesen Räumen … den hatte ich mir seit jeher bewahrt. Also stimmte ich in die sinnlosen Floskeln mit ein und folgte dem Rhythmus der betenden Priester, die allesamt in einem Land fremder Sphären der Realität entglitten schienen.

      Unaufhörlich plätscherte Wasser über die Stufen, formte wasserfallgleiche Vorhänge vor den Marmorsteinen und musste letztlich seinen lebensspendenden Zweck an die Opferschlitze zu unseren Füßen verlieren.

      »Gütige Götter«, rief die Hohepriesterin über die Gebetswellen der Zeremonienteilnehmer hinweg, »nehmt unser Opfer und schenkt uns den Regen, denn unsere Vorräte in den Katakomben gehen zur Neige. Segnet auch die kommenden Säuberungen, die unsere Soldaten euch zu Ehren führen werden. Wir tilgen die namenlosen Götter vom Lande, die eure Namen in den Schmutz ziehen wollen, die euren Glanz mit dem Staub der Wüste zu verhüllen und eure Schöpferkraft infrage zu stellen gedenken. Schenkt unseren Soldaten die nötige Stärke, diesen Einsatz zu euren Gunsten zu zeigen und die Welt in einen reineren Ort zu verwandeln!«

      »Wir bitten euch, schenkt uns Regen«, intonierte das Volk.

      »Wir bitten euch, schenkt uns Zukunft«, intonierten sie weiter.

      »Wir bitten euch, gewährt uns Gnade …«

      Doch mir war bei den Worten meiner eigenen Mutter mit einem Male der Respekt vor den Inkantationen vergangen. Die Gebetswellen verwandelten sich in ein unklares Rauschen, das in der unklaren Artikulation an Bedeutung verlor und schließlich in meinen Ohren verlosch; verlosch wie das Feuer des Glaubens zuvor. Lediglich die letzten Worte der Hohepriesterin brannten sich mit aller Macht in meine Gedanken, ließen mich vor Schreck fast zusammenfahren und jagten meinen Puls in ungeahnte Höhen. Die Tempelanlagen schienen sich vor meinem Sichtfeld zu drehen, als ich die Worte im Geist erneut wiederholte und deren Bedeutung zu erfassen versuchte.

      Ob ich die Bitten an die Götter wohl recht verstanden hatte? Ob sie tatsächlich …?

      Mein Gefühl ertaubte und die Welt rückte fern.

      Säuberungen?

      Sie planen Säuberungen?!

      ***

      Die bunten Blütenköpfe des Priestergartens nickten sanft im Keim eines Luftzuges, der sich säuselnd seinen Weg durch die Säulengänge suchte und die fleischigen Blätter der Feigengewächse umspielte. Wie eine Fata Morgana flimmerten die Eindrücke des kleinen Paradieses durch die Sommerluft und trugen allerlei Düfte von Zitrusfrüchten oder Kräutern an mich heran, sodass ich einen tiefen Atemzug in meine Lungen strömen ließ und meine Gedanken für eine Weile zur Ruhe zwang.

      Nach den Zeremonienbitten war die Furcht einem rastlosen Folterknecht gleichgekommen.

      Säuberungen.

      Ein einziges Wort, das mir eiskalte Schauer über den Rücken zu jagen vermochte – selbst, da die Hitze unser Land mit Dürre und Wüstensand überzog. Ein einziges Wort, das so viele Assoziationen in mir erweckte und mich vor der zukünftigen Aufgabe furchtschlotternd in die Flucht zu schlagen vermochte.

      Ich wusste sehr wohl, welch Unglück die Formulierung verkünden wollte. Welch eine gewichtige Bedeutung dem Wort innewohnte.

      So hatte ich das Spektakel der Gläubigen ohne weitere Worte verlassen, war in die Gartenanlage des Priesterpalastes geflüchtet, bloß, um dort auf einer der Marmorbänke zu sitzen und meinen finstersten Ängsten zu erliegen.

      Säuberungen.

      Entgegen all meiner Mühen ballten sich meine Hände zu Fäusten und bearbeiteten mit nervösen Bewegungen die Leinentunika, die unter dem Brustpanzer meiner Soldatenrüstung lugte. Ich bohrte die Fingernägel in die Gewebestrukturen, presste den roten Stoff so fest als möglich zusammen und hielt mich daran fest, als könnte ich tatsächlich Halt an einem bedeutungslosen Kleidungsstück finden. Als wäre die Gewandung mein letzter Anker vor dem Wahn, ja, als könnte sie mich vor den Bildern des Schreckens bewahren, die im Rahmen der Säuberungen auf mich einprasseln würden. Als würde es etwas verändern.

      Die Wahrheit: Nichts und niemand würde mich vor diesen Bildern bewahren.

      Nicht

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