Die Rose im Staub. Sarah Skitschak
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»Du weißt, weshalb ich gegangen bin«, murmelte ich in die Stille. »Du hast im Verlauf der Zeremonie neue Säuberungen angekündigt und nicht ein Sterbenswort im Voraus verraten, mich nicht zuvor darüber in Kenntnis gesetzt oder zumindest eine Andeutung fallengelassen. Ich war unvorbereitet. Dementsprechend war es ein Schock. Ich bin nicht bereit, auch nur einen der Stammeskrieger im Namen der Götter zu ermorden oder einen der Wilden als Sklaven zu halten. Ich bin nicht bereit, im Namen einer vermeintlich höheren Macht zu töten, an deren Existenz ich nicht einmal glaube. Ich kann das nicht.«
»Daegon …«
Mutters Hand schloss sich fest um meine Fingerspitzen und versprach mir den Halt, den ich bei mir selbst nicht gefunden hatte … den ich noch immer vergeblich zu finden versuchte. Dennoch blieb der anklingende Vorwurf unüberhörbar, wie sie mich da auf eine unmissverständliche Weise bei meinem Namen nannte. Sämtliche Fragen schienen in die Artikulation eines einzigen Wortes gepresst zu werden, sodass ich die Anklage tausendfach in meinem Geist flüstern hörte und mich einer Antwort nicht mehr entziehen konnte. Eine Antwort auf die Frage, ob ich denn nicht einmal über meinen Schatten springen und meine Furcht vor dem Töten hinter mir würde zurücklassen können. Eine Antwort darauf, ob ich denn tatsächlich mein eigenes Leben riskieren wollte, indem ich mich meinen vermeintlich falschen Moralprinzipien ergab.
Denn nichts anderes würde geschehen, sollte ich die Säuberung ausschlagen.
Man würde mich zweifelsohne hinrichten lassen – als Fahnenflüchtigen, als Sympathisanten, als denjenigen, der nicht nach den Regeln spielte.
Allein die Liebe meiner Mutter hatte mich bisher vor solch einem Schicksal bewahrt, mich durch die dunkelsten Täler getragen und vor den kritischen Blicken der anderen Soldaten verborgen. Nun sollte ich dieses eine Mal die Schrecken der Säuberung überwinden und als rechte Hand der Ungerechten agieren, als hätte ich niemals Zweifel an deren Taten gehegt? Für sie – so lauteten sie doch, die Gedanken!
»Du weißt, was es bedeutet«, flüsterte Mutter erkennend und senkte ihren Blick auf unsere Hände.
Ihr Daumen fuhr in kreisenden Bewegungen über meine Handrückenfläche, jagte prickelnde Impulse durch mein Nervensystem und machte mich glauben, ich hätte soeben das schlimmste Verbrechen an ihr begangen.
Ach, verflucht seist du, mein Herz!
Ich richtete meinen Blick in die Ferne des Priestergartens und suchte den einen Punkt in meinen Gedanken, an dem sich das Chaosgebilde des eigenen Herzens lösen sollte, an dem all meine Sorgen auf einen allumfassenden Sinn streben würden … Doch dieser Punkt existierte nicht.
»Ich liebe dich, Mutter«, konstatierte ich leise. »Ich würde für dich die Feuer deiner Götter durchqueren und die finstersten Schächte unserer Katakomben durchdringen, würde selbst meinen übermächtigsten Dämonen entgegentreten und meine eigene Seele im Zuge der Säuberungen verpachten, doch bitte ich dich inständig: Verlange es nicht von mir. Ich habe zu deinem Schutz viele Dinge getan und bereue bis heute nicht, dass ich die Ausbildung für dich abgeschlossen habe. Ich bin ein guter Kämpfer geworden, damit Vater seinen Ruf als Senator nicht zu Grabe tragen muss und dir die Schuld hierfür anlasten kann. Aber ich bin kein Mörder. Missbrauche nicht meine Gefühle.«
Als meine Worte in der Weite des Gartens verklangen, spürte ich die unmissverständlichen Zuckungen der Frau neben mir. Ihr Körper krümmte sich in gramgebeugter Haltung nach vorn, während sie die Hand aus der Umklammerung löste und ihre Miene dahinter zu verbergen versuchte. Ihr Brustkorb blähte sich in den unterdrückten Schluchzern, zitterte wie von ihren eigenen Dämonen durchdrungen und entließ schließlich einen Klagelaut in die Stille.
»Und ich kann dich nicht verlieren«, wimmerte sie. »Ich kann dich nicht gehenlassen, Daegon.«
»Mutter!«
Mit einem erschreckenden Male verwandelte sich das Antlitz der sonst stolzen Hohepriesterin in die Miene eines jungen Mädchens, das von all ihren Lieben verlassen auf einer Marmorbank im Priestergarten harrte. So schmolzen die Jahre der Macht binnen Sekunden dahin, vergingen wie Butter in der Hitze auf dem Land der Namenlosen und verflossen in den Tränen der trauernden Frau, die einen Todgeweihten vor seinem Tode beweinte.
»Mutter …«
Als ich mich von meinem Platz erhob und mit schmerzverzogenen Brauen die Gestalt musterte, die sich ohne inneren Kampf den Eindrücken ihrer Trauer ergab … da schien der Moment meiner Entscheidung gekommen.
Mutter hatte den Kampf vor seinem Beginn aufgegeben.
Obgleich ich mich vor den eigenen Wunden fürchtete und selbst dem Spiel dieser Welt ein Schnippchen schlagen wollte, war mir die Wahl des Kampfes durch die Tatsachenlage genommen worden.
Sie ist nicht stark genug.
Sollte ich mich weigern, wird auch sie meinen Tod nicht überleben.
Erneut ballten sich meine Hände zu Fäusten und verwandelten sich in erdrückendes Steingewicht, wie ich mich da so vor den Scherben zweier zerstörter Existenzen wiederfand. In den Trümmern toter Hoffnung lagen zwei Seelen, deren Leben sie abermals zu Boden ringen wollte … deren Leben sie vor einen Scheideweg stellte und auf unbarmherzige Weise zwang, sich zu stellen; sich zu stellen … oder den Tod zu erleiden. Ein Mann hatte uns in den Staub getreten … und so blieb es an uns.
»Ich komme wieder«, flüsterte ich. »Mutter, ich komme wieder.«
Mit diesen Worten kehrte ich der weinenden Frau den Rücken und rang den aufsteigenden Zorn in mir nieder. Ich sollte aus Liebe meine Seele verkaufen, meine Furcht vor den eigenen Taten überwinden, meine Prinzipien von den Klippen ihrer Hoffnungslosigkeit stoßen … und ja, obgleich mich all diese Dinge schreckten …
»Ich muss zur Wasserwache … aber ich komme wieder.«
Kapitel 2
Nakhara
Land der Namenlosen
Eine erdrückende Hitze hatte sich um meinen Körper geschlagen und schien meine Extremitäten mit Blei zu befüllen, als ich unter flatternden Lidern gegen das erste Tageslicht blinzelte. Zwischen den einzelnen Sichtsequenzen sah ich eine runde Zeltöffnung über mir schweben, sah wolkenloses Blau hinter den Leinenplanen und nahm auch den erbarmungslosen Hauptstern wahr, der mit aller Macht seine Wärme auf das Land der Namenlosen entsandte. Noch schwebte ich zwischen Traumwelt und Realität. Der Morgen lastete in meinen Gliedern.
Doch fühlte ich bereits die nassdurchtränkten Stoffe unter meinen Händen, fühlte mich selbst, als würde ich in einem Ozean meines eigenen Albtraumschweißes davontreiben müssen. Die Leinen verwandelten sich in windgetragenes Wüstengras … und schon fand ich mich in einem altbekannten Lähmungsgefühl, das mich seit einigen Wochen nach dem Erwachen zu quälen pflegte.
In diesen Momenten siegte noch einmal die Furcht der Nacht über mich.
Die Erinnerung an das furchtbare Unglück, das sich vor den Toren der Legendenstadt Gwerdhyll ereignet hatte.
Mit geschlossenen Augen verwandelten sich die Erinnerungen in realitätsnahe