Mirroring Hands. Richard Hill
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»Obwohl ich mich glücklich schätze, das Privileg genossen zu haben, von Ernest Rossi als Mentor betreut zu werden, ging es für mich immer darum, wohin das Erleben mich führt – wie ich mich verändere, wo ich mich weiterentwickle.
Das vorliegende Buch ist ein Ausdruck dessen, was im Laufe des letzten Jahrzehnts im Rahmen meiner Zusammenarbeit mit Ernest Rossi bei der Erforschung neuer Ideen und Techniken entstanden ist. An jenem verheißungsvollen Tag im Dezember 2005 wurde definitiv etwas initiiert; aber die Last der Verantwortung für meine Entwicklung lag immer ausschließlich bei mir. Es war meine Aufgabe, mich im aufregendsten Bereich meines Seins effektiv und produktiv zu entwickeln – in jenem growing edge genannten Randbereich, in dem wir uns weiterentwickeln« (Rossi 1992, S. 216–238).
Als growing edge wird der Randbereich des Ihnen bekannten Raumes, Ihrer bekannten Fähigkeiten, Ihrer bekannten Behaglichkeit bezeichnet. Von diesem Randbereich aus begeben Sie sich in einen kreativen Raum, in dem alles neu und unbekannt ist. Das Hinaustreten aus dem Randbereich ist kein Bruch mit dem und keine Trennung von dem, wer und was Sie sind, sondern nur das, was der Begriff nahelegt: das Erreichen eines Punktes, an dem Entwicklung möglich ist. Vergessen Sie nie, dass Sie mit allem verbunden bleiben, was Sie sind. Das Abenteuer besteht darin, in einen Raum hineinzuwachsen, in dem Sie zu mehr werden, als Sie momentan sind. Ich (RH) bin immer noch dabei, meinen Randbereich der Entwicklung zu erweitern, und Ernest Rossi hat mir gesagt, dass auch er, obwohl er schon Mitte 80 ist, seinen kreativen Randbereich immer noch ausdehnt.
Sich im kreativen Randbereich der Entwicklung aufzuhalten kann schwierig sein, denn Sie sind dort allein. Sie mögen zwar in vielerlei Hinsicht unterstützt und ermutigt werden, doch ist und bleibt dies ein unbekannter Raum. Unser einzigartiger Ausdruck dessen, was wir lernen, und die Art, wie wir das Gelernte in unser Alltagsleben integrieren, ist die Erweiterung, die wir in unserem Randbereich realisieren. Jede therapeutische Technik und jeder Prozess ist Ausdruck der Bewegung eines Menschen nach außen in seinen kreativen Randbereich der Entwicklung und des Wachstums. In diesem Kontext betrachtet, gibt es keine Therapie, keine Behandlungstechnik und keine therapeutische Vorgehensweise, die perfekt für Ihre persönliche Situation geeignet ist, weil alle diese Dinge im Randbereich der Entwicklung eines anderen Menschen entstanden sind. Einige mögen Ihrer Situation und Ihren Bedürfnissen recht nahekommen, aber dies ist der Grund, aus dem ericksonsche Psychotherapie so schwer genau nachzuahmen ist: Der einzige perfekte ericksonsche Therapeut war Erickson selbst. Wir alle müssen unsere persönliche beste Form der Behandlung und unseren besten Ausdruck selbst finden, um uns bei unserer therapeutischen Arbeit natürlich, wohl und unbelastet fühlen zu können.
Als Autoren dieses Buches fragen wir uns wirklich, wohin Sie all dies führen wird und was Sie mit unseren Worten und Ideen anfangen werden. Wie könnte dieses Buch Sie dazu befähigen, ermutigen oder inspirieren, Ihren Randbereich der Entwicklung zu erforschen? Was werden Sie selbst neu entwickeln? Vielleicht ist es nur etwas sehr Kleines. Vielleicht ist es aber auch eine radikale Veränderung. Kapitel 9 (»Neugier und der Elefant im Raum«) ist aus der jahrelangen Arbeit Richard Hills mit Ernest Rossi entstanden, aber auch aus seinem eigenen Leben. Was sagt das Ihnen? Was befindet sich in Ihrem Geist, das über Ihren Randbereich der Entwicklung hinüberschwappen könnte? Ziel dieses Buches ist, Ihnen zu zeigen, wie wir es gemacht haben, damit Sie erforschen können, wie Sie es machen könnten.
»Man kann kein Neuland entdecken, ohne zuzulassen, dass man sehr lange die Küste aus den Augen verliert.«
André Gide: Die Falschmünzer
Damit wir an den Punkt kommen, an dem wir uns jetzt befinden, muss schon eine Reise stattgefunden haben. Es ist völlig normal, sich Fragen nach der Vorgeschichte zu stellen, danach, wie sich Dinge verändert und weiterentwickelt haben. Deshalb ist es auch völlig normal, wenn wir dieses Buch mit einem historischen Rückblick beginnen. Und dazu können wir in unserem Fall die Quelle selbst nutzen: Ernest Rossi. Deshalb werden wir ihn fragen, wie alles anfing.
6In diesem Buch wird bei allgemeinen Aussagen der besseren Lesbarkeit wegen in der Regel die männliche grammatische Form verwendet. Die weibliche sowie alle anderen Formen sind stets mitgemeint.
7Siehe https://www.braininitiative.nih.gov/ [22.12.2020].
1Die Geschichte von »Mirroring Hands«
Abb. 1.1: Richard Hill und Ernest Rossi im Gespräch (Juni 2016)
Im Juni 2016 begegnete ich Ernest Rossi und seiner Frau Kathryn in ihrem Haus in Kalifornien. Der Hauptgrund für diesen Besuch war die Vorbereitung auf die Arbeit am vorliegenden Buch. Wir trafen uns sieben Tage lang und zeichneten Interviews und Gespräche von insgesamt über 25 Stunden Dauer auf. In der zweiten Sitzung des ersten Tages dieser Woche fragte ich Ernest Rossi: »Wie ist der Mirroring-Hands-Ansatz historisch entstanden? Wie ist er aus Deiner ›Lehrzeit‹ bei Milton Erickson hervorgegangen?« Ich habe den größten Teil der Antwort auf diese Frage reproduziert. Das Transkript wurde um der Klarheit der Darstellung willen redigiert und um einige Kommentare ergänzt. Kursivschrift dient der Hervorhebung bestimmter Wörter.
In diesem Transkript und im gesamten weiteren Buch werden Richard Hill durch die Abkürzung RH und Ernest Rossi durch ELR gekennzeichnet.
Aus den Gesprächen zwischen Rossi und Hill
Los Osos, Kalifornien, 1. Juni 2016, 14 Uhr
RHVielleicht ist dies die Gelegenheit, was meinst du? Unter all meinen Fragen war eine, dass ich von dir wissen wollte, wie der Mirroring-Hands-Ansatz entstanden ist.
ELROh … was die Essenz ist, die tiefste Essenz …
RHGenau!
ELRIch erinnere mich, dass ich einmal mit den Worten vorgestellt wurde: »Und jetzt wird Ernie Rossi seinen Ansatz mit den Händen vorstellen.« (Wir lachen) Ist das nicht dämlich?
RHUnd das war … alles?
ELRIch habe gedacht: »Er versteht es nicht.« Was hatte er nicht verstanden? Wir haben zwei Seiten … Du weißt schon, die Sache mit der linken und rechten Hemisphäre. Es geht aber auch um die Perspektive der Quantenfeldtheorie und der Kognition, der Empathie, der Persönlichkeit, der Gehirnplastizität, der Moleküle und der Genexpression, bis hin zur Ebene der Quanten. Es ist hier (deutet auf seinen Kopf) eingebaut.
RHJa, ich bin mit vielem davon vertraut …
ELR(hält einen Augenblick inne und denkt darüber nach, wo er anfangen soll) Ich war oft dabei, wenn David Cheek bei Milton Erickson war; es gab also ein Gespräch zwischen uns dreien … genauso war es oft, wenn Ravitz da war … und ich lernte während dieser informellen Fachsimpeleien vieles, wofür die öffentliche Wahrnehmung der therapeutischen Hypnose kein Verständnis zu haben schien …
Man kann Milton Erickson mit Recht als einen der wichtigsten Vertreter der modernen Psychotherapie