Fettnäpfchenführer Mexiko. Büb Käzmann
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Lily blickt interessiert zu der Vierergruppe, wahrscheinlich eine Familie, die ein paar Meter neben ihr am Kofferband steht. Die Mutter trägt eine mit Haarspray betonfest fixierte Kurzhaarfrisur, die etwas zu kurze Outdoorhose des Vaters ermöglicht den Blick auf strahlend weiße Socken in braunen Ledersandalen. Tochter und Sohn stehen etwas abseits, das Mädchen verdreht die Augen. Ihr Bruder grinst. »Da kommt doch schon der erste Koffer, Papa.«
Kaum ausgesprochen springt der Vater zum Band, greift sich das in mehrere Lagen Plastikfolie eingewickelte Hartschalenmonster und hievt es auf den Wagen. »Was für ein Glück! In dem hier sind das Moskitospray und mein Schweizer Messer. Ist ja auch wirklich blöd, dass man das nicht im Handgepäck mitnehmen darf«, schimpft er vor sich hin.
Musterdeutsche. Lily schmunzelt – und hofft, dass niemand sie mit diesen Landsleuten in Verbindung bringt.
Kurz darauf scheinen alle Koffer der Familie da zu sein, und die Gruppe marschiert mit einem hoch beladenen Gepäckwagen in Richtung Ausgang. »Ich hoffe nur, dass der Chauffeur vom Hotel auch wirklich da ist, um uns abzuholen. In diesem Land kann man schließlich nicht vorsichtig genug sein. Ich hab mich ja nicht umsonst schlau gemacht. Also, mit dem Bus fahren wir auf keinen Fall, das ist viel zu gefährlich. Da gibt es nur Unfälle, es wird geklaut, und am Ende kommen wir nicht ...« Der Rest geht in einer scheppernden Lautsprecherdurchsage unter.
Lily schüttelt den Kopf. Nach einem entspannten Familienurlaub sah das nicht aus.
Da trägt das Gepäckband auch schon ihren vollgepackten Rucksack heran, und ihre Gedanken wenden sich anderen Dingen zu. Ein bisschen aufgeregt ist sie schon. Ein Jahr Mexiko, und das ganz alleine! Zu Hause ist sie sich immer endlos mutig vorgekommen und hat auf Bemerkungen wie »Bist du sicher, dass du alleine als Frau in so ein Land fahren willst?« nur die Augen verdreht. Nur ihr Onkel Anton hat sie immer darin bestärkt, hierher zu fahren. Vielleicht hatte das auch etwas mit jener Mexikanerin zu tun, die mal für einige Wochen im Rahmen eines Kongresses in seiner Firma gearbeitet und von der Anton auffällig oft erzählt hatte? Als feststand, dass Lily tatsächlich nach Mexiko gehen würde, war er hellauf begeistert und buchte sogleich auch für sich einen Flug, um seine Nichte – und wohl auch seine Geschäftsfreundin, wie Lily ihn mit einem Grinsen aufzog – zu besuchen.
Doch das alles kommt Lily jetzt plötzlich sehr weit weg vor, und als sie mit ihrem Rucksack den Zoll passiert, ist da kurz der Gedanke: Was mache ich eigentlich hier?
Was hat der Mann vorhin noch gesagt über den Chauffeur vom Hotel und darüber, dass Busfahren so riskant sei? Über die Gefahren des Busfahrens hat sich Lily nun wirklich noch keine Gedanken gemacht. Eigentlich hat sie sich sogar darauf gefreut: klapprige, bunte Wagen voller Menschen und Tiere, die von ihren Besitzern zum Verkauf auf den nächsten Markt gebracht werden. Laut, bunt und voller Leben – so stellte sie sich die mexikanischen Busse vor, nachdem sie Fotos einer Bekannten gesehen hatte, die in Guatemala mit den sogenannten Chicken Buses unterwegs gewesen war. Die verdanken ihren Namen dem Anteil an gefiederten Fahrgästen. Dass diese Art des Reisens gefährlich sein könnte – das ist ihr nicht in den Sinn gekommen. Wieso auch, wenn doch die Einheimischen selbst mit diesen Bussen fahren? Doch jetzt hat Lily ein mulmiges Gefühl im Bauch bei dem Gedanken daran, mit einem überfüllten, klapprigen Gefährt die zweieinhalb Stunden Wegstrecke nach Puebla zurückzulegen. Aber was bleibt ihr anderes übrig? Schließlich wartet draußen kein Chauffeur auf sie.
Sie marschiert in die Richtung, die das Schild mit der Aufschrift »Terminal terrestre« (Bodenterminal) ihr weist, und nachdem sie treppauf und treppab den Hinweisen gefolgt ist und sich schon etwas verloren vorkommt, steht sie schließlich vor einem Schalter der Buslinie Estrella Roja, die, zumindest der Anzeige nach zu schließen, Tickets nach Puebla verkauft. Nach einem gestotterten »Un billete para el autobus a Puebla, por favor« hält sie das Ticket in der Hand und folgt mit klopfendem Herzen der Wegbeschreibung der netten Frau am Schalter – in der Hoffnung, sie richtig verstanden zu haben.
Draußen schlägt Lily ein Schwall heißer, feuchter Luft entgegen, und sie blickt sich irritiert um. Sie hatte an einen staubigen Platz gedacht, auf dem ein paar aufregend rostige Busse stehen und an Busfahrer, die mit in die Stirn gezogenem Sombrero und hochgelegten Beinen auf dem Fahrersitz ihre Siesta halten. Das hier gleicht eher einem hochmodernen Bahnhof, mit Leuchtanzeigen und Durchsagen. Ein bisschen enttäuscht ist Lily schon – wirklich »mexikanisch« sieht es hier nicht aus.
Und das soll der Bus sein? Vorsichtshalber wirft sie noch einmal einen Blick auf ihr Ticket. Doch, die Nummer stimmt. Und vorne im Bus prangt auch eine Digitalanzeige mit der Aufschrift »Puebla«. Der Busfahrer ruft ihr fragend »¿Puebla?« zu und nimmt ihr, kaum dass sie zustimmend genickt hat, das Ticket und den Rucksack ab. Dann reißt er Ersteres ein und verstaut Letzteren im geräumigen Gepäckbereich unter dem Fahrgastraum.
Lily besteigt den großen Reisebus. Ein kühler Luftzug weht ihr entgegen. Klimaanlagen gibt es also auch! Sie lässt sich in einen der bequemen Polstersitze fallen, wickelt ihren Schal enger um den Hals – es ist fast ein bisschen kühl nach der feuchten Hitze draußen – und lehnt sich zurück. Ihr Blick fällt auf einen Fernseher, in dem irgendein Hollywoodstreifen läuft. Kurz nachdem der Bus losgefahren ist, schläft Lily, eingelullt von dem leisen Schnurren des Motors und den Gesprächsfetzen, die aus den Fernsehern dringen, schon tief und fest und wacht erst auf, als der Bus in die Haltebucht einfährt. ¡Bienvenido a Puebla!
ÜBER LAND MIT BUS UND BAHN: REISEN IN MEXIKO
Der Bus ist ohne Zweifel das Verkehrsmittel Nummer eins. Gerade für Überlandfahrten gibt es zahlreiche Angebote verschiedener Buslinien. Dabei wird unterschieden zwischen Erste-Klasse-Bussen, die mit Klimaanlage, verstellbaren Sitzen, Toilette und Fernsehern ausgestattet sind und den direktesten und damit schnellsten Weg zwischen großen Städten zurücklegen, und Zweite-Klasse-Bussen, bei denen es sich meist um ältere und nicht so komfortable Exemplare handelt, die für gewöhnlich um einiges länger brauchen, da sie auch in kleineren Ortschaften halten. Busfahrten in Mexiko sind vergleichsweise günstig. Für eine Strecke von 100 km zahlt man in der ersten Klasse etwa zehn Euro, in der zweiten Klasse entsprechend weniger.
Anders als z. B. in Deutschland wird der Zug hingegen als Personentransportmittel kaum genutzt. Zwar verfügt Mexiko seit Mitte des 19. Jahrhunderts über ein Schienennetz, dieses ist jedoch mittlerweile zum Großteil veraltet und zudem nicht ausreichend ausgebaut.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielte der Zugverkehr noch eine entscheidende Rolle. Während der Mexikanischen Revolution (1910–1920) wurden die Züge zur Truppen- und Materialbeförderung genutzt, gleichzeitig kam es jedoch in dieser Zeit auch zur Zerstörung zahlreicher Brücken und Schienenstrecken, von der sich das mexikanische Bahnwesen bis heute nicht vollständig erholt hat. Während des 2. Weltkrieges war der Zug das Transportmittel Nummer eins, um Güter in die USA zu schaffen, zumal der Wasserweg aufgrund des U-Boot-Krieges zu unsicher war. Mitte der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts wurde das mexikanische Bahnwesen schließlich privatisiert; die Strecken werden heute hauptsächlich von Güterzügen genutzt.
Nur einige wenige Linien sind touristisch aufbereitet, darunter vor allem die Strecke durch die Kupferschlucht (barranca del cobre) im Norden Mexikos, der expreso maya (der Maya-Express), der im Süden des Landes die Städte Mérida, Campeche und Palenque verbindet und die Besichtigung bedeutender Mayastätten ermöglicht, sowie der expreso de la independencia (der Unabhängigkeitsexpress), dessen Route »klassische« Kolonialstädte im mexikanischen Inland umfasst, u. a. Querétaro, Guanajuato und San Miguel de Allende. Auch der Tequila-Express von Guadalajara nach Tequila, der die Besichtigung einer Tequila-Brennerei und einer Agavenplantage beinhaltet, ist einer dieser Touristenzüge.