Fettnäpfchenführer Mexiko. Büb Käzmann

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Fettnäpfchenführer Mexiko - Büb Käzmann Fettnäpfchenführer

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von beiden probieren kann« – und auf zwei Plastiktellern serviert. Die quesadillas mit den saftigen Kürbisblüten schmecken herrlich und auch die seltsame dunkle Füllung hat einen zwar ungewohnten, aber durchaus interessanten, leicht rauchigen und würzigen Geschmack.

      »Huitlacoche, das sind Maiskörner, die von einem Pilz befallen sind und sich deshalb schwarz färben – eine Spezialität«, klärt Héctor sie kauend auf.

      Wenn sie das vorher gewusst hätte ... Aber es schmeckt.

      Als sie fertig sind, zückt Lily ihr Portemonnaie. Doch kaum hat sie angesetzt, nach la cuenta, der Rechnung, zu fragen, ist Héctor ihr schon zuvorgekommen. Lily ist das unangenehm, schließlich kann sie ihr Essen ja wohl noch selbst zahlen und muss sich nicht von Héctor aushalten lassen. Aber für den scheint das selbstverständlich zu sein.

      Gesättigt schlendern die beiden durch die kühlen Marktgänge und lassen sich von den Verkäufern umwerben, probieren hier ein Stückchen queso de Oaxaca (Weichkäse aus Oaxaca), dort eine Scheibe Wassermelone, bis Lily schließlich vor einem Obststand mit überquellenden Auslagen voller Mangos und Ananas stehenbleibt.

      Sie will gerade bestellen, da kommt Héctor ihr erneut zuvor.

      »Was möchtest du? Ein Kilo Mangos und eine Ananas?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, hat er der Verkäuferin schon die Bestellung mitgeteilt, nimmt eine prall gefüllte Tüte entgegen und drückt der Frau ein paar Münzen in die Hand. Lily steht entgeistert daneben.

      »Denkst du, ich kann nicht genug Spanisch, um ein bisschen Obst zu bestellen?«, giftet sie ihn an – und erntet einen überraschten und verständnislosen Blick.

      Als sie nach der Tüte greifen will, schüttelt Héctor den Kopf: »Lass mal, die ist echt schwer.«

      Lily verdreht die Augen und ihre Stimmung bessert sich auch nicht, als sie wieder hinaus in die Sonne treten, um sich auf den Heimweg zu machen, und Héctor die Seite wechselt, um Lily nicht zu nah an der stark befahrenen Straße gehen zu lassen. Was vorhin noch eine nette Geste war, kommt Lily plötzlich vor wie ein weiteres Puzzlestück in der völligen Bevormundung. Den Rest des Weges schweigt sie verbissen, ohne Héctors Bemühungen, ein Gespräch anzufangen, zu beachten.

      Als sie zu Hause ankommen und Simon sie mit einem lauten »¡Hola guapa! Qué linda vas!« (Hallo Hübsche! Wie schön du aussiehst!) begrüßt, ist es mit ihrer Geduld vorbei.

      »Fängst du jetzt auch noch damit an?«, bricht es aus Lily hervor. »Ich hab echt genug von euch Machos!«

      Entgeistert gucken sich Simon und Héctor an.

       Reingetreten

      Lily ist hier zum ersten Mal mit dem mexikanischen machismo in Kontakt gekommen, wenn auch in seiner harmlosen Variante. Der spanische Begriff macho meint zunächst zwar rein biologisch betrachtet nichts weiter als »männlich«, wurde jedoch durch die Verbindung von Männlichkeit und Macht dermaßen aufgeladen, dass er als die übersteigerte Zurschaustellung von Männlichkeit zu verstehen ist, einhergehend mit der demonstrativen Vorrangstellung gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Formen des machismo finden sich nicht nur in Mexiko, sondern auch im übrigen Lateinamerika sowie in den Ländern Südeuropas.

      Das Gegenstück zum machismo – und zugleich Teil desselben – ist der marianismo, der einerseits in Anlehnung an die Muttergottes die Verehrung der Frau als heiliges und schützenswertes Wesen versinnbildlicht, andererseits der Frau selbst gewisse Verhaltensregeln vorschreibt: Zurückhaltung, Tugendhaftigkeit, ein sich Aufopfern für die Familie etc.

       DIE ROLLE DER FRAU

      Die Frau ist in Mexiko traditionell für den häuslichen und familiären Bereich zuständig. Sie sorgt für den Zusammenhalt der Familie, während der Mann die wirtschaftlichen und politischen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausfüllt. So weit die Tradition. Mittlerweile brechen diese Strukturen zunehmend auf: Immer mehr Frauen, gerade aus dem städtischen Umfeld sowie der Mittel- und Oberschicht, erreichen hohe Bildungsabschlüsse und vergrößern dadurch ihre Chance auf qualifizierte Arbeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Die Zahl der Studentinnen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen und übertrifft mittlerweile in einigen, v. a. sozial- und kulturwissenschaftlichen Fächern sogar die der männlichen Studenten. Auch die Erwerbstätigkeit bei Frauen steigt, auch wenn sie – ähnlich wie in europäischen Ländern – eine geringere Entlohnung zu erwarten haben als Männer in den gleichen Berufen.

      Auch im Sport sind die mexikanischen Frauen immer mehr im Kommen, so z. B. mit ihrer Fußballmannschaft, die sich bereits ein paar Mal für die Weltmeisterschaft qualifizieren konnte. In der Politik gibt es in Mexiko seit den späten 1990er-Jahren eine Frauenquote, die die Parteien dazu verpflichtet, 40 Prozent ihrer Wahllisten für den Kongress mit weiblichen Kandidaten zu besetzen, wenngleich diese Verpflichtung noch nicht erfüllt wird und bisher in keiner Partei der vorgeschriebene Frauenanteil erreicht wurde.

      Die klassischen Rollenbilder bedingen sich gegenseitig. Einerseits führt dies zu einer häufig zu beobachtenden Dominanzhaltung der Männer, andererseits zu einem teilweise vielleicht übertrieben anmutenden Beschützerinstinkt gegenüber der Frau. Der mexikanische Autor Octavio Paz schreibt in seinem Buch »Das Labyrinth der Einsamkeit«, wo er sich an eine Analyse des mexikanischen Wesens wagt: Der Respekt, den man der Frau in Mexiko zollt, sei oft nur ein »heuchlerisches Mittel, sie zu unterwerfen und sie am Ausdruck ihrer selbst zu hindern« (Octavio Paz, Das Labyrinth der Einsamkeit, Olten 1970, S. 36). Das mag vielleicht übertrieben klingen, beschreibt aber recht gut die Ambivalenz des marianismo, die auch Lily zu spüren bekommt. Héctor hat sich seiner Meinung nach vollkommen korrekt verhalten, indem er Lilys Status als »schützenswertes Wesen« anerkennt. Doch gerade dies ist es, was Lily auf die Palme bringt, da sie den Respekt als Bevormundung auffasst.

       Umgangen

      Jede Frau, die einmal Spanien, Italien oder irgendein lateinamerikanisches Land bereist hat, kennt es: Das lautstarke Kundtun männlichen Wohlgefallens beim Anblick eines weiblichen Wesens. Dies kann im besten Fall dazu führen, dass man sich als Frau positiv seiner Weiblichkeit bewusst wird, aber es kann auch unheimlich nervig und, vor allem für Neulinge wie Lily, unangenehm sein. Meist sind entsprechende Äußerungen harmlos und eher als Anerkennung statt als tatsächliche Anmache zu verstehen. Mit einem ¡Hola guapa! oder einem ¡Qué linda! sollte man daher als Frau entspannt umgehen und es einfach als das auffassen, was es ist: ein Kompliment.

      In engen Bussen oder Bahnen kommt es allerdings auch hin und wieder zu körperlichen Übergriffen, was selbstverständlich keinesfalls zu tolerieren ist. Normalerweise findet man insbesondere in weiblichen Mitfahrern, denen das Problem vertraut ist, tatkräftige Hilfen. In Mexiko-Stadt gibt es mittlerweile in der U-Bahn eigene Abteile für Frauen und Kinder und vereinzelt eigene Busse für Frauen.

      Der machismo ist in Mexiko noch immer allgegenwärtig, jedoch sollte man nicht alles auf die Goldwaage legen – sicherlich hat Héctor mit seinem zuvorkommenden Verhalten keineswegs beabsichtigt, Lily in ihrer Freiheit zu beschränken oder ihr Unfähigkeit zu unterstellen. Es hätte genügt, ihn in normalem Tonfall auf sein Verhalten und das eigene damit verbundene Unwohlsein hinzuweisen, statt ihn mit einer wütenden Reaktion vor den Kopf zu stoßen.

      3

       ¡VIVA MÉXICO!

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