Fettnäpfchenführer Bayern. Nadine Luck

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Fettnäpfchenführer Bayern - Nadine Luck Fettnäpfchenführer

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Minuten? Mensch, Jochen! Eine geschlagene Stunde warte ich hier – und warte und warte, bis der werte Herr …«

      »Wieso eine Stunde? 18.45 Uhr hast du doch gesagt, ich hab das noch genau im Ohr!«

      »Nein, mein Lieber: Dreiviertel sechs haben wir ausgemacht.«

      »Ja, sag ich doch!«

      Da lacht Magdalena lauthals los. »Du weißt nicht, was dreiviertel sechs bedeutet? Ehrlich nicht? Sorry, das hätte ich nicht für möglich …« Sie hakt sich bei Jochen ein und zieht ihn in Richtung Marienplatz. Auf dem Weg erklärt sie ihm, wie die Uhren in Bayern ticken – beziehungsweise Münchens Uhren. Dabei bummeln sie fröhlich durch die Fußgängerzone, halten beim indianisch aussehenden Künstler, der seiner Panflöte wunderschöne Melodien entlockt, und bestaunen die neugotische Fassade des Rathauses. Und tatsächlich ist es schade, dass sie nicht schon deutlich früher unterwegs sind: Denn täglich um 17 Uhr bestaunen Touristen das Glockenspiel im Mittelturm des Rathauses, wie Jochen von Magdalena erfährt. Dabei zeigen 32 Figuren auf mehreren Ebenen Szenen aus der Stadtgeschichte.

      Sie gehen weiter durchs Tal – ebenfalls eine gleichermaßen beliebte wie belebte Einkaufsstraße – und stehen schließlich vor dem Isartor, einem der alten Stadttore Münchens. Aus den Augenwinkeln bemerkt Jochen oben im Turm des Tors eine Uhr. Er blickt hoch und traut seinen Augen nicht. Er hat geschätzt, dass es ungefähr 8 Uhr abends sein müsste, denn inzwischen hat er einen Bärenhunger und freut sich aufs Abendbrot, das sie im berühmtesten Wirtshaus der Welt essen wollen, dem Hofbräuhaus. Der Stundenzeiger der Uhr aber bewegt sich in diesem Moment auf die Vier – und zwar gegen den Uhrzeigersinn, von der Fünf kommend.

      »Magdalena, siehst du das auch?«, fragt er. »Was soll denn das schon wieder? Was ist mit euren Uhren los?«

      Sie grinst. »Schau mal genau hin. Die Uhr zeigt die Zeit exakt an. Aber sie liest sich anders. Denk mal ein bisschen mit …«

      Da sieht Jochen nochmals hin und erkennt, dass nicht nur die Uhr augenscheinlich rückwärtsläuft – auch die römischen Ziffern sind verkehrt herum angeordnet. Nachdem er das herausgefunden hat, sieht er, dass es tatsächlich genau 8 Uhr ist. »Schön, dass es so unkompliziert ist bei euch«, sagt er.

      Jochen beschließt, während seines Aufenthalts in Bayern eher niemanden nach der Zeit zu fragen und sich auch nicht auf öffentliche Uhren zu verlassen.

       DIE VER-RÜCKTE UHR VON KARL VALENTIN

      »In Bayern gehen die Uhren anders.« Dieses Zitat stammt vom ehemaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt. Der ehemalige bayerische Landesvater Franz Josef Strauß meinte dazu: »Wenn man manchmal sagt, in Bayern gehen die Uhren anders, kann das höchstens heißen, dass sie anderswo falsch gehen.« Die Uhr im Münchner Isartor läuft allerdings wirklich gegen den Uhrzeigersinn und damit verkehrt herum. Die Künstlerin Petra Perle spendierte sie der Stadt – als Hommage an den großen Komiker Karl Valentin, dem ein »Musäum« im Isartor gewidmet ist. Denkmalschützer votierten zwar im Jahr 2005 gegen die Installation dieser buchstäblich ver-rückten Uhr, doch der Stadtrat sprach sich dafür aus.

       Obacht, neidabbd!*

      Wenn der Bayer sagt, es ist »dreiviertel zwei«, dann ist es 1.45 Uhr – oder auch 13.45 Uhr. Wenn es 7.15 Uhr ist, ist es noch komplizierter. Dann ist es nördlich der Donau, etwa in der Oberpfalz, in Franken und auch quer durch die neuen Bundesländer hinauf bis zur Insel Rügen »viertel acht«. Traditionell sagen Ober- und Niederbayern derweil zu 7.15 Uhr »Viertel über sieben« – wie Magdalenas Opa aus Niederbayern. Die jüngeren Leute sagen »Viertel nach sieben«.

      Wenn nun ein Franke mit einem Niederbayern ein Treffen für »viertel sieben« vereinbart, kann es glatt passieren, dass der Niederbayer von »Viertel über sieben« ausgeht – und im Zweifel eine ganze Stunde zu spät kommt. Diese genannten Regeln gelten meistens – und manchmal auch nicht. In einigen Gegenden Bayerns ist mit »viertel zwölf« mal 11.15 Uhr, 12.15 Uhr oder auch mal 11.45 Uhr gemeint. Und mitunter klingt die Uhrzeit in Bayern in den Ohren Auswärtiger tatsächlich wie höhere Mathematik, etwa wenn jemand die Frage nach der Uhrzeit mit »fünf vor dreiviertel sechs« beantwortet. Kann passieren.

      Eine höhere Uhrzeit als die Zahl 12 gibt es übrigens nicht in Bayern: 2 Uhr ist 2 Uhr – egal, ob es sich dabei um 2 Uhr nachmittags oder nachts handelt. Was gemeint ist, erschließt sich in der Regel aus dem Kontext.

       EINMAL AUF DIE UHR GESCHAUT

Uhrzeit In München In Franken In Niederbayern In Wuppertal
13.45 Uhr dreiviertel zwei dreiviertel zwei dreiviertel zwei Viertel vor zwei
13.15 Uhr Viertel nach eins viertel zwei Viertel über eins (trad.) Viertel nach eins

      2

       DAS MASSALLER DINGE

       BIERTRINKEN WIE EIN BAYER

      »Ein Candle-Light-Dinner wird das nicht«, sagt Jochen mit Blick auf die Tische für jeweils mehrere Personen, an denen in der weltberühmten Schwemme des Hofbräuhauses zahllose Menschen aus der ganzen Welt sitzen. Es ist voll und laut – und es riecht nach Bier. »Wir müssen uns irgendwo dazusetzen.« Magdalena nickt und geht zu einem Tisch, an dem nicht alle Plätze besetzt sind. »Ist hier noch frei?«, fragt sie.

      »Haut’s eich hera, na samma mehra«, antwortet ein freundlich aussehender Mann. »Setzt euch hin, dann sind wir mehr«, flüstert Magdalena in Jochens Ohr und sagt laut zu den Herren am Tisch: »Dankeschön!«

      Das verliebte Paar nimmt bei den Bayern Platz und Jochen schaut sich erst mal um. Ein prächtig bemaltes Kreuzgewölbe mit lukullischen Motiven wie servierfertigen Schweinsköpfen und gegrillten Hühnchen prangt über ihnen. »Durst ist schlimmer als Heimweh« steht über einem Rundbogen, unter dem Gäste in andere Teile des Wirtshauses gehen. Musiker in Tracht sitzen auf einem Podium im Zentrum des Saales und geben laute, volkstümliche Musik zum Besten. Einige Gäste schunkeln. Eine Kellnerin im Dirndl schiebt sich durch die Reihen, um Riesenbrezn zu verkaufen. »Jetzt ist doch kein Karneval«, denkt Jochen mit Blick auf ihr Outfit und eigentlich mit Blick auf die gesamte Szenerie – und muss schmunzeln. Zünftig ist das, würden die Bayern wohl dazu sagen. Die Stimmung in einem Bierzelt auf dem Oktoberfest dürfte sich von der im Hofbräuhaus nicht wesentlich unterscheiden. Jochen sieht zwei Menschen unschlüssig herumstehen. Aufgrund ihrer lässigen Sweatshirts vermutet er, dass es Amerikaner sind. Sie trauen sich offenbar niemanden zu fragen, ob sie sich dazusetzen dürfen. Verständlich. Es muss seltsam sein für Menschen aus einem Land, in dem die Plätze im Restaurant vom Kellner zugewiesen werden, sich zu fremden Leuten zu quetschen. In ihrer Heimat würde niemand auf die Idee kommen, Gästen

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