Fettnäpfchenführer Köln. Dirk Udelhoven
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Wenn nicht, setzt der Gemeinsinn der Bürger*innen ein. So auch am Ebertplatz: Die Kölner*innen lassen sich von Kriminellen nicht so einfach den Platz wegnehmen. Im Gegenteil, sie haben den Kriminellen den Platz selbst wieder weggenommen.
Schwaadschnüss
Jahrzehntelang hatte die Stadt den Ebertplatz verwahrlosen lassen. Es fehlte das Geld. Der Springbrunnen wurde abgeschaltet. Drogen- und Beschaffungskriminalität blühten auf. Erst als die Gewalt eskalierte, reagierte die Politik. Pläne kamen auf, den Platz zuzubetonieren. Ein Frevel. Denn architektonisch ist der Ebertplatz ein Vorzeigebau des Brutalismus. Weil er tiefergelegt ist, grenzt er sich optisch und akustisch von dem zentralen Verkehrsknotenpunkt ab. Ganz aus Beton mit geometrischen Formen schwingt sich der Platz terrassenartig wie eine Landschaft in die Tiefe. Auf der einen Seite geht es hinab zur U-Bahn und zum direkt anschließenden Theodor-Heuss-Park. Auf der anderen Seite gelangt man unter einer Überdachung zu unterirdisch gelegenen Gewerberäumen und über Treppen bzw. Rolltreppen auf die anderen Straßenseiten. Den Platz abreißen? No way für die Anwohner*innen. Sie stiegen auf die Barrikaden und erreichten eine sogenannte Zwischennutzung, die aktuell bis 2021 gilt.
Als Erstes wurde die Wasserkinetische Plastik des Kölner Künstlers Wolfgang Göddertz wieder in Schwung gebracht. 18.000 Liter Wasser kreisen hier stündlich. Kraftvolle Kunst, die Spaß macht. Ende der 60er Jahre hatte die Stadt Künstler aufgerufen, ein Projekt für den Ebertplatz zu entwickeln. Als Göddertz Kinder beim Spielen in einem Brunnen beobachtete, kam ihm die Idee zu seiner begehbaren Brunnenskulptur. Das Wasser sollte dabei so sprudeln, dass Formen entstehen. Er bekam den Zuschlag. 1977 wurde die Wasserkinetische Plastik fertiggestellt, 20 Jahre war sie in Betrieb. Ende der 1990er Jahre stellte man sie ab. Sparmaßnahmen.
Seit 2018 rauscht das Wasser wieder. Wenn es dunkel wird, erstrahlen Skulptur und Platz in bunten Farben. In die Gewerberäume zogen Galerien ein und belebten die unterirdische Ödnis mit Kunstprojekten. Im Restaurant African Drum treffen sich regelmäßig die Ebertplatz-Aktiven. Es gibt Open-Air-Kino und Konzerte, u. a. spielten hier Erdmöbel, Robert Forster und Judith Holofernes, es gibt Flohmärkte, Spielaktionen für Kinder und im Winter sogar eine Eisbahn.
2
FÜNFE GERADE SEIN LASSEN
ABER NUR WENN DIE KÖLNER*INNEN ES WOLLEN
Seit ein paar Tagen ist Ulla nun in Köln, der aufregenden Stadt am Rhein. Mit einem einzigen Koffer ist sie angekommen. Darin: Sommersachen, Sandalen, Sneakers, Unterwäsche, Hygieneartikel, Laptop und Kameraausrüstung. Wären in ihrem Gepäck nicht auch die Kieler Sprotten, der Holsteiner Katenschinken und die Flasche Köm, könnte sie wirklich im Urlaub sein. Die holsteinischen Spezialitäten sind Geschenke ihrer Freundinnen. Damit Ulla ihre Mädels nicht vergisst. Wie könnte Ulla! Ihre Familie und ihre Freund*innen sind das, was ihr am meisten fehlen wird.
Bevor trübe Stimmung aufkommt, verlässt Ulla die Wohnung. Behängt mit ihrer Kamera, erkundet sie die Nachbarschaft. Agnesviertel, so heißt die Gegend hier. Das weiß Ulla ganz genau. Denn sie hat »Agnesviertel« so oft von Stefan gehört, dass es on top ihrer meistgehörten Wörter des letzten halben Jahres gelandet ist. So lange kennt sie Stefan.
Als sie ihn gefragt hatte, wo genau er in Köln wohne, hatte er mit Stolz in der Stimme geantwortet: »Im Agnesviertel«, und sie erwartungsvoll angesehen. Ulla wusste nicht, was sie sagen sollte. Agnesviertel?! War das was Besonderes? Sie hatte keinen blassen Schimmer, wollte sich aber auch auf keinen Fall blamieren. Vielleicht war es das heimliche Szeneviertel Kölns, allen Insidern natürlich bekannt. Und sie, die Influencerin, die quasi per Definition Trends setzt und selbstverständlich immer voll im Trend ist, kannte den place to be nicht? Ging gar nicht. Also gab sie vor, Bescheid zu wissen, lächelte nett und wechselte das Thema.
Natürlich recherchierte sie umgehend im Internet. Doch was sie fand, war nicht der Rede wert. Viel Geschichte, aber weit entfernt von Hotspot, place to be und Geheimtipp. Mit anderen Worten: nichts, was sie sich merken müsste. Doch für Stefan schien »Agnesviertel« einen magischen Klang zu haben. Egal wer nach seinem Wohnort fragte: Zuerst kam Köln, dann Agnesviertel, nie der Straßenname oder irgendwelche Bezugspunkte in der Nähe. Zum Beispiel ein Museum, eine Bar, ein Club.
Jetzt steht Ulla selbst im Agnesviertel. Es ist hübsch, lebendig und einladend. Überall kann man draußen sitzen. Selbst Bäckereien haben Stühle und Tische auf dem Bürgersteig stehen. Ein bunter Mix an Geschäften. Supermarkt, Drogerie, aber auch viele kleine Boutiquen, Buch- und Blumenläden, Metzger, und es gibt sogar einen Markt auf dem Kirchvorplatz. Wie auf dem Dorf, denkt Ulla und muss lächeln.
GEWEIHTE LIEBE
Die Kirche St. Agnes ist die Namensgeberin des Viertels und nach dem Dom die zweitgrößte Kirche Kölns. Sie entstand aus Liebe. Im wahrsten Sinn des Wortes. Anfang des 20. Jahrhunderts ließ der Kölner Bauunternehmer Peter Joseph Roeckerath die Kirche errichten. Kurz zuvor war seine geliebte Ehefrau Agnes gestorben, nachdem die beiden 23 Jahre verheiratet gewesen waren. Die Kirche sollte ihre letzte Ruhestätte werden. 1913 wurde die Kirche durch den Kölner Erzbischof der heiligen Agnes geweiht.
Ulla lässt sich treiben. Sie folgt den Fotomotiven. Entlang der Alleen mit ihren prächtigen Altbauten, durch die Hülchrather Straße, in der der Kölner Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll zwanzig Jahre lang wohnte. Und dann landet sie im Rosengarten.
ROSENKAVALIER
Der Rosengarten verdankt seine Existenz dem Rosen-Fan und damaligem Oberbürgermeister der Stadt, Konrad Adenauer. Dass der Garten auch noch auf einem Dach liegt, hat ebenfalls mit Adenauer zu tun.
Das Dach gehört nämlich zur Festungsanlage Fort X, 1825 fertiggestellt und von Friedrich Wilhelm III. eingeweiht. Seitdem heißt es Fort Prinz Wilhelm von Preußen. Nach dem Ersten Weltkrieg sollte es abgerissen werden, doch Adenauer machte sich dagegen stark. Fort X blieb und wurde nach den Plänen des Gartenarchitekten Fritz Encke zum grünen Fort umgewidmet. In den äußeren Festungsgraben ließ er Bäume setzen und auf dem Dach den Rosengarten anlegen.
Heute ist die Fläche fast 100 Hektar groß. Über 50 Rosensorten wachsen hier. Darunter gibt es besondere Züchtungen wie die Peter-Frankenfeld- oder die Hamburger-Deern-Rose.
Stunden später und bei bester Laune kehrt Ulla heim. Sie hat viele Fotos geschossen und den Kopf voll kreativer Ideen für ihren Internetblog. Im Briefkasten ist Post. Ulla nimmt sie heraus. Werbung und eine Benachrichtigungskarte. Ulla hat ein Päckchen bekommen, das sie bei der Post abholen kann. Am nächsten Tag. Ein Päckchen? Ulla hat nichts bestellt. Vielleicht aus der Heimat? Von ihren Eltern? Oder von den Freundinnen? Sie platzt vor Neugier.
Endlich. Der nächste Morgen. Ulla ist eine Viertelstunde zu früh. Die Postfiliale hat noch geschlossen. Also noch schnell einen Kaffee trinken, und nichts wie hin. Sie ist die erste Kundin. Strahlend begrüßt sie den älteren Postbeamten mit dem größten Hufeisenschnäuzer, den Ulla im Leben gesehen hat. Doch für Staunen ist keine Zeit. Ulla legt die Abholkarte auf den Tresen. Der Herr nimmt sie stoisch an, schlappt in einen hinteren Raum und kehrt nach gefühlten Ewigkeiten mit einem Päckchen wieder. Kaum hat er