Traumberuf Tänzer. Wibke Hartewig

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Traumberuf Tänzer - Wibke Hartewig

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ganze Zeit in Bewegung sein« – Julek Kreutzer

      »Ich habe immer Fernweh.« Fernweh nach anderen Orten, Leuten und Ausdrucksmöglichkeiten. Julek Kreutzer ist auf der Suche und möchte es auch bleiben. Ihr Tanzen hat ihr das bisher ermöglicht – Grund genug, es nun zur Profession zu machen.

      Es ist ihre erste Tanzlehrerin, die Kreutzer auf diese Spur setzt und mit der sie bis heute in regelmäßigen Abständen durch die Welt tourt. Das vierjährige Mädchen, das unter Asthma leidet und sich so viel wie möglich bewegen soll, wird von seiner Mutter im Kindertanzkurs einer nahe gelegenen Schule für darstellende Künste angemeldet, in dem viel mit Bewegung gespielt und improvisiert wird. Die Kleine ist begeistert. Während zunächst noch das phantasiegeleitete Tanzen überwiegt, kommen über die Jahre auch technische Elemente aus dem Modern Dance und Ballett hinzu. Die Lehrerin lässt ihre Schüler häufig mit Partnern und in der Gruppe arbeiten. Ihre Klassen bieten einen offenen Raum: Kreutzer hat das Gefühl, jederzeit alles ausprobieren zu können, was ihr in den Sinn kommt.

      Mit 13 Jahren begleitet sie ihre Lehrerin zu einem Tanzprojekt nach Toulouse. Es wird ein prägendes Erlebnis. »Alle anderen Teilnehmer waren Profis und viel älter als ich. Trotzdem haben sie mich als vollwertig behandelt: Ich stand auf der gleichen Stufe wie sie und tanzte mit ihnen auf einer Bühne. Das war eigentlich meine erste professionelle Arbeit.«

      Nach dem Toulouse-Projekt wird der Tanz für Kreutzer immer wichtiger: Während sie vorher nur einmal in der Woche trainiert hat, nimmt sie jetzt öfter Unterricht. Ihre Lehrerin legt ihren Eltern nahe, das Mädchen auf eine staatliche Ballettschule zu schicken, da sie eine umfassende tanztechnische Vorausbildung für Jugendliche nur dort gewährleistet sieht. Die Eltern lehnen aber ab, und auch Kreutzer ist nicht überzeugt. Ballett findet sie einfach langweilig. So kommt es, dass sie bis heute nie länger am Stück intensiv Ballett trainiert hat, auch wenn man ihr dies immer wieder empfohlen hat, um eine handwerkliche Grundlage für ihren eigenen Tanz zu schaffen. »Ich weiß, das war dumm, denn man muss auch Dinge machen, die man nicht mag, um irgendwo hinzukommen. Aber ich habe mich immer dagegen gewehrt.«

      Sie belegt lieber Kurse in modernem und zeitgenössischem Tanz bei Lehrern, die sie mag und die sie inspirieren und fördern. Ihr Hauptinteresse ist und bleibt die Improvisation. Weitere Tanztheaterprojekte mit ihrer ersten Lehrerin folgen, im Inland wie im Ausland. Nachdem sie in Kopenhagen mit Breakdancern zusammengearbeitet hat, nimmt sie zu Hause zusätzlich eine Zeit lang Hip-Hop-Unterricht.

      Dann hat sie ihr Abitur in der Tasche und ihren Berufswunsch geformt: Tänzerin. Sie nimmt sich zunächst ein Jahr frei, um möglichst viel zu trainieren, und jobbt nachts in einer Bar, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Als Praktikantin begleitet sie ihre Lehrerin bei einem Projekt nach Afrika. Außerdem bewirbt sie sich an allen renommierten Tanz(hoch)schulen mit modernem und zeitgenössischem Schwerpunkt für ein Studium, sowohl in Deutschland als auch in Österreich, England, Belgien und den Niederlanden. Letztlich bietet ihr nur eine private Schule in Berlin einen Platz an. Kreutzer führt das unter anderem auf ihr technisches Niveau zurück: Da die meisten Aufnahmeprüfungen mit einem klassischen Balletttraining beginnen und häufig erst ganz am Ende – wenn überhaupt – improvisiert bzw. ein Solo gezeigt werden darf, ist sie in der Regel schnell aus dem Rennen.

      Julek Kreutzer fängt ihr Studium an der privaten Schule an, bricht es aber nach einem halben Jahr ab. Sie ist mit der Qualität des Unterrichts unzufrieden und hat das Gefühl, nicht das zu lernen, was sie braucht. Außerdem stimmt die Chemie zwischen ihr und der Hauptdozentin nicht. Sie beginnt sich zu fragen, ob sie nicht auch ohne Studium in freien Projekten tanzen und nebenbei in selbst zusammengestellten Kursen weitertrainieren kann. »Ich dachte mir: Du hast so viele Bewerbungen für Schulen geschrieben, schreib doch einfach mal Bewerbungen für Auditions, als professionelle Tänzerin. Mach es doch einfach. Und ich habe ein paar Bewerbungen rausgeschickt, wurde aber nie zu den Auditions eingeladen. Es kam immer wieder die Antwort: ›Sorry, du hast keinen Abschluss‹, nach dem Motto: Du bist kein Profi.« Daraufhin beschließt sie, eine zweite Aufnahmerunde an den Schulen zu drehen, um erst einmal einen Abschluss zu machen und sich damit bewerben zu können.

      Bei der zweiten Prüfungstour fühlt Kreutzer sich schon sicherer, da sie die Situation und die Anforderungen besser einschätzen kann. Sie bewirbt sich bei den vier Schulen, an denen sie sich im Vorjahr am wohlsten gefühlt hat, und dazu bei zweien, die sie noch nicht kennt. Die sind zuerst dran: »Bei der einen standen wir zu Hundert im Saal, haben unsere Nummern verteilt bekommen und wurden einfach so abgefertigt: Nein, nein, nein, nein. Was die als Improvisation rausgegeben haben, war zum Teil lächerlich. Nach vorne laufen, auf acht Zeiten völlig frei improvisieren, wieder abgehen. Was kannst du denn da zeigen außer Bein-hinters-Ohr? Die Mädchen sind alle laufstegmäßig nach vorne gewackelt … das war nicht meine Vorstellung von Tanz. Ich kam mir ziemlich verloren vor.« Auch die zweite Schule ist nicht ihr Ding: zu technisch – sie fliegt sofort raus.

      Bei den Schulen, die Kreutzer schon kennt, läuft es besser als im Vorjahr. An der, die sie schließlich aufnimmt, passen die Prüfung und die Leute am besten zu ihr. »Ich hab mich einfach so wohl gefühlt. Es waren auch ganz andere Umstände als bei den beiden Schulen vorher: Du hast zum Beispiel keine Nummer bekommen.« Es wird sehr viel in der Gruppe gearbeitet, viel improvisiert, und schließlich darf jeder ein dreiminütiges, vorbereitetes Solo zeigen. »Mein Vorteil war, dass ich mir bei meinem Solo total sicher war. Ich hatte es während unseres Afrika-Projektes entwickelt und dort schon auf der Bühne gezeigt. Das hatte einen Hintergrund, das machte Sinn.«

      Auch wenn sie sich an dieser Schule, an der sie demnächst ihr Studium beginnt, voraussichtlich wohlfühlen wird und ihren Interessen nachgehen kann, überfallen sie hin und wieder Zweifel, ob es die richtige Wahl ist, weil der Schwerpunkt hier, im Gegensatz zu anderen Schulen, nicht auf den klassischen Tanztechniken liegt. »Vielleicht verbaue ich mir damit den Weg in bestimmte Kompanien und an bestimmte Theater. Aber andererseits: Das hat mir Spaß gemacht, das ist die Schule, die mich genommen hat. Mal sehen, was daraus wird. Ich werde mir aus der Schule das rausnehmen, was ich brauche. Und wenn mir das noch nicht reicht, suche ich mir außerhalb zusätzliche Trainingsmöglichkeiten.«

      Ob sie später mit reinem Tanz arbeiten oder eher in den Performance-Bereich gehen wird, weiß sie jetzt noch nicht. Zunächst möchte sie mit verschiedenen Bewegungsstilen und Medien experimentieren. Dabei geht es ihr nicht darum, bestimmten Formen, Körperbildern und ästhetischen Idealen gerecht zu werden, sondern um das Spiel mit ihnen. Die Schule, die sie jetzt besuchen wird, unterstützt ihr Tanzverständnis: »Ich bin nicht daran interessiert, einfach nur zu tanzen, sondern ich glaube, dass es die Kunstart ist, in der du alles verbinden kannst. Ich habe auch viel mit Literatur gemacht, habe versucht, Text und Tanz zusammenzubringen; das finde ich zum Beispiel spannend.« Zwar will sie erst einmal primär als Tänzerin auf der Bühne stehen, doch trennt sie das Tanzen nicht vom Choreographieren, davon, eigene Ideen zu realisieren.

      Kreutzer blickt auf zwei ziemlich stressige Jahre zurück: »Immer nur bewerben, immer ein Praktikum finden, um einen Status zu haben, viel Projektarbeit mit meiner alten Lehrerin, auch viel Arbeit mit Jugendlichen, außerdem die ganzen Nebenjobs. Ich hatte nicht das Gefühl, voranzukommen. Das hat unglaublich viel Kraft gefressen, alles war total unsicher. Jetzt habe ich endlich das Gefühl, dass es vorangeht.«

      Ihre Nebenjobs wird sie vorerst weitermachen, und die sind ihren Tanzambitionen nicht nur finanziell förderlich: Wenn sie etwa abends bei Tanzveranstaltungen an der Bar steht, trifft sie häufig Leute aus der Szene. Viele Jobs werden ihr von Bekannten vermittelt – Networking. Auch die Profi-Laien-Projekte möchte sie, soweit es das Studium erlaubt, gerne nebenbei weiterverfolgen: Sie findet, dass beide Gruppen viel von den Ideen und Bewegungen der anderen profitieren können. Und sie mag es, aus der Blackbox des Theaters herauszukommen und in der realen Welt zu proben und zu spielen.

      Ihre Vision für die Zukunft: »Ich möchte viele ganz unterschiedliche Leute treffen und mich mit ihnen

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