Traumberuf Tänzer. Wibke Hartewig
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»Unbedingt selbstkritisch bleiben« – Ramon A. John
Erst jetzt, während seines ersten Engagements bei einer mittelgroßen, zeitgenössischen Stadttheater-Kompanie, bekommt Ramon A. John eine konkrete Idee von der Richtung, in die er gehen möchte. »Momentan, da ich jeden Tag trainiere und probe, finde ich langsam heraus, was mich wirklich interessiert. Ich glaube, man braucht dafür genau das: einen Job oder ein Praktikum, in dem man diesen Alltag austesten kann. Dann sieht man andere Choreographen, Stücke, Arten zu arbeiten, das Kompanie-Leben und merkt, ob das passt oder nicht.« Dann muss er vorher wohl instinktiv den richtigen Weg gegangen sein. Und ihm ist klar, dass der hier nicht endet und er weiterhin offen und beweglich bleiben muss, um beruflich zu überleben.
Mit dem Tanzen fängt John in der örtlichen Schautanzgruppe an, zu der ihn seine Mutter mit acht Jahren mitnimmt. Er fährt zu Turnieren, geht mit auf Titeljagd. Schnell möchte er auch aus eigenem Antrieb weitermachen. Mit der Gruppe vertanzt er Filme, Geschichten und Musicals in modernem Showtanzstil und Jazz, sehr darstellerisch, sehr effektgeladen. Mit 13 startet er in der Solosparte und spezialisiert sich auf Nummern zu Musical-Themen.
Schon bald interessiert John die darstellende Kunst auch als Beruf. Nachdem er mit einer Showtanzkollegin in eine Ballettstunde hineingeschnuppert und ihm diese Art zu tanzen auf Anhieb zugesagt hat, trainiert er zusätzlich ein Jahr lang Ballett, bis er sich mit 17, kurz vor Abschluss der allgemeinbildenden Schule, an verschiedenen staatlichen Tanzhochschulen bewirbt.
Zwei Ballettakademien bieten ihm einen Platz an. Doch gefällt es ihm dort nicht; er spürt, dass das nicht das Richtige ist, auch wenn er den Grund zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst fassen kann. Bei einer weiteren, sehr technisch, aber stark zeitgenössisch ausgerichteten Hochschule mag er die dort vertretene Ästhetik auf Anhieb: Er hat sich Videos der Choreographen, die mit der Schule in Verbindung stehen, angeschaut, ist begeistert und will so etwas unbedingt auch ausprobieren. Glücklicherweise wird er angenommen.
Ramon A. John hat starken Konkurrenzdruck unter den Studierenden erwartet – und ist positiv überrascht. Die Gruppe ist klein, man arbeitet viel zusammen und es herrscht eine familiäre Atmosphäre, die auch die Dozenten einschließt. »Ich habe von Schulen gehört, die viel mehr auf Konkurrenz setzen, indem die Schüler in verschiedene Levels eingeteilt werden oder die Klassen zunächst relativ groß sind und dann nach dem ersten Jahr noch einmal um die Hälfte verkleinert werden. Ich glaube, das wäre nichts für mich gewesen, ich glaube, ich habe die sehr persönliche Förderung hier gebraucht.« Außerdem gefällt ihm die Vielfalt des Angebots. Zwar hat er mit tanzpraktischem Unterricht in den verschiedensten Techniken – vom klassischen und neoklassischen Ballett über modernen Tanz bis hin zu Release, Kontaktimprovisation und Improvisation – gerechnet, nicht aber mit dem umfangreichen theoretischen Angebot. »Das war eine sehr kreative Ausbildung, auch für den Kopf, was wichtig ist für einen Tänzer.«
Zu den Highlights der Ausbildung zählt er auch das Repertoire, das die Studierenden bei den drei Aufführungen pro Jahr tanzen dürfen und das sie zum Teil mit den Choreographen oder ihren Assistenten persönlich einstudieren. »Diese tollen Stücke, die zur Tanzgeschichte dazugehören. Weil wir nicht so viele waren, bekam jeder mal die Chance, solistisch zu performen, sodass er wirklich zum Künstler ausgebildet wurde. Man macht auf der Bühne mit diesen herausfordernden Stücken die Erfahrung, dass man sich durchkämpfen muss. So ist es ja später im Job auch. Und darauf war ich schon vorbereitet.«
Generell war diese Ausbildung für ihn genau das Richtige, meint John heute. Das hätte auch viel mit Glück und den passenden Lehrern zu tun gehabt. »Die ersten zwei Jahre waren schwierig für mich wegen einer bestimmten Lehrerin, deren Unterricht mich nicht immer so weit gebracht hat, weil ihre Lehrmethoden mich mit meinen 17 Jahren nicht motiviert haben. Im dritten Jahr bekamen wir eine neue Lehrerin, die war komplett anders. Ihre Art zu arbeiten und zu korrigieren war sehr gut für mich. Und wenn ich das drei Jahre lang gehabt hätte, wäre ich jetzt wahrscheinlich ein anderer Tänzer.«
Im zweiten Studienjahr springt er in einer Produktion des Jahrgangs über ihm ein. Das ist sein erster Kontakt mit der regelmäßig kooperierenden Gastchoreographin, deren Stil und Stücke ihm gut gefallen. Im Jahr darauf kommt sie wieder, um mit seinem Jahrgang eine Choreographie einzustudieren – und ist begeistert von der Entwicklung, die er dank seiner neuen Lehrerin durchgemacht hat. Sie bietet ihm für die folgende Spielzeit einen Praktikantenvertrag in ihrer Kompanie an. John muss noch alleine zu einem Vortanzen kommen, das klassische Kompanie-Training mitmachen, eine kurze Variation aus einem Stück lernen und präsentieren. Die Choreographin, die inzwischen erfahren hat, dass John die Schule schon verlassen darf, und eine zusätzliche Geldquelle aufgetan hat, kann ihm daraufhin sogar einen Teilspielzeitvertrag als festes Ensemblemitglied anbieten. John meint, er habe viel Glück gehabt. »So ein Berufseinstieg ist wohl eher für Männer typisch. Es gibt einfach nicht so viele, die werden stärker gesucht.«
Der Übergang vom Studium in den Berufsalltag bringt für John einige Veränderungen mit sich, mit denen er erst einmal umzugehen lernen muss. So empfindet er es zum Beispiel als schwierig, seinen Körper in Form zu halten ohne den Drill, den er aus dem Studium gewohnt ist. »In der Kompanie wird natürlich Training angeboten, aber da steht kein Lehrer mehr neben einem, der ›Mehr!‹ ruft. Ich habe diesen Antrieb zum Glück immer noch selbst, und ich habe auch die Stimmen von meinen Lehrern im Kopf, was mir hilft. Aber es ist natürlich eine Verlockung, diese Disziplin im Training schleifen zu lassen. Und das kann dann ganz schnell dazu führen, dass die technische Basis, die man für unsere Stücke braucht, nicht mehr da ist.« Da die Kompanie sehr viele Aufführungen pro Jahr hat, braucht er extrem viel Kraft und Kondition – die ihm noch fehlen. Daher geht er seit Neuestem zusätzlich zweimal die Woche ins Fitnessstudio.
Und noch einen großen Unterschied sieht er zum Studium: »Es ist nicht mehr so vielfältig. Es ist jetzt immer der Stil unserer Choreographin, jeden Tag. Und dafür muss man schon bereit sein, ansonsten kann man das nicht lange machen. Da muss man schon genau die richtige Gruppe gefunden haben, genau den richtigen Ort.«
Das hat John offenbar, jedenfalls für den Moment. In der Kompanie mit ihren 17 Tänzerinnen und Tänzern gibt es keine offizielle Hierarchie; alle haben ähnliche Aufgabenfelder. Im Gegensatz zu vielen anderen Ensembles bekommen die neuen Mitglieder auch Gelegenheit, das Repertoire mit den Ballettmeistern in Einzelproben einzustudieren. All dies empfindet John als sehr angenehm und es ist in seinen Augen mitverantwortlich für die gute Arbeitsatmosphäre. Der Arbeitstag – dienstags bis samstags – dauert von 10:00 bis 18:00 Uhr; wenn Vorstellungen sind, enden die Proben schon um 16:00 Uhr. Und jeden Tag gibt es eine Stunde Mittagspause, das ist, wie John gehört hat, durchaus nicht die Regel: In anderen Kompanien wird teilweise lange durchgearbeitet, sodass nur Zeit zum Essen bleibt, wenn man gerade nicht gebraucht wird.
Struktur und Arbeitsweise seines Ensembles hält John für relativ typisch für moderne bzw. zeitgenössische Tanzkompanien. Zwar fordert ihre Choreographin durchaus tanztechnische Virtuosität, doch gibt es gleichzeitig einen starken Tanztheatereinfluss: Es wird viel gesprochen und gesungen, und an der Stückentwicklung sind die Tänzer häufig in Form von Improvisationen beteiligt. Außerdem wird das eigene Choreographieren der Ensemblemitglieder unterstützt: Ein Tanzabend der Spielzeit ist dafür reserviert. Auch John entdeckte dabei plötzlich seine Lust am Stückekreieren, obwohl die Eigenarbeiten in der Schule nicht unbedingt sein Fall waren.
John hat jetzt ein paar Choreographen gefunden, mit denen er später gerne zusammenarbeiten würde. Noch weiß er allerdings nicht genau, wohin die berufliche Reise führen soll. »Nach dem Eindruck hier ist es schwierig für mich, etwas ebenso Gutes zu finden. Ich kann mir vorstellen, hier noch länger zu bleiben, falls man es mir anbietet. Ich habe mir allerdings auch vorgenommen,