Reisen unter Osmanen und Griechen. David Urquhart

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Reisen unter Osmanen und Griechen - David Urquhart Edition Erdmann

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übernehmen kann. Je weiter man vorschreitet, gerade um so deutlicher werden die Schwierigkeiten solch eines Studiums, desto grösser das Misstrauen des Forschers.

      Wenn ein Botaniker, an eine Gegend gewöhnt, die nur eine beschränkte Zahl von Arten enthält, seine Theorie der Botanik auf solche allgemeinen Regeln gegründet hat, wie er nach dieser beschränkten Anzahl von Daten aufstellen durfte oder anwenden konnte, und nun plötzlich in eine andere Gegend gerät, wo er seine Grundsätze unanwendbar oder unzureichend findet, so muss er augenblicklich die ganze Wissenschaft, zu der er sich bekennt, revidieren. Ebenso wenn man Nationen beobachtet und auf Ideen stösst, die, wenn richtig verstanden, nicht genau durch die Worte der bekannten Sprache übersetzt werden können, muss man augenblicklich zu den ersten Anfängen zurückkehren, zurück zu der Wiederbeobachtung der menschlichen Natur.

      Darin liegt die Schwierigkeit des Orients, der eigentliche Grund der Verlegenheit, die sich zu vergrössern scheint, je nachdem die Materialien sich anhäufen. Wer das Morgenland einen Tag lang ansieht, kann äussere Gegenstände mit den Worten skizzieren, die in der europäischen Sprache vorhanden sind. Um aber im Stande zu sein Gedanken vorzuführen, muss er fühlen wie die Morgenländer, und dennoch diese Gefühle in einer Sprache beschreiben, die nicht die ihrige ist, und das gerade ist eine überwältigende Aufgabe. Die Sprache ist die herkömmliche Vertreterin der Eindrücke; aber wenn die Eindrücke nicht dieselben sind, können sie nicht durch gemeinsame Töne ausgedrückt werden, und deshalb ist da, wo eine Verschiedenheit der Eindrücke stattfindet, keine Möglichkeit einer gemeinsamen Sprache.

      Bei dieser Schwierigkeit der gemeinsamen Mitteilung darf man natürlich nur annehme, dass jeder Teil in den Augen des anderen gelitten hat: wir sind der Mittel beraubt gewesen, das Gute zu würdigen; wir haben das Schlechte übertrieben und das Gleichgültige ungünstig gedeutet. Die ursprüngliche Unzulänglichkeit der Sprache ist später die Veranlassung zu einer entschuldbaren Feindseligkeit geworden, und aus dieser Wechselwirkung von Ursache und Wirkung ist endlich gegenseitige Verachtung entstanden. Dieses bei den im Morgenlande ansässigen Europäern eingewurzelte Missverständnis beschliesst durch die bestehende Feindseligkeit Reisende aus von dem Verkehr mit den Landeseingeborenen. Sie haben nicht den Schlüssel zum Verkehr und sind in den ersten Eindrücken, durch welche ihre ganze spätere Laufbahn notwendig geleitet wird, von den im Orient ansässigen Europäern abhängig, welche mit ihnen dieselbe Sprache reden.

      Man sollte annehmen, dass Leute, die ihr Antlitz der aufgehenden Sonne zuwenden, von einem edlen Eifer der Forschung beseelt wären; dass ihre Einbildungskraft erwärmt wäre von der Poesie des orientalischen Lebens und dem Glanz morgenländischer Staffage; dass Männer, deren früheste Erziehung nach der Bibel gebildet worden, und deren kindliche Sehnsucht angefeuert wurde durch den orientalischen Hauch der „arabischen Nächte“, mitfühlend und teilnehmend auf jene Einrichtungen, Gewohnheiten und Wirkungen blicken würden, die allein in des Morgenlandes Klima leben. Nichtsdestoweniger ist es unglücklicherweise nur zu wahr, dass während europäische Reisende die politischen und moralischen Interessen und Charakterzüge vernachlässigten, die das Land darbietet, sie auch selbst die äusseren und physischen Züge vernachlässigten, die in den Bereich der Wissenschaften gehören, welche die der Gegenwart zu Gebot stehenden Fähigkeiten der Beobachtung und Vergleichung für sich in Anspruch nehmen. Die Botanik, die Geologie, die Mineralogie der europäischen und asiatischen Türkei sind kaum weiter gekommen seit Tourneforts Zeiten. Unsere gegenwärtige geographische Kunde der Länder von Hochasien verdanken wir einer in Paris angefertigten Übersetzung eines chinesischen Erdbeschreibers, dessen Werk vor anderthalb tausend Jahren erschien! Bis zum Berichte des Leutnants Burnes war die einzige Belehrung, die wir über den Lauf des Indus besaßen - des Kanals des indischen Handels und der Grenze der britischen Besitzungen - aus den Geschichtsschreibern Alexanders genommen! Wir dürfen uns also nicht wundern, dass wir unwissend sind, in Bezug auf das Wesen des orientalischen Geistes, die Grenzen orientalischer Kenntnis, die Ebbe und Flut orientalischer Meinung.

      Gibt man es bloss als allgemeinen Satz zu, dass das Studium des Orients schwierig sei, dass wir von Tatsachen nichts wissen, dass wir irrige Schlüsse ziehen, so mag das ein fruchtloses, unnützes Wahrheitsbekenntnis sein, und es bleibt also noch übrig und nötig zu zeigen, wie der Gebrauch gewisser Ausdrücke, die auf unseren Zustand anwendbar sind, zur Quelle des Irrtums wird, während es dem Beobachter auf keine Weise einfallen kann, der Irrtum liege nur im Gebrauch der Sprache, mit der allein er vertraut ist. Ich will deshalb einige Beispiele geben, die vielleicht dazu dienen, die Steine des Anstoßes zu bezeichnen, welche vorurteilsvolle und europäische Begriffe auf den Pfad werfen, auf welchem man den Orient erforschte.

      Blicken wir eben nicht gar viele Jahre zurück in der Geschichte von Großbritannien, so finden wir eine erniedrigte, jämmerliche, vereinzelte Bevölkerung. Wir sehen, dass der Fortschritt der Künste, der Landwirtschaft und vor allen Dingen des Wegebaues eine gleichzeitige Verbesserung in der Lage der Menschen hervorbrachte, und wir folgern natürlich, dass gute Wege, mechanische Fertigkeit u.s.w. Bedingungen des Wohlseins sind, und dass, wo sie fehlen, alles schlecht und erbärmlich sein muss. Hören wir also von Ländern, wo die Wege in so schlechtem Zustande sind, wie sie vor fünfzig Jahren in England waren, so schliessen wir, das gesellschaftliche Verhältnis dieser Länder sei, wie es in England zu einer früheren Zeit war, oder wie wir glauben, dass es war, denn der dogmatische Charakter des Heute ist stets geneigt, die Vergangenheit herabzusetzen. In England aber und in den unter derselben Breite liegenden Ländern kommen die Lebensgenüsse des Volkes aus ferner Zone her, müssen weit hervorgebracht werden, und um diese Luxusgegenstände zu erhalten, muss erst der Überfluss an heimischen Erzeugnissen ausgeführt werden, um ihn gegen jene zu vertauschen. Fehlt es einer so gelegenen Bevölkerung an leichten Transportmitteln, so muss sie aller der Lebensgenüsse entbehren, die aus dem Tauschhandel entstehen und den Gewerbfleiss erzeugen. Für sie werden also Landstraßen zur Lebensfrage; keineswegs aber sind Landstraßen von gleicher Wichtigkeit für Länder, wo jedes Dorf in seinem Bereiche die Bequemlichkeiten und Genüsse hat, welche nördliche Völkerschaften aus der Ferne holen müssen.

      Auf gleiche Weise war die Bevölkerung Großbritanniens, vor der Einführung des Gemüsebaues, während der langen, rauhen Wintermonate auf Nahrungsmittel der schlechtesten Art beschränkt. Gesalzener Speck, und in früheren Zeiten Aale, war die einzige Zugabe, die der Bauer während sechs Monaten im Jahr zu seinem Roggen- oder Gerstenbrot erwarten konnte, und wir halten daher natürlich die Verbesserungen der neueren Landwirtschaft für nötig, zu einer guten und vollständigen Kost und zum Wohlsein jeder ackerbauenden Bevölkerung. In Ländern aber, wo der Winter nicht so lange anhält, und wo die Erzeugnisse des Bodens mannigfacher sind, ist der Fortschritt der Wissenschaft des Landbaues nicht in demselben Grade nötig zum Wohlsein der Gemeinde. Der „zurückstehende Ackerbau“ ist daher eine Redensart, welche nicht denselben Begriff ausdrückt, wenn man sie auf Länder in verschiedenen Breiten anwendet.

      Ferner ist in unserer konstitutionellen Gedankenreihe der Ausgangspunkt, auf den wir zurückblicken, das Lehnswesen. Die Masse der Bevölkerung war damals wirkliches Eigentum, und da jeder Schritt, der geschehen ist in der Erlangung gesellschaftlicher Rechte, in der Festsetzung der Gleichheit, in der Erhebung der Macht und des Charakters eines allgemeinen Gerichtsstandes, eine Verbesserung der ursprünglichen Staatsverfassung war, so betrachten wir das Vorwärtsschreiten als gleichbedeutend mit Verbesserung. Im Morgenland ist der Ausgangspunkt: freies Eigentumsrecht jedermanns und Gleichheit aller vor dem Gesetze. Jede Abweichung von dieser ursprünglichen Verfassung ist als Verletzung ihrer Grundsätze und als Verletzung der Volksrechte vorgegangen. Morgenländische Bevölkerungen wünschen daher das Bestehenbleiben als die Sanktion der Volksrechte; der Europäer hingegen, der einsieht, das Vorrücken der Volksrechte liege in dem Worte Fortschritt, begreift den Orientalen nicht, der auf das Feststehende als auf etwas Vortreffliches hinsieht. Während also den Europäer seine vorgefasste Meinung der Fähigkeit beraubt, eine so wichtige und wertvolle Gedankenfolge zu begreifen, stellt er irrtümliche Angaben als die Grundlage aller seiner Folgerungen auf.

      Sodann veranlasst das Wort „Lehnswesen“ eine ähnliche Verwirrung. Das Lehnswesen, in seiner wahren und wesentlichen Bedeutung hat im ganzen Morgenland seit allen Zeiten

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