Reisen unter Osmanen und Griechen. David Urquhart
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Es war aber klar, mit Worten liess sich das nicht abmachen; wir konnten zu keinem befriedigenden Ende gelangen, weil Männer von gleichen Fähigkeiten und gleicher Sachkenntnis Ansichten hegten, die einander schnurstracks entgegen liefen. Jedenfalls waren alle Parteien darüber einig, dass die Selbstglückwünsche des Protokolls voreilig waren, und auf diesen Punkt berief man sich beständig, um den Grad der Unkunde in der Londoner Konferenz zu beweisen, eine Unkunde, von der man behauptete, sie könne nur aus absichtlich falschen Vorstellungen entstehen, die von Griechenland ausgingen.
Während diese Gegenstände in Argos besprochen wurden, trafen Nachrichten ein, die Sulioten3 in Albanien ständen wieder unter den Waffen; dann, die Albanesen wären aufgestanden. Einige sagten, sie hätten obendrein beschlossen, sich dem unheilbringenden Protokoll zu widersetzen; andere, sie rüsteten sich zu einem allgemeinen Einfall in Griechenland; die allgemein überwiegende Meinung aber ging dahin, ein großer Bund der christlichen und muselmännischen Albanesen unter Anführung des fürchterlichen Pascha von Skodra4 rüste sich, den Krieg nach Mazedonien und Thrakien zu versetzen und, Mustafa Bairaktar5 nachahmend, das illyrische Banner auf die Höhen zu pflanzen, welche die Kaiserstadt beherrschen.
So traf denn das Protokoll, das Griechenland abermals auf ein stürmisches Meer schleuderte, mit den Bewegungen in Albanien zusammen, welche das Dasein der Pforte selbst gefährdeten und so möglicherweise das bestehende Gebäude europäischer Macht zu zerschmettern drohten. Dieses Zusammentreffen aber bewog mich, meine Rückkehr nach England zu verschieben, um mich, soweit es die Kenntnis von den streitigen Punkten vermochte, zum Meister der Angelegenheiten zu machen. Ich beschloss, das Festland von Griechenland und das streitige Grenzland zu besuchen. Ich fühlte, dass meine Teilnahme an Griechenland so wie die Bekanntschaft mit diesem Lande daraus entsprang, dass ich teilgenommen hatte an seinem Kampf, und deshalb beschloss ich den Versuch, gleicherweise Albanien kennen zu lernen, und mich dem ersten Lager, dem ersten Anführer anzuschließen, die der Zufall mir in den Weg führen würde.
Am 7. Mai 1830 reiste ich von Argos ab, in Gesellschaft des Herrn Ross aus Bladensburg6, doch waren wir in Folge des allgemeinen Gerüchts genötigt, unser eigentliches Ziel zu verschweigen. Hätten unsere Freunde ahnen können, dass wir beabsichtigten, die wilden Arnauten zu besuchen, so würden sie uns für Wahnsinnige gehalten haben. Das hätte nun freilich wenig ausgemacht, aber wir hätten gewiss keine Diener gefunden, die uns hätten begleiten wollen.
Ich denke mir, die Sachen haben sich jetzt geändert, natürlich zu viel Besserem; allein zu der Zeit, von der ich schreibe, als Griechenland noch leichtherzig und jung war, damals wurde es einem Menschen schwer, seine Absicht zu verbergen. Bei jeder Biegung des Weges, an jeder Gassenecke, überall auf der Landstrasse wurde man alle Augenblicke aufgehalten, um eine ganze Reihe von Fragen zu erdulden. „Woher kommen Sie?“, „Wohin gehen Sie?“, „Was ist Ihr Geschäft?“, „Wie befinden Sie sich?“, „Wo ist Ihr verehrungswürdiges Vaterhaus?“, „Welcher von den großen Verbündeten hat die Ehre, Sie zu den Seinen zu zählen?“, „Was gibt’s Neues?“7 - und das alles wohlverstanden, zwischen völlig Fremden. Begegneten sich aber Freunde oder Bekannte, traf es sich gar, dass einer oder der andere zum Frauengeschlechte gehörte, dann begann mit den verdoppelten S-Lauten der griechischen Fragen ein Gezisch, das man für eine Zwiesprache zwischen Riesenschlangen hätte halten sollen. Nach dem Stand, der Gesundheit, der Stimmung, nach allem wurde einzeln gefragt, und dann folgten ähnliche Fragen in Betreff all und jedes bekannten Angehörigen, jedes Pferdes und Hundes. Zur schuldigen Danksagung musste man dann auch in den herkömmlichen Komplimenten für jeden antworten, der auf diese Weise beehrt wurde, zum Beispiel: „Wie befindet sich Ihr Herr Vater, der verehrungswürdige Archon?“ „Er lässt Sie schönstens grüßen.“ - „Wie befindet sich Ihr Herr Bruder, der achtungswerte Bürger?“ „Er küsst Ihre Augen.“ - „Wie befindet sich der hoffnungsvolle Sprössling, Ihr Sohn?“ „Er küsst Ihre Hand.“ Und von einem Dutzend Personenwird jeder sein Recht ausüben, einzeln den Reisenden zum Antworten zu bringen und jeder wird durchaus dieselben Fragen stellen, die er schon oben hat tun und beantworten gehört.
Während meiner früheren Wanderungen in Griechenland war ich wirklich nervös angegriffen von dieser Plage, die um so widerlicher wird, wenn man gerade aus der Türkei kommt, wo jede persönliche Frage, die nur irgend nach Neugierde schmeckt, dem Nationalgefühle und den Bräuchen völlig zuwider ist. Am Ende kam ich auf einen Einfall, der die Neugierde erstickte. Ich erzählte nämlich den Leuten, ich käme von Konstantinopel und ginge nach Jannena8 - eine so seltsame Erklärung machte allen ferneren Redensarten ein Ende. Jetzt aber, wo ich wirklich von Konstantinopel nach Jannena ging, musste ich auf die Vorteile des Eingeständnisses verzichten und unterwarf mich dem Hin- und Herfragen mit der Geduld, die sich mit den Jahren einstellt - und dies noch früher auf Reisen.
Wir waren also genötigt zu einer Pilgerfahrt nach den seit langer Zeit von den Fussstapfen hyperboreischer Wanderer unberührten Türmen und Gräbern der Helden, die sich von nah und fern an Aulis Küste versammelten und dem „Könige der Männer“ Treue schworen. Nicht besser konnten wir daher unsere Pilgerfahrt antreten, als indem wir unsere Andacht verrichteten bei dem Grab des großen Agamemnon und mit ehrfürchtigen Schritten die altersgrauen Trümmer von Mykenai durchwanderten, dieser Nebenbuhlerin Trojas. Diese Ruinen liegen nur wenige Meilen9 von Argos, und dort beschlossen wir, die erste Nacht zu bleiben. Unser Zelt - ich sage mit einer Art von Stolz, dass es ganz frei von eigener Hausarbeit war - hatten wir schon am Morgen mit Dienern und Packpferden vorausgeschickt. Erst nachdem die abendlichen Schatten begannen in der Ebene länger zu werden, verließen wir die zerstreuten Gässchen von Argos und schieden von seinen gastfreien Einwohnern. Wir kamen an dem schroffen und seltsam gestalteten Felsen vorbei, auf dessen Gipfel die alte Feste Lárissa steht. Dann durchwateten wir das leichte Flüsschen des „Vater Inachos“ und traten nun in die herrliche Ebene, die noch den Namen nach der Stadt des Agamemnon führt.
Noch jetzt, nachdem über sieben Jahre verlaufen sind, ist es mir eine wahre Freude, die Gefühle zurückzurufen, womit ich diese Reise antrat, und wenn es auch nicht leicht sein mag, zu beschreiben, was nur verstehen kann, wer es mitfühlt, so halte ich es doch für meine Pflicht, bevor wir aufbrechen, den Versuch zu machen, dem Leser, der mich begleiten will, die Art und Weise unseres bevorstehenden Marsches gewissermaßen anschaulich zu machen.
Durch die ganze europäische und einen großen Teil der asiatischen Türkei, wie auch in Persien und Mittelasien reist man zu Pferde. Mit eigenen Pferden macht man etwa 20 bis 25 Meilen täglich im Durchschnitt. Mit Postpferden, die man auf Stationen wechseln kann, die von 10 bis 48 Meilen entfernt sind, kann man täglich 60 Meilen bequem machen; 100 heißt schnell reisen, 150 am schnellsten; 600 Meilen in vier und einem halben Tage, 1200 in zehn, sind freilich schon Gewaltmärsche, aber durchaus nicht ungewöhnlich.
Diese Art zu reisen, wenn auch nicht gerade in solcher Eile wie eben erwähnt, ist beschwerlich, angreifend und ermüdend. Es ist keine Erholung, die für jedermann passt, und sogar ein Probestück für den, der kräftig ist und gleichgültig gegen Weichlichkeit und Bequemlichkeit; aber doch erzeugt sie nicht die Ermattung und den fieberhaften Zustand, der so gewöhnlich vom Fahren entsteht. Die Beschwerden selbst bringen ihre Freuden mit sich: Die Gesundheit wird kräftiger, die Nerven gestählter, die Lebensgeister frischer. Man ist in unmittelbarer Berührung mit der Natur; jede Veränderung in der Umgebung und in der Witterung bekommt ihren Wert und ihre Wichtigkeit, und nicht die kleinste Merkwürdigkeit der Gegend oder der Ortsgebräuche kann der Beobachtung entgehen. Die brennende Sonne kann uns zuweilen ermatten, ein Gewitterregen uns durchnässen, aber was kann erheiternder sein als die Ansicht, wenn der lange Trupp in bunten und lebhaften Trachten im vollen Galopp vorwärts sprengt, die Kurierpeitsche knallt