Reisen unter Osmanen und Griechen. David Urquhart

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Reisen unter Osmanen und Griechen - David Urquhart Edition Erdmann

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zu können, bin ich zu der folgenden Beurteilung des politischen Charakters des Islams gelangt.

      Als Religion lehrt er keine neuen Dogmen, stellt keine neue Offenbarung, keine neuen Vorschriften auf, hat keine Priesterschaft und keine Kirchenregierung. Er gibt dem Volke ein Gesetzbuch, dem Staat eine Verfassung, beide durch die Heiligung der Religion verstärkt. In seinem religiösen Charakter ist er andächtig, nicht dogmatisch. In seinem zivilrechtlichen Charakter ist er so einfach, umfassend und gedrängt, dass das Gesetz durch die moralische Verpflichtung unterstützt wird. In seinem politischen Charakter beschränkt er die Besteuerung, stellt die Menschen vor dem Gesetz gleich, heiligt die Grundsätze der Selbstregierung (wie in Amerika) und die örtliche Kontrolle der Rechnungen. Er setzt eine Kontrolle über die souveräne Gewalt fest, indem er die ausübende Macht der Macht des Gesetzes unterordnet6,

      die auf die religiöse Sanktion und auf moralische Verpflichtungen gegründet ist.

      Die Vortrefflichkeit und Wirksamkeit jedes dieser Grundsätze, von denen jeder einzelne schon im Stande wäre, seinen Begründer unsterblich zu mache, gibt dem übrigen Wert, und alle drei zusammen gaben dem von ihnen gebildeten System eine Kraft, welche die jedes anderen politischen Systems übertraf. Während eines Menschenlebens verbreitete sich dieses System, obgleich in den Händen einer wilden, unwissenden und unbedeutenden Völkerschaft, über einen grösseren Raum als das römische Weltreich. So lange es seinen ursprünglichen Charakter behielt, war es unwiderstehlich, und seine ausdehnende Kraft wurde erst gehemmt, als (um das Jahr 30 der Hedschra) eine Lüge in seine Jahrbücher aufgenommen wurde.7

      So wurden ein Glaube, ein Gesetzbuch und eine Verfassung in einen umfassenden Plan vereinigt, in welchem der Altardienst, die Dorfverwaltung, die Steuererhebung Ehrendienste waren, nicht besoldete Stellen, und wo keine Klasse oder Korporation eine Stelle mit Interessen einnahm, die im Widerspruch ständen mit denen der Gemeinde. Die Erhabenheit der Gottesverehrung, die Einfachheit des Gesetzbuches, die Trefflichkeit des Finanzsystems, die Freisinnigkeit der politischen Lehren, schienen den Islamismus mit den Mitteln zu begaben, zugleich die Einbildungskraft anzufeuern, die Vernunft für sich zu gewinnen, allen Bedürfnissen zu genügen, jeden Zweck, für den die Gesellschaft errichtet ist, zu erfüllen und von jeder denkbaren Seite her dem Menschen beizukommen.

      Nachdem ich so lange bei den Schwierigkeiten verweilt habe, welche im Wege stehen, um eine genaue Würdigung des Orients vorzunehmen, muss ich bemerken, dass diese Schwierigkeiten einzig und allein in eines Europäers vorgefassten Meinungen liegen. Lasst einen Europäer von mächtigem aber einfachem Geist nach dem Morgenland gehen, und der Schlüssel zur Einsicht steht ihm sofort zu Gebot. Als Beweis dieser Behauptung darf ich nur auf Lady Mary Wortley Montague8 verweisen, die sich nicht länger als vierzehn Monat an der Türkei aufhielt und doch fast jeden Zug der Gesellschaft in jenem Lande genau beobachtete und getreu malte. Während sie die einzige von allen Europäern war, welche richtig urteilte, ist sie auch die einzige gewesen, die oder der jemals dort Einfluss und Achtung erwarb. Die Ursache dieser ausserordentlichen Erscheinung finde ich darin, dass sie von der ersten Stunde an, wo sie das Land betrat, in einem türkischen Haus ihre Wohnung nahm, wodurch sie mit einem Mal dem schädlichen Einfluss fränkischer Einwohner und Dolmetscher entzogen wurde, während sie zugleich als Frau in die Fallstricke des politischen Lebens sich nicht verwickelte und nicht in die Irrtümer der Staatsgelehrten verfiel.

      Ich kann es nicht unterlassen, hier Herrn Lane’s Werk über Ägypten zu erwähnen9, der einzigen Beschreibung orientalischer Sitten in europäischer Sprache. Ich finde dieses Werk ganz vorzüglich geeignet, unsere Stellung im Orient zu verbessern, weil es jetzt einem Reisenden unmöglich ist dahin zu gehen, ohne zugleich zu wissen, dass dort ein anderes Gesetzbuch der Sitten und der Höflichkeit gilt, das er studieren muss, wenn er es unternimmt, das Volk zu kennen oder zu beurteilen.

      In Bezug auf vorliegende Bände habe ich nur noch zu sagen, dass ich denke, sie werden wenigstens die Untersuchung und Besprechung des Gegenstandes fördern. Die Grundlage ist ein fünfmonatlicher Ausflug in die europäische Türkei. Die damals aufgenommenen spärlichen Noten habe ich ausgearbeitet, während ich unter Türken und an den Ufern des Bosporus lebte. Die Arbeit diente indessen mehr zur Zerstreuung als zur Beschäftigung, während ich körperlich und geistig ernsthaft litt, und den peinlichen Eindrücken preisgegeben war, denen nämlich, dass ich die besten Interessen meines Vaterlandes aufgeopfert und die erhaltenden Grundsätze der türkischen Regierung und Gesellschaft untergraben sehen musste, weniger durch fremden und feindlichen Einfluss, als durch eine unselige Nachahmung abendländischer Sitten, Vorurteile und Grundsätze.

      1Hier eine Methode der historischen Forschung des 18. und 19. Jahrhunderts (Red.).

      3So war auch die Meinung der Gottesgelehrten zur Zeit der Reformation.

      4Ev. Joh. 10, 16 (Red.).

      5Beide hier genannten Personen, nämlich die aus Südarabien stammenden Tuleiha ibn Choveiled sowie Moseilana, genossen wie Mohammed das Ansehen, die wahren Propheten Arabiens zu sein.

      6So wurde die Armenversorgung, obgleich eine feste Summe, 2 1/2 Prozent vom Einkommen jedes Mannes von hinreichenden Mitteln, der eigenen Verteilung eines jeden überlassen. Daher der Grundstein des muselmanischen Charakters; daher die Gastfreundschaft und das Wohlwollen zwischen Nachbarn und Nebenmenschen.

      7Urquhart spielt hier auf die Regentschaft Uthmans ibn Affan (644-656), des dritten Kalifen, an, in dessen Herrschaftszeit die konfessionelle Spaltung des Islam einsetzte (Red.).

      8Ihr Ehemann war von 1716-1718 britischer Gesandter in Konstantinopel. (Red.)

      9Edward William Lane, ein britischer Afrikareisender (1801-1876), hielt sich von 1825 bis 1828 in Ägypten auf (Red.).

      URQUHART’S REISEN

      IM ORIENT.

      Reisen und Länderbeschreibungen.

      XVII. (Urquhart’s Tagebuch)

      ERSTES KAPITEL

      REISEZWECKE - ABREISE VON ARGOS - BESCHWERDEN UND FREUDEN EINER REISE IM ORIENT

      Am Anfang des Jahres 1830 war ich in Argos auf der Rückreise von Konstantinopel nach England, nachdem ich fast drei Jahre in Griechenland und der Türkei zugebracht hatte. Ich war gerade im Begriffe mich einzuschiffen und einem Land Lebewohl zu sagen, in dessen Geschick ich tief verflochten gewesen, das aber jetzt sein gewissermaßen dramatisches Ansehen und Interesse verloren hatte und in Frieden und Ehren unter die schützenden Fittiche der drei grössten Mächte auf Erden gestellt war. Gerade in diesem Augenblicke berührte ein Fahrzeug, ein königliches Schiff, die Landesküsten und brachte ein Protokoll mit, das mit wahrhafter Zaubermacht augenblicklich alle in Zwietracht versetzte. Es wäre wahrlich eine hübsche Aufgabe, zu schildern wie die Leute kamen und gingen und redeten und ratschlagten, wie die Fustanellen1 flatterten und rauschten, wie die Schnurrbärte gedreht wurden. So war es in Argos, aber überall war die Wirkung dieser Neuigkeit nicht weiter merkwürdig. Von Tage zu Tage trafen Nachrichten ein aus einer Provinz, aus einer Stadt nach der anderen; überall, wie in Argos, waren alle anderen Gedanken und Beschäftigungen bei Seite gelegt; überall verließ das Volk seine Läden und Häuser, und in Ermangelung einer Agora (Marktplatz) zum Ratschlagen versammelte man sich in den verschiedenen Kaffenien2 oder Kaffeehäusern, und dort entstanden Kampfplätze heissen Streites und Schulen der kräftigsten Beredsamkeit.

      Man kann sich leicht denken, wie unterhaltend dies alles für Reisende war; aber es war auch wirklich sinnverwirrend, wie ein Stück Papier mit drei Unterschriften ein ganzes Land in einen solchen Zustand

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