Reisen unter Osmanen und Griechen. David Urquhart
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Obgleich das Lehnswesen von Osten nach Westen gebracht worden, gingen damit in unseren westlichen Gegenden Abänderungen und Modifikationen vor, die das Wesen desselben völlig umänderten. Der ursprüngliche Charakter des Lehnswesens war eine örtliche militärische Organisation zur Verteidigung des Grundes und Bodens, wofür eine regelmäßige Abgabe gezahlt wurde, die sich auf den Zehnten des Ertrags von dem so beschützten Boden belief. Das Innehaben dieser Belehnung hing von dem Willen des Souveräns ab, und in den früheren Zeiten waren es allgemein jährliche Übertragungen. Im Westen wurden die Lehnsträger, die Vasallen, Eigentümer des Bodens, mit dessen Schutz sie beauftragt waren, und stürzten so die Grundsätze des Systems gänzlich um und verfälschten den Zweck. Das Lehnswesen im Morgenland lässt dem Bebauer das Eigentumsrecht; das Lehnswesen im Abendland hat ihn dieses Recht beraubt, hat das Land auf den Lehnsträger übertragen und den Bebauer in einen Leibeigenen verwandelt. Das System ist völlig verschieden, aber das Wort ist dasselbe. Der Europäer stösst auf ein Verhältnis, das er als Lehnswesen bezeichnet, und augenblicklich wendet er nun seine Ansichten vom abendländischen Lehnswesen auf den Zustand einer bürgerlichen Gesellschaft an, wo nichts dergleichen jemals bekannt war. Daher entstehen unsere Missbegriffe von den Eigentumsrechten unserer Hindu-Untertanen und eine Grundquelle von Missbegriffen jedes Grundsatzes orientalischer Regierung, Gesetze, Eigentumsverhältnisse und Gesetzgebung.
Man ist es gewohnt, die Regierung der Türkei, wie die der übrigen morgenländischen Nationen, als Despotismus zu bezeichnen, und diese Bezeichnung hat sich nicht nur auf Reisebücher beschränkt, sondern wird von Schriftstellern eines wissenschaftlichen Charakters und in der Klassifizierung der Länder gebraucht. Nun aber ist es ein sonderbar Ding, dass unsere Idee von Despotismus dem Geiste des Orients ganz unbekannt ist; dass, um einem Orientalen das Wort zu erklären, man ihm einen gesellschaftlichen Zustand beschreiben muss, wo die Leute über die Grundsätze von Recht und Gesetz uneinig sind. Die Idee des Despotismus, oder die Verfälschung des Rechtes durch die Gewalttat der Macht, kann nur da existieren, wo zwei Meinungen über Recht und Unrecht vorhanden sind, so dass eine schwankende und zufällige Mehrheit ihren Willen als die Richtschnur von Gerechtigkeit und Gesetz durchsetzt. Solch ein Zustand der Dinge hat Gefühle tiefer Erbitterung unter den Menschen erzeugt und entwickelt, und daraus entsteht folgerichtig eine Erbitterung des Ausdrucks in allen mit der Politik verknüpften Ideen. In Ländern aber, wo die Grundsätze der Regierung niemals im Widerspruch standen mit den Meinungen irgendeiner Volksklasse, ist der Missbrauch der Gewalt Tyrannei, aber nicht Despotismus. Die Menschen mögen dulden unter der Gewalttat der Macht, aber sie werden nicht erbittert dadurch, dass Ansichten, die sie verwerfen, in Gesetze verwandelt werden.
Zu den allen Europäern gemeinsamen Quellen der Täuschung kommen noch die, welche aus den Sekten- und Partei-Ansichten der Reisenden entspringen. Jeder Engländer gehört zu der einen oder der anderen der politischen Parteien, die sein Vaterland zerspalten. Unfähig, eine unparteiische Ansicht von seinem Vaterland zu fassen, wie kann er der Beurteiler eines anderen Landes sein? Selbst seine Sprache ist unanwendbar auf den Gegenstand, und die Worte rufen die Antipathie seiner Parteilichkeit hervor. Der Liberale nennt die Türkei eine despotische Regierung, verwirft sie schon durch dies Wort und forscht nicht weiter; der Tory erblickt in der Türkei volkstümliche Grundsätze und sieht nicht weiter hin; der Radikale sieht dort Grundsätze, die er für aristokratische hält, und der Begünstiger der Aristokratie verachtet die Türkei, weil es dort keine erbliche Aristokratie gibt; der Konstitutionelle hält ein Land ohne Parlament nicht der Mühe wert, weiter daran zu denken; den Legitimisten verdrießen die dort der königlichen Gewalt gesteckten Grenzen; der Staatsökonom stösst auf ein Steuersystem, das er inquisitorisch nennt, und der Verteidiger des „Schutzes der Industrie“ kann ohne Zollhaus keinen Wohlstand, keine Zivilisation sehen. So findet das Mitglied jeder Partei, der Bekenner jeder Klasse von Meinungen in den Worten, die er zu gebrauchen gezwungen ist, dasjenige, was seine Grundsätze verletzt und seine Theorie umstürzt.
Die zunächst sich darbietenden Hindernisse sind von gesellschaftlicher Art. Täuschungen metaphysischer, logischer und politischer Beschaffenheit missleiten unsere Vernunft; Irrtümer über Sitten empören unser Gefühl. Wir werden im Orient als Verstossene, als Verworfene behandelt. Wir forschen nicht nach der Ursache; wir erwerben uns nicht die Kenntnis, wodurch unsere Stellung verändert werden kann; wir sind folglich geneigt, wo möglich ungünstig zu schliessen, und sind entweder von ihrer Gesellschaft ausgeschlossen, oder, wen wir darin zugelassen werden, leiden wir unter unaufhörlicher Geistesverstimmung.
Die nächste und letzte Quelle des Irrtums, deren ich gedenken will, ist die Religion. Im Widerspruch mit der Liturgie der englischen Kirche sehen wir die Muselmänner als Ungläubige an, und im Geist unseres Zeitalters und Vaterlandes, der nicht weniger fanatisch in der Religion als im Unglauben ist, nicht weniger unduldsam im Glauben als in der Politik, behandeln wir als Feinde unserer Religion diejenigen, welche die Evangelien als ihr Glaubensbekenntnis annehmen und setzen bei ihnen dieselbe Unduldsamkeit gegen uns voraus, deren wir uns gegen sie schuldig machen.
Als ich dieses Werk unternahm, war einer meiner Hauptzwecke, das Wesen des Islam darzulegen, sowohl in der Glaubenslehre, als auch der Ausübung. Umstände aber, die zu erörtern unnütz sein würde, haben mir die nötige Muße genommen, die Frage gehörigermassen zu behandeln. Ich muss sie daher für den Augenblick fallen lassen, und will nur bemerken, dass ich als Presbyterianer und Calvinist den Islam in seiner Glaubenslehre der wahren Kirche näher halte3 als manche Sekten sich so nennender Christen. Der Muselmann gibt nämlich die Rechtfertigung durch den Glauben zu und nicht durch gute Werke; er erkennt die Evangelien als geoffenbarte Schriften und als Glaubensregel; er betrachtet Christus als den Geist Gottes, als ohne Erbsünde, und bestimmt, wenn die Zeit erfüllt ist, zu schaffen, dass „Ein Hirte sei und Eine Herde.“4
Der gesellschaftliche und politische Einfluss des Islamismus ist völlig missverstanden worden, und ich erlaube mir nur einige Bemerkungen über das ausschliesslich weltliche und zeitliche Wesen des Islamismus, um eine andere Quelle des Irrtums in unserer Beurteilung des Orients zu erörtern.
Im Orient hat das Wort Religion nicht dieselbe Bedeutung wie in Europa. Bei uns ist Religion - Glaube und Lehre -ganz verschieden von polizeilichen Massregeln und Regierungsformen. Zur Zeit der Erhebung des Islamismus stellte der Kampf der Religionen den Meinungskampf des Westens in jetziger Zeit dar, wenn gleich mit edleren und nützlicheren Charakterzügen. Unser Meinungskampf bezieht sich auf Regierungsformen; ihr Religionskampf bezog sich auf Regierungsmassregeln. Der Grieche (seinem Glauben und System gemäß) hielt schwere Steuern, Monopole und Privilegien aufrecht. Der Muselmann (Araber und Anhänger Mohammeds) verwarf Monopole und Privilegien und erkannte nur eine einzige Vermögenssteuer an. Tuleihah, ein Nebenbuhler des Propheten, gewann verschiedene Stämme, indem er das Gesetz gegen die Zinsen wegstrich und verschiedene zivilrechtliche Vorschriften abänderte. Mosseylemah5, der größte Nebenbuhler Mohammeds, hatte ein Gesetzbuch aufgestellt, das so wenig von dem seines siegreichen Mitbewerbers abwich, dass nur örtliche und persönliche Zufälle Einfluss hatten auf den „Kampf, der entscheiden sollte, ob dieLehrsätze Mohammeds oder das Gesetzbuch Mosseylemahs der morgenländischen Welt Gesetze geben sollten.“ Er hatte nur die Grundsätze abgeschrieben von wohlfeiler Regierung, gleichem Gesetz und freiem Handel, deren Mohammed sich als der Hebel bemächtigte, die bestehende Ordnung der Dinge umzustürzen und eine neue einzuführen, die er, den Ideen seines Zeitalters und seines Vaterlandes nachgehend, mit religiösen Glaubenslehren verband, das Bestehende verbessernd und das Ganze bildend, das als Religion ausdauerte, ohne seine politischen Züge zu verlieren, und das als politisches System triumphierte, ohne seinen Charakter der Gottesverehrung abzulegen.
Nach langer und sorgfältiger Erwägung, während deren ich mich mehr auf lebendige Eindrücke als auf kalte Erzählungen der Vergangenheit verließ, und wobei ich den Vorteil hatte, die