Reisen unter Osmanen und Griechen. David Urquhart
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Man ist beständig im vollen Genuss der freien Luft eines himmlischen Klimas - die Leichtigkeit der Atmosphäre dringt in unseren Geist, der heitere Himmel erhebt das Gemüt; man ist vorbereitet, sich über alle Dinge und alle Lagen zu freuen; man ist bereit zur Arbeit und freut sich über die Ruhe; man ist vor allen Dingen bereit zum Essen, das immer gut schmeckt, wenn man es haben kann und nie zur Unzeit aufgetragen wird. Ich muss ehrlich gestehen, dass ein nicht geringer Teil der Freuden einer Reise im Orient aus den wirklichen Beschwerden und Entbehrungen entsteht, die den wenigen unglücklichen Wesen, welche nicht um ihr täglich Brot arbeiten müssen, einen vorübergehenden Blick auf das wirkliche Glück zu verschaffen, welches die ganze Menge Menschen dreimal täglich genießt, die um das Brot arbeitet und auf die Schüssel hungert.
Um mit Bequemlichkeit oder Nutzen im Orient zu reisen, muss man es so machen, wie die Regel und die Sitte des Landes es mit sich bringt. Das ist freilich sehr leicht als Vorschrift aufzustellen, aber verzweifelt schwer auszuführen, weil es eine lange Erfahrung und genaue Bekanntschaft mit einem Gegenstande voraussetzt, wo man erst eben über die Schwelle getreten ist. Vorausgesetzt aber, das lässt sich ins Werk richten, so wird man auf seinen Wanderungen vorwärts schreiten, begleitet von Dienern, welche die verschiedenen Geschäfte unserer Einrichtung so verrichten, wie sie es daheim in einem festen Hausstand tun würden. Jedes Bedürfnis und jede Bequemlichkeit führt man bei sich und fühlt sich selbst gänzlich unabhängig von Umständen und Beiständen. In der Wüste, wie in der bevölkerten Stadt, begleiten uns die heimischen Verbindungen und lehren uns praktisch die Gefühle der beweglichen Unabhängigkeit kennen, und den Zusammenhang zwischen Familienbanden und nomadischem Dasein, den Grundzug des orientalischen Charakters. Wie heimisch und einfach werden selbst jene Fragen, die von Ferne betrachtet so abstoßend erscheinen; man umgebe sich nur mit der Atmosphäre der Sitte! Ohne weiteres liegen die Gründe zur Hand; ohne weiteres gelangt man zu Schlüssen, ohne die Mühe des Nachdenkens, oder die Gefahren, welche den Geburtswehen der Logik so traurig drohen. Steht man unter einem fremden Volk, muss der Fragende eine Sprache reden, die zu den fremden Ideen nicht passt, so wird jede Schlussfolge sich auf eigene Eindrücke, nicht auf die ihrigen stützen; versetzt man sich aber in eine der ihrigen ähnliche Lage, so fühlt man gleich ihnen und das ist der Endzweck nutzbarer Nachforschung. Burke10 erwähnt in seinem Versuche über das Schöne und Erhabene eines alten Philosophen, der, wenn er wünschte, den Charakter eines Menschen zu erforschen, ihm in allem nachahmte, den Ton seiner Stimme nachzumachen versuchte, und sogar sich bemühte, so auszusehen wie jener: die beste Regel für einen Reisenden, die jemals erfunden worden.
Betrachtet man von diesem Gesichtspunkt aus die Verhältnisse im Orient, welche interessanten Gedankenreihen, welche Kontraste entstehen bei jedem Schritt, und welche Wichtigkeit, welchen Wert gewinnen unbedeutende Umstände, nicht nur die im Morgenland, sondern auch in Europa! Wie zusammenhängend erscheinen dann bisher unbeachtete Beziehungen zwischen täglichen Gewohnheiten und dem Nationalcharakter von Jahrhunderten, zwischen häuslichen Gebräuchen und ge schichtlichen Ereignissen! Erst seit zehn Minuten ist das Zelt aufgeschlagen, vom Herd steigt der Rauch auf, und wir fühlen, wir begreifen den Unterschied zwischen gotischer und orientalischer Kolonisierung und Vaterlandsliebe. Wir lagern vielleicht zwischen den Trümmern eines Tempels der althellenischen Götterwelt; ein Diener bringt zum Abendessen Kräuter, die er auf einem Schlachtfeld suchte, bei dessen Namen das Schulknabenherz hoch aufschlug; er nennt sie mit denselben Namen, die Hippokrates oder Galen gebraucht hätten, und während der Zeit pfählt der Reitknecht das Pferd an, wie es Brauch im Altai-Gebirge.
Aber der Durst des europäischen Reisenden nach Neuem wird nicht gestillt werden, wendet er nicht seinen Geist auf das, was ich das Neue vom Altertum nennen möchte. Die feineren und kleineren Teile des Wesens der früheren Zeiten, die man nicht mit Worten fassen konnte, sind für unsere Zeiten und in unserem Erdteil verloren. Im Morgenland aber leben und atmen noch die Sitten des Altertums. Dort kann man essen, wie die Leute in Athen aßen; dort kann man im größten, im verlorenen Genuss der Vorzeit schwelgen und baden wie einst in Rom, und während man dort noch frisch und lebendig, mit Fleisch und Blut angetan die homerischen Gebilde von dreitausend Jahren erblicken kann, mag man sich das leibhaftige Gegenstück in unseren angelsächsischen Urahnen denken, wie Beda11 sie beschreibt, und den von Alfred12 angeordneten Gauthingen beiwohnen.
Sollte ich die köstlichste Stunde auswählen aus diesem einfachen und nomadischen Leben, so wäre es die der Abend-Biwacht. Man wählt sein Lager und schlägt sein Zelt auf, wo Phantasie oder Laune es eingeben, am Bergesabhang, im abgeschlossenen Tal, am murmelnden Bach oder in einem düsteren Wald. Vertraut geworden mit der Mutter Erde streckt man sich nieder und legt sein Haupt an ihre nackte Brust. Schnell knüpft man Gemeinschaft an mit ihren anderen Kindern, mit dem Forstmann, dem Pflüger im Blachfeld oder dem Schäfer auf den Bergen. Man ruft zur Teilnahme am Abendbrot einen müden Wanderer, dessen Namen uns ebenso unbekannt ist wie sein Stamm und sein Geburtsland. So angenehm diese Ungewissheit ist, so sicher ist doch die Belohnung aus einem solchen Zusammentreffen, mag nun der Gast die Abendstunden mit Märchen aus der Wüste ausfüllen oder mit Geschichten aus der Hauptstadt, und mag er in diesem Pilgerland die Ströme Kaschmirs oder die brennende Sahara besucht haben.
Obgleich man aber die Gesellschaft eines Menschen nirgends besser genießen kann, so kann man sie doch auch nirgends leichter entbehren als in seinem Zelt nach den Beschwerden eines langen Tages. Es ist ein mit Worten nicht auszusprechendes Vergnügen, diese überall sich gleiche, bewegliche Heimat zu hüten, die ihren Zauberkreis aufschlägt und ihre vergoldete Kugel in die Lüfte erhebt. So wie ein Strick nach dem anderen eingepfählt wird, nimmt sie ihre gewohnten Formen an, und dann breitet sie weithin ihr zierlich ausgezacktes Dach, drinnen mit ihren bunten Teppichen und Polstern und Kissen prunkend. Nach den Beschwerden des Tages und den Mühen der Reise verrichtet der Reisende zuvörderst seine Abwaschungen am fließenden Bach, sagt sein Namaz13 her, und dann ruht er in seinem Zelt, den letzten Strahl der Abenddämmerung belauschend, in der abgeschlossenen Ruhe, die nicht Nachdenken ist, nicht Gedankenleere, sondern die Stille in der ganzen Natur, die stumme Betrachtung der Menschen und Dinge. So fördert man die nachdenkliche Weise, so erlangt man die Nüchternheit des Sinnes, die, wenn auch nicht tief, doch niemals oberflächlich wird. So sollte man den Moslem sehen, daheim in der Wildnis, malerisch in seinem Aufzug, Würde auf der Stirn, Willkommen auf seinen Lippen und Poesie rund um ihn her. Ein solches Gemälde vor Augen habend, mag der immer geschäftige Abendländer das innere Wesen, die Gemütsbildung derer belauschen, die an ein solches Leben gewöhnt sind und die eben deshalb zu ihrem Lebensbetrieb die Ruhe mitbringen, die wir nur in der Einsamkeit finden können, wenn wir unserer selbst geschaffenen Welt von Umständen entronnen, einen Augenblick lang das Weltall besuchen und bewohnen dürfen, und mit ihm uns unterhalten in einer Sprache ohne Worte.
Diese Vergnügungen aber, von denen ich nur die Schatten zu skizzieren versucht habe, sind keineswegs die einzigen auf einer Reise im Morgenland. Die große Quelle der Lust für einen Fremden ist der Mensch, der Charakter des Volkes und seine politischen Verhältnisse; die neue und verschiedenartige Handlung; die dramatische, einfache und eigentümliche Darstellung. Bei uns sind die Nationalverhältnisse, die des Forschers Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, so analytisch und wissenschaftlich, dass nur diejenigen sich ihnen nahen dürfen, die jedem einzelnen Zweig eine Lebensdauer voll Arbeit gewidmet haben. Wer aber das vermocht hat, ist vertieft in ein ausschliessliches Studium; wer es nicht gekonnt, hat kein Stimmrecht und scheut zurück vor der Prüfung. Im Osten aber, wo das System der politischen Verhältnisse einfach ist, wo man das sittliche Recht und Unrecht im persönlichen Charakter klar auffasst, sind alle unserer Aufmerksamkeit würdigen Gegenstände im Bereiche unwissenschaftlicher Beobachtung und selbst der gewöhnlichen Auffassung zugänglich. Freilich muss der Fremde damit beginnen, dass er vorgefasste Meinungen bei Seite lege; das ist der erste Schritt, um sich bekannt zu machen mit Begriffen, die ganz verschieden sind von denen, die die Erziehung in volkstümlichen Gewohnheiten und die Erfahrungen des Geburtslandes ihm einpflanzten.
1Der albanische Schurz, weiß, länger als der schottische