Jüdische Altertümer. Flavius Josephus
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8. Als Noë diese Bitten ausgesprochen, verhieß ihm Gott deren Erfüllung, weil er ihn seiner Gerechtigkeit wegen liebte, indem er hinzufügte, nicht er habe die in der Flut Umgekommenen ins Verderben gestürzt, sondern sie hatten nur die Strafe für ihre Frevel erlitten. Denn er würde sie nicht ins Leben gerufen haben, wenn er sie später hätte zu Grunde richten wollen, da es besser sei, das Leben überhaupt nicht zu geben, als es später wieder zu vernichten. »Aber«, sprach Gott, »weil sie mir durch ihre Sünden solche Schmach angetan, haben sie mich zu diesen Strafen herausgefordert. Übrigens will ich sie nicht mehr mit solcher Wucht züchtigen, umso mehr, da du für sie bittest. Darum, wenn ich wieder ungewöhnliches Unwetter errege, braucht ihr der Regengüsse Gewalt nicht mehr zu fürchten, denn ich werde den Erdkreis nicht mehr überschwemmen. Ich befehle euch aber, euch der Vergießung von Menschenblut zu enthalten und den Totschlag zu scheuen; wer aber solches tut, den sollt ihr bestrafen. Hingegen gestatte ich euch den Gebrauch aller Tiere zu eurem Vergnügen und nach Belieben. Denn ich habe euch über alle Tiere gesetzt, die auf der Erde, im Wasser und in der Luft leben. Doch genießet nicht mit dem Fleische zugleich das Blut, denn in ihm ist die Seele. Und zum Zeichen meiner Huld soll euch der Bogen dienen (das ist der Regenbogen, denn dieser wird von den Juden für den [Streit-]Bogen Gottes gehalten).« Nachdem Gott dies verheißen und verkündet, verließ er den Noë.
9. Noë nun lebte nach der Sintflut noch dreihundertundfünfzig Jahre glücklich und starb dann im Alter von neunhundertundfünfzig Jahren. Niemand aber, der das heutige kurze Leben mit dem unserer Vorfahren vergleicht, möge die Berichte über dieselben für unwahr halten in dem Glauben, es müsse, da die Menschen jetzt nicht mehr so lange leben, auch ihnen kein so langes Leben beschieden gewesen sein. Denn jene Menschen waren Lieblinge Gottes, von ihm selbst direkt geschaffen, und sie bedienten sich auch einer zwecksmäßigeren Nahrung. Übrigens gab ihnen Gott auch deshalb ein längeres Leben, damit sie eifriger die Tugend üben und ihre Erfindungen in der Sternkunde und Geometrie durch Gebrauch und Erfahrung mehr ausnützen könnten. Denn wenn sie nicht wenigstens sechshundert Jahre gelebt hätten, so hätten sie nichts Sicheres ermitteln können, da das so genannte große Jahr aus so vielen Jahren besteht. Ich beziehe mich außerdem auf das Zeugnis griechischer und fremder Schriftsteller, so des ägyptischen Geschichtschreibers Manetho, des chaldäischen Berosus, des Mochus, Hestiaeus und des Ägypters Hieronymus, die der Phöniker Geschichte geschrieben haben und die mit mir übereinstimmen. Hesiod, Hekataeus, Hellanikus, Akusilaus, Ephorus und Nikolaus berichten sogar, dass die Alten tausend Jahre gelebt hätten. Hierüber mag indessen jeder denken, wie es ihm gut scheint.
VIERTES KAPITEL
Vom babylonischen Turm und der Sprachenverwirrung.
1. Noë hatte drei Söhne, Sem, Japheth und Chamas, die hundert Jahre vor der großen Flut geboren waren. Sie stiegen zuerst vom Gebirge in die Ebene hinab, beschlossen, da zu wohnen, und beredeten auch andere, die aus Furcht vor der Flut die Ebenen mieden und ungern die Gebirge verließen, ihnen vertrauensvoll zu folgen. Die Ebene, wo sie dieselben zuerst hinführten, heißt Sennaar. Obgleich nun Gott ihnen befahl, um der Vermehrung der Menschen willen sich in anderen Gegenden anzusiedeln, damit sie nicht untereinander in Streit gerieten und durch Bebauung größerer Flächen reichere Ernten erzielten, gehorchten sie ihm in ihrem Unverstande nicht und gerieten ins Elend. Und als sich ihre Jugend sehr vermehrte, gab ihnen Gott wiederum den Rat, sie in Kolonien zu verpflanzen. Sie aber, im Glauben, den Genuss des Lebensglückes nicht Gottes Güte, sondern eigener Kraft zu verdanken, gehorchten Gott wiederum nicht. Ja, sie wähnten sogar, er wolle sie nur darum in andere Wohnsitze locken, um sie zerstreuen und leichter unterdrücken zu können.
2. Zu dieser Verachtung und Verhöhnung Gottes verleitete sie Nebrod, der Enkel Chamas’, des Sohnes Noës, denn er war kühn, und seiner Hände Kraft groß. Dieser überredete sie zu dem Wahn, nicht von Gott komme ihr Glück, sondern ihre eigene Tüchtigkeit sei die Ursache ihres Wohlstandes. Und allmählich verkehrte er sein Benehmen in Tyrannei, weil er die Menschen umso eher von Gott abzuwenden gedachte, wenn sie der eigenen Kraft hartnäckig vertrauten. Er wolle, sagte er, sich an Gott rächen, falls er mit erneuter Flut die Erde bedränge, und er wolle einen Turm bauen, so hoch, dass die Wasserflut ihn nicht übersteigen könne. So werde er für den Untergang seiner Vorfahren Vergeltung üben.
3. Die Menge pflichtete den Absichten Nebrods bereitwillig bei, da sie es für Feigheit hielt, Gott noch zu gehorchen. Und so machten sie sich an die Erbauung des Turmes, der bei unverdrossener Arbeit und den vielen Arbeitskräften schnell in die Höhe wuchs. Da er aber sehr breit war, fiel seine Höhe minder auf. Gebaut wurde er aus Ziegeln, die mit heißem Harz zusammengekittet waren zum Schutze gegen das andrängende Wasser. Obgleich nun Gott ihr unsinniges Benehmen sah, wollte er sie doch nicht vertilgen, wiewohl sie durch Erinnerung an die Sintflut eigentlich auf bessere Gedanken hätten kommen müssen und also eine solche Strafe wohl verdienten, sondern er verwirrte ihre Sprache und entzweite sie so, dass der eine den anderen nicht verstehen konnte. Der Ort des Turmbaues aber wird wegen der Verwirrung der Sprache, die früher bei allen dieselbe war, Babylon genannt, denn auf Hebräisch heißt Babel »Verwirrung.« Des Turmbaues und der Sprachenverwirrung gedenkt auch Sibylla mit folgenden Worten: »Da alle Menschen eine und dieselbe Sprache redeten, begannen sie einen sehr hohen Turm zu bauen, als wollten sie auf ihm in den Himmel steigen. Die Götter aber erregten einen Sturm, der den Turm umstürzte, und gaben jedem eine besondere Sprache, woher die Stadt Babylon ihren Namen hat.« Die Ebene Sennaar erwähnt Hestiaeus: »Die geretteten Priester kamen mit den Heiligtümern des Zeus Enyalios nach Sennaar in Babylonien.«
FÜNFTES KAPITEL
Wie Noës Nachkommen über die ganze Erde hin sich Wohnsitze gründeten.
Also zerstreuten sie sich der Verschiedenheit der Sprache halber. Die einen nahmen dieses Land in Besitz, die anderen jenes, wie Gott sie führte, sodass das ganze Festland, Binnenland sowohl wie Küste, von ihnen bevölkert wurde. Einige auch setzten auf Schiffen nach den Inseln über. Dabei behielten die Völker zum Teil die ihnen von ihren Gründern beigelegten Namen, zum Teil veränderten sie dieselben, zum Teil auch nahmen sie solche Namen an, die ihren Nachbarn geläufiger waren. Letzteres veranlassten besonders die Griechen, die, nachdem sie die Macht erlangt, ruhmsüchtig wie sie waren, anderen Völkern mit ihrer Staatsverfassung auch den Namen aufdrängten.
SECHSTES KAPITEL
Wie die einzelnen Völker von ihren Gründern Namen erhielten.
1. Noës Söhne hatten wieder Söhne, denen zu Ehren die Völker, sobald sie ein Land in Besitz genommen hatten, genannt wurden. Japheth, der Sohn Noës, hatte sieben Söhne, deren Landbesitz von den Bergen Taurus und Amanus in Asien bis zum Flusse Tanaïs, in Europa bis nach Gadira reichte. Da diese Landstriche bis dahin unbewohnt waren, so gaben sie den dort sich niederlassenden Völkern ihre Namen. So hießen die jetzigen Galater einst Gomaremser, da sie von Gomar stammten, und die jetzigen Skythen Magoger von ihrem Stammvater Magog. Von den anderen Söhnen Japheths, Jovanus und Mades, stammten ab: von Letzterem die Madäer, die die Griechen Meder nennen, von Ersterem die Ionier und Griechen. Den Thobelern, die heute Iberer genannt werden, gab Thobel den Namen, den Mosochenern, die jetzt Kappadokier heißen, Mosoch. Doch ist noch eine Spur des alten Namens erhalten, da ihre Stadt Diazaka an denselben erinnert. Von ihrem Herrscher Thiras nannten sich die Thirer, die Thraker der Griechen. Das sind die von Japheth abstammenden Völkerschaften.
Von den Söhnen des Gomar war Aschanaxes der Stammvater der Aschanaxer, die jetzt von den Griechen Rheginer genannt werden. Von Riphates stammten die Riphatäer, jetzt Paphlagoner, und von Thorgames die Thorgamäer, jetzt Phryger genannt.
Auch Jovanus hatte drei Söhne, Elysas, Stammvater der Elysäer, jetzigen Äoler, Tharsus der Tharsenser, jetzigen Cilicier. Von Letzterem hat ihre berühmte