Der Golem. Gustav Meyrink
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Was kann er nur mit der Wachspuppe gemeint haben?
Es muß ein Gleichnis gewesen sein, beschwichtigte ich mich – eines jener krankhaften Gleichnisse, mit denen er einen zu überfallen pflegt, die man nicht versteht und die einen, wenn sie später unerwartet sichtbar werden, so tief erschrecken können wie die Dinge von ungewohnter Form, auf die plötzlich ein greller Lichtstreif fällt.
Ich holte tief Atem, um mich zu beruhigen und den furchtbaren Eindruck, den mir Charouseks Erzählung verursacht hatte, abzuschütteln.
Ich sah die Leute genauer an, die mit mir in dem Hausflur warteten: Neben mir stand jetzt der dicke Alte. Derselbe, der vorhin so widerlich gelacht hatte.
Er hatte einen schwarzen Gehrock an und Handschuhe und starrte mit vorquellenden Augen unverwandt auf den Torbogen des Hauses gegenüber.
Sein glattrasiertes Gesicht mit den breiten, gemeinen Zügen zuckte vor Erregung.
Unwillkürlich folgte ich seinen Blicken und bemerkte, daß sie wie gebannt an der rothaarigen Rosina hingen, die drüben jenseits der Gasse stand, ihr immerwährendes Lächeln um die Lippen.
Der Alte war bemüht, ihr Zeichen zu geben, und ich sah, daß sie es wohl wußte, aber sich benahm, als verstünde sie nicht.
Endlich hielt es der Alte nicht länger aus, watete auf den Fußspitzen hinüber und hüpfte mit lächerlicher Elastizität wie ein großer schwarzer Gummiball über die Pfützen.
Man schien ihn zu kennen, denn ich hörte allerhand Glossen fallen, die darauf hinzielten. Ein Strolch hinter mir, ein rotes, gestricktes Tuch um den Hals, mit blauer Militärmütze, die Virginia hinter dem Ohr, machte mit grinsendem Mund Anspielungen, die ich nicht verstand. Ich begriff nur, daß sie den Alten in der Judenstadt den »Freimaurer« nannten und in ihrer Sprache mit diesem Spitznamen jemand bezeichnen wollten, der sich an halbwüchsigen Mädchen zu vergehen pflegt, aber durch intime Beziehungen zur Polizei vor jeder Strafe sicher ist. Dann waren das Gesicht Rosinas und der Alte drüben im Dunkel des Hausflures verschwunden.
PUNSCH
Wir hatten das Fenster geöffnet, um den Tabakrauch aus meinem kleinen Zimmer strömen zu lassen.
Der kalte Nachtwind blies herein und wehte an die zottigen Mäntel, die an der Türe hingen, daß sie leise hin- und herschwankten.
»Prokops würdige Haupteszierde möchte am liebsten davonfliegen«, sagte Zwakh und deutete auf des Musikers großen Schlapphut, der die breite Krempe bewegte wie schwarze Flügel.
Josua Prokop zwinkerte lustig mit den Augenlidern.
»Er will«, sagte er, »er will wahrscheinlich – –«
»Er will zum ›Loisitschek‹ zur Tanzmusik«, nahm ihm Vrieslander das Wort vorweg.
Prokop lachte und schlug mit der Hand den Takt zu den Klängen, die die dünne Winterluft über die Dächer her, trug.
Dann nahm er meine alte, zerbrochene Gitarre von der Wand, tat, als zupfe er die zerbrochenen Saiten, und sang mit kreischendem Falsett und gespreizter Betonung in Rotwelsch ein wunderliches Lied.
»An Bein-del von Ei-sen
recht alt,
An Stran-zen net gar
a so kalt,
Messinung, a’ Räucherl
und Rohn
und immerrr nurr putz-en – – –«
»Wie großartig er mit einem Male die Gaunersprache beherrscht!« und Vrieslander lachte laut auf und brummte mit:
»Und stok-en sich Aufzug
und Pfiff
Und schmallern an eisernes
G’süff.
Juch,–
Und Handschuhkren, Harom net san – – –«
»Dieses kuriose Lied schnarrt jeden Abend beim ›Loisitschek‹ der meschuggene Nephtali Schaffranek mit dem grünen Augenschirm, und ein geschminktes Weibsbild spielt Harmonika und grölt den Text dazu«, erklärte mir Zwakh. »Sie sollten auch einmal mit uns in die Schenke gehen, Meister Pernath. Später vielleicht, wenn wir mit dem Punsch zu Ende sind – was meinen Sie? Zur Feier Ihres heutigen Geburtstages?«
»Ja, ja, kommen Sie nachher mit uns«, sagte Prokop und klinkte das Fenster zu, »man muß so etwas gesehen haben.«
Dann tranken wir den heißen Punsch und hingen unsern Gedanken nach.
Vrieslander schnitzte an einer Marionette.
»Sie haben uns förmlich von der Außenwelt abgeschnitten, Josua«, unterbrach Zwakh die Stille, »seit Sie das Fenster geschlossen haben, hat niemand mehr ein Wort gesprochen.«
»Ich dachte nur darüber nach, als vorhin die Mäntel so flogen, wie seltsam es ist, wenn der Wind leblose Dinge bewegt«, antwortete Prokop schnell, wie um sich wegen seines Schweigens zu entschuldigen: »Es sieht gar so wunderlich aus, wenn Gegenstände plötzlich zu flattern anheben, die sonst immer tot daliegen. Nicht? – Ich sah einmal auf einem menschenleeren Platz zu, wie große Papierfetzen – ohne daß ich vom Winde etwas spürte, denn ich stand durch ein Haus gedeckt – in toller Wut im Kreise herum jagten und einander verfolgten, als hätten sie sich den Tod geschworen. Einen Augenblick später schienen sie sich beruhigt zu haben, aber plötzlich kam wieder eine wahnwitzige Erbitterung über sie, und in sinnlosem Grimm rasten sie umher, drängten sich in einen Winkel zusammen, um von neuem besessen auseinanderzustieben und schließlich hinter einer Ecke zu verschwinden.
Nur eine dicke Zeitung konnte nicht mitkommen; sie blieb auf dem Pflaster liegen und klappte haßerfüllt auf und zu, als sei ihr der Atem ausgegangen und als schnappe sie nach Luft.
Ein dunkler Verdacht stieg damals in mir auf: Was, wenn am Ende wir Lebewesen auch so etwas Ähnliches wären wie solche Papierfetzen? – Ob nicht vielleicht ein unsichtbarer, unbegreiflicher ›Wind‹ auch uns hin- und hertreibt und unsre Handlungen bestimmt, während wir in unserer Einfalt glauben, unter eigenem, freien Willen zu stehen?
Wie, wenn das Leben in uns nichts anderes wäre als ein rätselhafter Wirbelwind? Jener Wind, von dem die Bibel sagt: Weißt du, von wannen er kommt und wohin er geht? – – – Träumen wir nicht auch zuweilen, wir griffen in tiefes Wasser und fingen silberne Fische, und nichts anderes ist geschehen, als daß ein kalter Luftzug unsere Hände traf?«
»Prokop, Sie sprechen in Worten wie Pernath, was ist’s mit Ihnen?« sagte Zwakh und sah den Musiker mißtrauisch an.
»Die Geschichte vom Buch Ibbur, die vorhin erzählt wurde – schade, daß Sie so spät kamen und sie nicht mit anhörten –, hat ihn so nachdenklich gestimmt«, meinte Vrieslander.
»Eine Geschichte von