Der Golem. Gustav Meyrink

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Der Golem - Gustav Meyrink

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»hohen« Ideale der Menschheit, die vordem mit kommerzienrätlich biederer Miene, die Pathosbrust mit Orden bekleckst, mich von oben herab behandelt hatten – demütig nahmen sie jetzt die Maske von der Fratze und entschuldigten sich: Sie seien selber ja nur Bettler, aber immerhin Krücken für – einen noch frecheren Schwindel.

      Träumte ich nicht vielleicht doch? Hatte ich etwa gar nicht mit Hillel gesprochen?

      Ich griff nach dem Sessel neben meinem Bett.

      Richtig: Dort lag die Kerze, die mir Schemajah mitgegeben hatte; und selig wie ein kleiner Junge in der Christfestnacht, der sich überzeugt hat, daß der wundervolle Hampelmann wirklich und leibhaftig vorhanden ist, wühlte ich mich wieder in die Kissen.

      Und wie ein Spürhund drang ich weiter vor in das Dickicht der geistigen Rätsel, die mich rings umgaben. Zuerst versuchte ich zu dem Punkt in meinem Leben zurückzugelangen, bis zu dem meine Erinnerung reichte. Nur von dort aus, glaubte ich, könnte es mir möglich sein, jenen Teil meines Daseins zu überblicken, der für mich durch eine seltsame Fügung des Schicksals in Finsternis gehüllt lag.

      Aber wie sehr ich mich auch bemühte, ich kam nicht weiter, als daß ich mich wie einst in dem düsteren Hofe unseres Hauses stehen sah und durch den Torbogen den Trödlerladen des Aaron Wassertrum unterschied – als ob ich ein Jahrhundert lang als Gemmenschneider in diesem Hause gewohnt hätte, immer gleich alt und ohne jemals ein Kind gewesen zu sein!

      Schon wollte ich es als hoffnungslos aufgeben, weiterzuschürfen in den Schächten der Vergangenheit, da begriff ich plötzlich mit leuchtender Klarheit, daß in meiner Erinnerung wohl die breite Heerstraße der Geschehnisse mit dem gewissen Torbogen endete, nicht aber eine Menge winzig schmaler Fußsteige, die wohl bisher den Hauptpfad ständig begleitet hatten, von mir jedoch nicht beachtet worden waren. »Woher«, schrie es mir fast in die Ohren, »hast du denn die Kenntnisse, dank derer du jetzt dein Leben fristest? Wer hat dich Gemmen schneiden gelehrt – und Gravieren und all das andere? Lesen, Schreiben, Sprechen – und Essen – und Gehen, Atmen, Denken und Fühlen?«

      Sofort griff ich den Rat meines Innern auf. Systematisch ging ich mein Leben zurück.

      Ich zwang mich, in verkehrter, aber ununterbrochener Reihenfolge zu überlegen: Was ist soeben geschehen, was war der Ausgangspunkt dazu, was lag vor diesem und so weiter?

      Wieder war ich bei dem gewissen Torbogen angelangt – Jetzt! Jetzt! Nur ein kleiner Sprung ins Leere, und der Abgrund, der mich von dem Vergessen trennte, mußte überflogen sein –, da trat ein Bild vor mich, das ich auf der Rückwanderung meiner Gedanken übersehen hatte: Schemajah Hillel fuhr mir mit der Hand über die Augen – genau wie vorhin unten in seinem Zimmer.

      Und weggewischt war alles. Sogar der Wunsch, weiterzuforschen.

      Nur eins stand fest als bleibender Gewinn – die Erkenntnis: Die Reihe der Begebenheiten im Leben ist eine Sackgasse, so breit und gangbar sie auch zu sein scheint. Die schmalen, verborgenen Steige sind’s, die in die verlorene Heimat zurückführen: Das, was mit feiner, kaum sichtbarer Schrift in unserem Körper eingraviert ist, und nicht die scheußliche Narbe, die die Raspel des äußeren Lebens hinterläßt, birgt die Lösung der letzten Geheimnisse.

      So, wie ich zurückfinden könnte in die Tage meiner Jugend, wenn ich in der Fibel das Alphabet in verkehrter Folge vornähme von Z bis A, um dort anzugelangen, wo ich in der Schule zu lernen begonnen – so, begriff ich, müßte ich auch wandern können in die andere, ferne Heimat, die jenseits allen Denkens liegt.

      Eine Weltkugel an Arbeit wälzte sich auf meine Schultern. Auch Herkules trug eine Zeitlang das Gewölbe des Himmels auf seinem Haupte, fiel mir ein, und versteckte Bedeutung schimmerte mir aus der Sage entgegen. Und wie Herkules wieder loskam durch eine List, indem er den Riesen Atlas bat: »Laß mich nur einen Bausch von Stricken um den Kopf binden, damit mir die entsetzliche Last nicht das Gehirn zersprengt«, so gäbe es vielleicht einen dunklen Weg – dämmerte mir – von dieser Klippe weg.

      Ein tiefer Argwohn, der Führerschaft meiner Gedanken weiter blind zu vertrauen, beschlich mich plötzlich. Ich legte mich gerade und verschloß mit den Fingern Augen und Ohren, um nicht abgelenkt zu werden durch die Sinne. Um jeden Gedanken zu töten.

      Doch mein Wille zerschellte an dem ehernen Gesetz: Ich konnte immer nur einen Gedanken durch einen anderen vertreiben, und starb der eine, schon mästete sich der nächste an seinem Fleische. Ich flüchtete in den brausenden Strom meines Blutes, aber die Gedanken folgten mir auf dem Fuß; ich verbarg mich im Hämmerwerk meines Herzens: Nur eine kleine Weile, und sie hatten mich entdeckt.

      Abermals kam mir da Hillels freundliche Stimme zu Hilfe und sagte: »Bleib auf deinem Weg und wanke nicht! Der Schlüssel zur Kunst des Vergessens gehört unseren Brüdern, die den Pfad des Todes wandeln; du aber bist geschwängert vom Geiste des – Lebens.«

      Das Buch Ibbur erschien vor mir, und zwei Buchstaben flammten darin auf: der eine, der das erzene Weib bedeutete, mit dem Pulsschlag, mächtig, gleich einem Erdbeben –, der andere in unendlicher Ferne: der Hermaphrodit auf dem Thron von Perlmutter, auf dem Haupte die Krone aus rotem Holz.

      Dann fuhr Schemajah Hillel ein drittes Mal mit der Hand über meine Augen, und ich schlummerte ein.

      SCHNEE

      Mein lieber und verehrter Meister Pernath!

      Ich schreibe Ihnen diesen Brief in fliegender Eile und höchster Angst. Bitte, vernichten Sie ihn sofort, nachdem Sie ihn gelesen haben – oder besser noch, bringen Sie ihn mir samt Kuvert mit. – Ich hätte keine Ruhe sonst.

      Sagen Sie keiner Menschenseele, daß ich Ihnen geschrieben habe. Auch nicht, wohin Sie heute gehen werden!

      Ihr ehrliches gutes Gesicht hat mir – »neulich« – (Sie werden durch diese kurze Anspielung auf ein Ereignis, dessen Zeuge Sie waren, erraten, wer Ihnen diesen Brief schreibt, denn ich fürchte mich, meinen Namen darunterzusetzen) – so viel Vertrauen eingeflößt, und weiter, daß Ihr lieber seliger Vater mich als Kind unterrichtet hat – alles das gibt mir den Mut, mich an Sie, als vielleicht den einzigen Menschen, der noch helfen kann, zu wenden.

      Ich flehe Sie an, kommen Sie heute abend um fünf Uhr in die Domkirche auf dem Hradschin.

      Eine Ihnen bekannte Dame.

      Wohl eine Viertelstunde lang saß ich da und hielt den Brief in der Hand. Die seltsame, weihevolle Stimmung, die mich von gestern nacht her umfangen gehalten, war mit einem Schlag gewichen – weggeweht von dem frischen Windhauch eines neuen irdischen Tages. Ein junges Schicksal kam lächelnd und verheißungsvoll – ein Frühlingskind – auf mich zu. Ein Menschenherz suchte Hilfe bei mir. – Bei mir! Wie sah meine Stube plötzlich so anders aus! Der wurmstichige, geschnitzte Schrank blickte so zufrieden drein, und die vier Sessel kamen mir vor wie alte Leute, die um den Tisch herumsitzen und behaglich kichernd Tarock spielen.

      Meine Stunden hatten einen Inhalt bekommen, einen Inhalt voll Reichtum und Glanz.

      So sollte der morsche Baum noch Früchte tragen!

      Ich fühlte, wie mich eine lebendige Kraft durchrieselte, die bisher schlafen gelegen in mir – verborgen gewesen in den Tiefen meiner Seele, verschüttet von dem Geröll, das der Alltag häuft, wie eine Quelle losbricht aus dem Eis, wenn der Winter zerbricht.

      Und ich wußte so gewiß, wie ich den Brief in der Hand hielt, daß ich würde helfen können, um was es auch ginge. Der Jubel in meinem Herzen gab mir die

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