Der Mitläufer. Wolfgang Mock

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      Metas Blick wanderte durch die Kapelle, graue Köpfe in den vorderen Reihen, nur die Frauen mit eingefärbtem Blond, Rot, vermutlich Romy, oder Schwarz, wer immer das sein mochte. Den meisten Männern war kaum mehr geblieben als ein schmaler Kranz von Haaren. Einige hatten auch den noch abrasiert. Aus einem unerfindlichen Grund musste sie an Beete denken, als sie die Köpfe vor sich sah, Beete im Winter. Die meisten Männer hatten ihr Jackett ausgezogen, ihre Hemden klebten an den gebeugten Rücken. In der ersten Reihe erkannte sie Thomas und Romy, die Oberkörper voneinander weggebogen. Wenn es mit den beiden so lange gut gegangen war, der Gedanke kam ihr, hätte es eigentlich auch noch bis zum Ende gut gehen können.

      Vorn am Gang, der von der offenstehenden Pforte der Kapelle geradewegs zum Sarg führte, sah Meta eine junge Frau sitzen. Die Einzige, die deutlich unter fünfzig war in den vorderen Reihen. Sie trug ein schwarzes Kleid mit Spaghettiträgern, über den nackten Schultern ein kurzes, transparentes Cape aus Gaze, das wohl weniger ihre nackten Schultern in der Kapelle verdecken als vielmehr ihre auffällig weiße Haut vor der Sonne schützen sollte. Die Haare waren kurz und weißblond. Chloe, vermutete sie, Alexanders Tochter.

      Plötzlich spürte sie den Blick des Mannes neben ihr, so als belauere er sie. Er zeigte auf den Hocker, wieder das Zwinkern, aber sie schüttelte den Kopf.

      Sie suchte ihre Brille und setzte sie auf. In der vordersten Reihe erkannte sie Frank. Und unversehens war sie froh, hier zu sein, mit all den anderen. Sie, die immer einen Bogen um Beerdigungen machte.

      Sie spürte, wie die Hand des Mannes ihren Arm hielt, als sie langsam auf den Hocker sank. »Die Hitze«, murmelte sie, »das geht gleich vorbei.« Und wieder dieses Gefühl, dass er in ihrem Leben schon einmal eine Rolle gespielt hatte. Als sie aufblickte, war er nicht mehr da. Als wollte er verschwunden sein, bevor sie sich erinnerte.

      Viel Zeit, um sich zu erholen, blieb Meta nicht, genau fünf vor zwölf war die Andacht zu Ende, die Trauergäste erhoben sich. Sechs Männer gingen nach vorn, schulterten den Sarg, koordinierten mit ein paar Tripplern ihre Schritte und verließen die Kapelle leicht schwankend durch den Mittelgang.

      Frank war einer der Träger. Die anderen waren wesentlich jünger – Schüler von Alexander, vermutete sie. Franks kahler Kopf glänzte, sein Gesicht war schweißüberströmt. Oder waren es Tränen? Er nickte, als er auf ihrer Höhe war. Sie lächelte zurück.

      Als Erste folgte das Mädchen mit dem Gaze-Cape dem Sarg. Kaum war sie aus der Kapelle getreten, spannte sie einen kleinen Schirm gegen die Sonne auf. Meta wartete, während die Trauernden blinzelnd ins Freie strömten. Als Romy und Thomas an ihr vorbeikamen, gesellte sie sich zu ihnen, drückte beiden die Hand, woraufhin Romy sie zwischen sich und Thomas zog.

      Kurz bevor sie die Kapelle verließ, drehte sich Meta nach dem Mann um, der ihr den Hocker angeboten hatte, doch er blieb verschwunden. Nur der Hocker stand verlassen an der Wand, wie zum Beweis, dass Meta nicht geträumt hatte.

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      Den Anzug, das war mir klar, als wir mit dem Sarg aus dem schützenden Dunkel der Kapelle in die Sonne traten, den Anzug konnte ich vergessen. Meine rechte Schulter, auf der das gesamte Gewicht des Sargs zu ruhen schien, schmerzte höllisch, der Schmerz zog schon ins Rückgrat. Schweißgebadet war ich, der Verzweiflung nahe. Sicher war ich der Älteste unter den Sargträgern. Aber ich wollte ihn mittragen. Um etwas gut zu machen, eine Schuld abzutragen. Abtragen, das passte. Ich kam mir bestraft vor. Mein Fahrrad gestohlen, jetzt würde auch noch mein Lieblingsanzug dran glauben, schlank geschnitten, ein Ansatz von Keitel in Reservoir Dogs. Eine Reinigung würde auch nicht mehr viel retten.

      Hinter uns ging Chloe mit ihrem Sonnenschirmchen. Gesehen hatte ich sie heute zum ersten Mal. Ich musste mich zwingen, mich nicht umzudrehen, was ohnehin unmöglich war mit dem Sarg auf der Schulter. Stolpern wäre das Letzte. Chrissie hatte erzählt, wie sie bei ihr aufgetaucht war. Alexander hatte nur selten von ihr gesprochen, manchmal sogar den Eindruck erweckt, er sei enttäuscht von ihr. Wenn ich zur Seite sah, konnte ich immerhin ihren Schatten mit dem bei jedem Schritt wippenden Schirmchen sehen.

      Über dem ausgehobenen Grab stand ein schmales Gerüst, auf dem wir, mit Hilfe mehrerer besorgt blickender, wohl zum Friedhofspersonal zählender Sargträger, den Sarg absetzten. Mein Atem ging schwer, die Sonne stach mir in den Schädel. Das Fahrrad war so gut wie neu gewesen, custom made. Wahrscheinlich war die Haustür nicht ins Schloss gefallen. Nur nicht umkippen, das käme schlecht, jetzt zu Alexander in die Grube fallen. Ich straffte mich, stützte mich kurz am Sarg ab, trat dann mit den anderen zurück und reihte mich in der vordersten Reihe der Trauernden ein. Das Friedhofspersonal zog dicke Taue unter dem Sarg hindurch und seilte ihn hinab in die Grube.

      Ich war wirklich nicht mehr ganz bei mir. Die Sonne zerkochte mir den Kopf. Aber mag sein, dass es weniger die Sonne war als eher die plötzliche Entlastung, dass nun all das mit Alexander ein Ende hatte, die Besuche, die letzten Tage, sein Sterben, die Ungewissheit, bis die Leiche endlich freigegeben wurde. All das war jetzt mit ihm in die Grube gefahren.

      Langsam ging es mir besser, deutlich besser. Crêpe de Chine, dachte ich, als ich Chloe auf der gegenüberliegenden Seite des Grabes stehen sah, vielleicht noch Crêpe de Georgette, unglaublich, ich spürte diesen Teufelstanz des Blutes zwischen den Beinen, dass mir ein bisschen angst wurde, dass jemand etwas merken könnte. Aber sicher ging es den anderen Männern genauso. Ich blickte zur Seite, sah in die glasigen Augen eines vielleicht Vierzigjährigen, vermutlich ein ehemaliger Schüler von Alexander, und wusste, dass ich mit meiner Vermutung so falsch nicht lag.

      Chloe war an das offene Grab getreten, hatte sich leicht nach vorn gebeugt, um die Schaufel zu greifen. Der Stoff des Kleides, Crêpe de Chine oder eben Crêpe de Georgette, floss wie Öl um ihren Körper, jede Bewegung, jedes Muskelzucken bildete er ab, gab ihm zusätzlich Kontur. Als sie das rechte Bein leicht beugte, um an die Schaufel zu gelangen, bemerkte ich, wie ihre rechte Pobacke unter der Muskelanspannung leicht zitterte. Gebannt starrte ich auf ihren Hintern, die Trauernden waren in eine andächtige Stille verfallen. Ich suchte nach den Konturen ihres Slips, fand keine, bemerkte schließlich die kaum sich abzeichnende Kerbe. Es kostete mich einiges an Selbstbeherrschung, nicht die Hand auszustrecken.

      Crêpe de Chine, dachte ich, um mich zu beruhigen, Crêpe de Georgette, vielleicht.

      Auf eine alberne Art macht mich das stolz, dass mir der Name des Stoffs einfiel, wenngleich nicht zweifelsfrei, aber immerhin. Im Büro vergaß ich bisweilen sogar den Namen meiner Assistentinnen. Diejenigen, die mich besser kannten, vertraten in dieser Sache übereinstimmend die Ansicht, dass das weniger Signal einer sich anschleichenden Demenz war, sondern eher Zeichen meines vollständigen Desinteresses an der Person. Manch einer im Verlag war, so hörte ich, auch dankbar, wenn ich mich nicht an seinen Namen erinnerte.

      Ich spürte, wie der durchgeschwitzte Stoff an meinem Körper klebte, als Chloe die Erde auf den Sarg warf, sich aufrichtete, zur Seite trat und sich neben das offene Grab stellte, wo einer der Friedhofsmitarbeiter ihr Sonnenschirmchen in die Erde gesteckt hatte. Vielleicht, um ihr zu signalisieren, wo sie zu stehen habe, war der Sarg erst einmal in der Erde.

      »Mach du den Anfang«, wisperte mir jemand ins Ohr. Ich kniff kurz die Augen zusammen, trat vor und nahm die Schaufel. Mit auffallend hohlem Ton landete die Erde auf dem Sarg, ich hatte wohl einen festen Klumpen erwischt. Ich ging zu Chloe, die mich mit aufgespanntem Schirm und kühlen Augen musterte, gab ihr die Hand und kondolierte.

      Doris hatte gezögert, sich in die Schlange der Kondolierenden einzureihen, bis sie Romy entdeckte und sich zu ihr gesellte.

      »Entsetzlich«, sagte Romy unvermittelt, »dieses Ausfransen am Ende eines Lebens.«

      Doris schwieg,

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