Der Mitläufer. Wolfgang Mock

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eher, wie ruhig er ihn hinnahm. Kaum, dass er sich über den glattrasierten Schädel strich, wie er es auch sonst in Momenten der Nachdenklichkeit tat. Es hatte ihn schon ins Herz getroffen, aber er schien auf eine merkwürdige Art vorbereitet. Dabei war nichts vorgefallen. Sie hatten vierzig Jahre nebeneinanderher gelebt. Es gab nichts, was eine solche Zuspitzung begründen konnte. Es war schlicht die Zeit, die vergangen war. Mochte sein, dass es auch das war, dass nie etwas vorfiel. Nur zweierlei wurde ihm bewusst: dass er ratlos war und dass eine Zeit des Abschiednehmens begonnen hatte.

      Seit diesem Satz waren sie sich aus dem Weg gegangen, hatten ihre Maisonette-Wohnung zweigeteilt: Romy bekam den oberen Teil, den sie sofort umbauen ließ; Thomas war in der unteren Wohnung geblieben und konnte nach wenigen Tagen große Fragezeichen in den Staub malen, der von der Baustelle über ihm durch alle Ritzen in die untere Wohnung drang.

      Nicht ein einziges Mal sprachen sie über den Grund der Trennung. Thomas fragte nicht, sie blieb verschlossen. Es gab wohl einfach keinen Grund. Das war der Schluss, den er aus ihrem Schweigen zog. Und es gab keinen Anlass, sah man von Alexanders spöttischer Bemerkung ab. Auch warum sie sich keine Wohnung weit weg von ihm gesucht und auf all die Umbauten verzichtet hatte, fragte er sie nicht. Das zu verstehen, fiel ihm am schwersten.

      Thomas lehnte sich ans Fenster, wollte seine Stirn kühlen, doch die Glut der frühen Morgensonne hatte die Scheiben bereits so aufgeheizt, dass er zurückzuckte.

      Es klingelte – Romy. Sie ging an ihm vorbei in das Zimmer, das bis vor wenigen Monaten ihr gemeinsames Schlafzimmer gewesen war und das er nun als Arbeits- und Schlafzimmer nutzte. Sie holte ein halbes Dutzend schwarzer Kleider und Kostüme aus dem Schrank, warf sie aufs Bett. »Tut mir leid, mein neuer Schrank ist immer noch nicht da.« Sie schaute sich die Kleider an, zog ihr T-Shirt aus und eine der schwarzen Blusen über, dazu einen passenden Rock.

      Thomas sah den Schweiß auf ihrem Hals, schmale Rinnsale aus dem Haaransatz, die sich in ihrer Drosselgrube sammelten und dann in Schüben ihre Brust hinunterliefen.

      »Schreckliches Wetter«, sagte sie.

      Unversehens erfasste ihn ein leichter Schwindel, und er musste sich an die Wand lehnen. Er schaute sie an, in ihrem Blick lag etwas, das er bei ihr noch nie gesehen hatte: unverstellte Abneigung.

      »Wir sind spät dran. Lass uns pünktlich sein. Wenigstens dieses eine Mal.«

      Sein Schwindel verstärkte sich, er senkte den Kopf und blickte auf seine Hände. Feucht fühlten sie sich an. Thomas verschränkte die Finger, ließ es wieder, als ihm auffiel, dass es so aussehen musste, als bete er. Ihm war, als verdunkele sich das Zimmer, als lasse eine plötzliche Stromschwankung die Lampen flackern.

      Von all seinen Träumen hatte er sich verabschiedet, während in der Wohnung über ihm die Handwerker lärmten und Baustaub seine Wohnung überzog wie Mehltau. Eine Schulleitung, oder sogar die letzten Berufsjahre im Bildungsministerium, vielleicht, wer weiß, als Abteilungsleiter. Hinweise gab es, geflüsterte Bemerkungen zwischen Tür und Angel, das anerkennende Händeschütteln eines Kabinettsmitglieds, ein längeres Gespräch mit der Ministerin in ihrem Büro. Mit anschließendem »Gruß an Ihre Frau«. Er wusste, dass ein Angebot auf dem Weg war. Aber er wollte es nicht mehr.

      Dagegen suchte ihn immer häufiger die Vergangenheit heim, obsessiv bisweilen. So erinnerte er sich bei bestimmten Arbeiten, wenn er etwa eine Tasse abwusch, wie er als Student in einem übervollen Seminar eine Rede über den Satz hielt: »Die Revolution muss mit der Revolutionierung der Revolutionäre beginnen«. Die Studenten hatten geklatscht und auf die Tische getrommelt. Wenn er den Wasserkessel aufsetzte, erinnerte er sich daran, wie er mit seiner Nichte vor Jahrzehnten Minigolf spielen war. Frank war auch dabei gewesen, mit einer Freundin. Erinnerungen, die ein kurzes Glücksgefühl in ihm aufsteigen ließen, ihn dann aber ungleich stärker erschreckten, weil ihm angesichts der so weit zurückreichenden Erinnerung um die verbleibende Zeit angst und bange wurde.

      Noch schlimmer war es mit den Fotos. Das Schönste aus dieser Zeit war das Déjeuner sur lherbe. Frank und Alexander, um sie herum drapiert Chrissie, Meta und Doris, nackt, zumindest so gut wie. Er wohnte damals noch nicht in der Wohngemeinschaft, das Bild aber hatte ihm den Weg dorthin geebnet. Denn wenig später hatte Chrissie die Wohngemeinschaft verlassen und war in die Wohnung des Fotografen gezogen, solange der verreist war. Und Thomas war in ihr Zimmer gezogen.

      Ihren neuen Liebhaber bekam niemand je zu Gesicht. Sie hatten, erinnerte sich Thomas, manche Abende und einiges an Alkohol darauf verwendet, dieses Rätsel zu lösen. Erfolglos. Aber es war all die Jahre immer ein Thema geblieben. Thomas meinte, sich noch an die Musik zu erinnern, die damals in der Wohngemeinschaft lief, als sie seine Möbel die Treppen hoch in Chrissies ehemaliges Zimmer trugen: John Lennons In My Life und die Zeile In my life Ive loved them all. Was für ein leichtes Leben es damals gewesen war.

      Thomas hatte das Foto vervielfältigen lassen und Kopien neben Alexanders Bett liegen lassen, in einem Umschlag, auf dem »Für Euch« stand.

      Romy zog eine andere Bluse über, er wandte den Blick ab. Vor dem Fenster lärmten Kinder. Sie hatten einen Wasserschlauch an einen in den Boden gerammten Stecken festgebunden und tanzten unter der Fontäne. Er unterdrückte den Impuls, sich selbst noch einmal unter die kalte Dusche zu stellen. Doch dazu fehlte die Zeit. Alexander hätte Wert darauf gelegt, dass sie pünktlich waren. Fünf vor zwölf sollte es vorbei sein. So war er eben.

      Er ließ Romy mit ihren Kleidern allein und wartete im Flur, bis sie seine Wohnung verließ, ein Kostüm über dem Arm. Er verschloss die Tür, spürte dabei die Schlüssel von Alexanders Wohnung an seinem Schlüsselbund, wobei ihn die Erinnerung überfiel, wie Chrissie sie vor gut einem halben Jahr besucht und ihnen über den Auftritt von Alexanders Tochter Chloe berichtet hatte. Thomas und Romy hatten zugestimmt – auch das kam ihm vor, als sei es schon Jahre her.

      Thomas lief die Treppe hinunter, trat hinaus in die brütende Hitze. Romy wartete neben dem Taxi vor der Haustür, alles sah völlig normal aus, und für einen Augenblick hatte er das Gefühl, er sei aus einem langen und quälenden Traum erwacht. Bis er ihr ausdrucksloses Gesicht sah.

      Und da freute er sich auf einmal auf die Beerdigung, darauf, die anderen zu treffen, in Gesellschaft zu sein, nicht mehr allein zu sein mit Romy.

      Auf der Suche nach mehr Leichtigkeit

      Doris schloss die Augen, versuchte ruhig zu atmen. Doch der Traum ließ sie nicht los. Es war nicht das Summen der nächtlichen Stadt, das sie wach hielt, nicht das unterdrückte Lachen der jungen Frauen im Hinterhof. Es war dieser Traum, der sie verfolgte. Es war die Angst, die sie wachrüttelte, sobald sie eingeschlafen war. Sie sah dieses Messer im Schlaf, wie es neben ihr lag, in der Sonne blinkte. Sie fühlte seinen schmeichelnden Edelholzgriff. Sie versuchte, es wegzuwerfen, eine heftige Bewegung, die sie jedes Mal aus dem Schlaf riss.

      Morgens um drei stand sie auf, hüllte sich in ein Laken und setzte sich auf den Balkon, trank ein Glas Domaines Ott Coeur de Grain, viel zu teuer eigentlich für sie, darauf ein zweites, nur nicht daran denken, von wem der Wein stammte. Beim letzten Schluck sagte sie sich, dass sie rechtzeitig aufstehen müsse, um pünktlich zu Alexanders Beerdigung zu kommen. Wozu sie, wenn sie ehrlich war, keine große Lust hatte. Auch die Besuche bei Alexander waren ihr schwergefallen.

      Ihre Ärztin, schon fast eine Freundin, wollte noch anrufen wegen des Blutbildes. Schweiß schoss ihr bei dem Gedanken aus den Poren, das Laken klebte ihr am Körper. Sie legte sich wieder hin, schloss die Augen. Unruhe packte sie, die Hand ins schweißnasse Bettzeug vergraben. Heftig brannte ihr Herz unter dem Brustbein. Und den Intendanten durfte sie nicht vergessen, fiel ihr noch ein. Er wollte sich gegen zehn Uhr melden und würde wissen wollen, wie

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