Protestantische Unternehmer in der Schweiz des 19. Jahrhunderts. Marcel Köppli

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Protestantische Unternehmer in der Schweiz des 19. Jahrhunderts - Marcel Köppli Basler und Berner Studien zur historischen Theologie (BBSHT)

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Unternehmer» sind nur vereinzelte Versuche zu finden, diesen Begriff zu definieren.191 Lediglich ­Chris­toph Mehl hat in seiner Untersuchung zum christlichen Unternehmer |63| Ernest Mehl (1836–1912) versucht, den Begriff näher zu bestimmen: Christliche Unternehmer sind «diejenigen Einzelpersonen […], die im industriellen Kontext […] in verantwortungsvoller Führungsposition tätig waren […] und gesellschaftlich relevante soziale Leistungen in ihrem Beruf auf dem Hintergrund einer ausgeprägten christlichen Motivation vollbrachten. Diese Gruppe ist keine einheitliche Grösse, sondern umfasst im Einzelnen sehr unterschiedliche Biographien, wobei beim gegenwärtigen Forschungsstand angenommen werden kann, dass diesen Personen eine protestantisch geprägte patriarchale Grundhaltung gemeinsam war […].»192 Von dieser Definition soll im Folgenden ausgegangen werden, wobei die einzelnen Bestandteile der Mehlschen Definition diskutiert, wenn nötig präzisiert und um einige wesentliche Aspekte ergänzt werden sollen.193 Mehl versteht unter einem christlichen Unternehmer eine «Einzelperson», die wesentliche «soziale Leistungen» vollbracht hat. Eine genauere Betrachtung zeigt aber in vielen Fällen, dass im Konzept des christlichen Unternehmers nicht von einer «Einzelperson» ausgegangen werden kann, sondern beispielsweise erst durch die engagierte Zusammenarbeit eines Ehepaars, einer Familie oder einer klösterlichen Gemeinschaft das Konzept eines christlichen Unternehmers realisiert werden konnte. Mehls Definition muss also dahingehend ergänzt werden, dass das Konzept des christlichen Unternehmers nicht bloss aus einer «Einzelperson» besteht, sondern meist andere Personen mit einschliesst. Gerade der von Mehl als «soziale Leistungen» bezeichnete Aspekt wurde vielfach von der Ehefrau des Unternehmers geleistet.194 Die in Mehls Definition genannte «patriarchale Grundhaltung» der christlichen Unternehmer realisiert sich also meist erst durch die Zusammenarbeit eines Ehepaars und kaum durch eine «Einzelperson» allein.

      Ein weiterer zentraler, aber ergänzungsbedürftiger Aspekt in Mehls Definition ist die Aussage, dass christliche Unternehmer «gesellschaftlich relevante |64| soziale Leistungen in ihrem Beruf» erbrächten. Mehl führt zwar nicht aus, was er unter dem Begriff «Beruf» versteht, aus dem weiteren Zusammenhang kann aber geschlossen werden, dass er «Beruf» im Sinne der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einem Betrieb oder einem Unternehmen auffasst. Dadurch wird aber der Wirkungsbereich eines christlichen Unternehmers unnötig auf die betriebliche Sozialpolitik reduziert. Das Engagement für eine betriebliche Sozialpolitik ist offensichtlich und unbestritten ein wesentlicher Aspekt eines christlichen Unternehmers, jedoch keineswegs der einzige. Es gibt viele Beispiele christlicher Unternehmer, zu deren Selbstverständnis es gehörte, sich nicht nur in ihrem eigenen Betrieb, sondern ebenso in Kirche, Politik und Gesellschaft zu engagieren.195

      Mehl schreibt des Weiteren, dass ein christlicher Unternehmer «soziale Leistungen […] auf dem Hintergrund einer ausgeprägten christlichen Motivation» vollbringe. Der Aspekt einer «ausgeprägten christlichen Motivation» ist zweifellos eine naheliegende Möglichkeit, um einen christlichen Unternehmer zu definieren. Wie nun aber diese «ausgeprägte christliche Motivation» im Einzelfall beobachtet werden kann, und worin sie konkret besteht, bleibt in vielen Fällen eine offene Frage.196 Auf jeden Fall ist es eine unzulässige Verkürzung, |65| von einer «ausgeprägten» christlichen Motivation auszugehen. Die christlichen Kirchen und Traditionen waren im 19. Jahrhundert ein prägender Rahmen der von niemandem ignoriert werden konnte. Insofern kann jeder Unternehmer, der in jener Zeit gelebt hat – selbstverständlich mit Ausnahme Angehöriger anderer Religionen –, in irgendeiner Weise als christlicher Unternehmer angesehen werden. Deshalb ist es nicht unproblematisch, wenn nur derjenige als christlicher Unternehmer angesehen wird, der sich selbst auch als solcher verstand und bei dem eine «ausgeprägte» christliche Motivation explizit beobachtbar ist. Infolgedessen möchte auch ich nicht (einschränkend) definieren, wie das «christlich» zu verstehen ist. Dennoch werden in der vorliegenden Arbeit vornehmlich Unternehmer dargestellt, die versucht haben, das – wie auch immer verstandene – Christentum mit ihrer Rolle als Unternehmer in Beziehung zu setzen. Dass diese Beziehung sehr unterschiedlich gesehen und ausgestaltet wurde, soll die vorliegende Arbeit zeigen.

      Mehl diskutiert in seiner Definition des christlichen Unternehmers den Begriff «Unternehmer» nicht. Aus diesem Grund wird dies im Folgenden für diese sehr vielfältige Bezeichnung ergänzend nachgeholt.197 Hierzu dient die hilfreiche Definition im «Lexikon der Wirtschaftsethik»; Franz Blome-Drees schreibt dort: «Mit dem Begriff ‹Unternehmer› werden Menschen bezeichnet, die sich durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen. Sie reagieren nicht nur auf gegebene Verhältnisse, sondern ergreifen aktiv die Initiative. Sie zeichnen sich durch ihre Entscheidungskraft, kreative Aktivität und Leistungsmotivation aus, und sie sind bereit, in einer Welt voller Unsicherheit für sich und andere Risiken zu gestalten und zu übernehmen.»198 Im Zentrum dieser Definition steht also die Risikoübernahme des Unternehmers.199 Dabei wird davon ausgegangen, dass der Unternehmer auch zugleich der Eigentümer des Unternehmens |66| ist, was auch mit dem Ausdruck «Eigentümer-Unternehmer»200 bezeichnet wird. Selbstverständlich ist jedoch auch eine «Differenzierung in Unternehmer und Kapitalgeber»201 möglich. Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die hier untersuchten Unternehmer für ihre patriarchal geprägte Lösung der sozialen Frage immer die Situation eines Eigentümer-Unternehmers voraussetzten.202

      Welches sind nun mögliche Gründe, die dazu geführt haben, christliche Unternehmer wissenschaftlich zu erforschen?

      Ein erster Grund liegt darin, dass in den letzten 20 Jahren vermehrt nach dem Verhältnis der Kirchen zur Wirtschaft, insbesondere zu Unternehmen und Unternehmern gefragt wurde.203 Gerade auch die Denkschrift der Evangelischen Kirche Deutschlands «Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive» (2008) gibt davon beredtes Zeugnis; so heisst es dort, es brauche «überzeugende, glaubwürdige und tatkräftige Unternehmer und ein positives Leitbild für unternehmerisches Handeln»204. Doch nicht erst in den letzten 20 Jahren wurde nach dem Verhältnis von christlichem Glauben und Wirtschaft gefragt. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat Max Weber mit seinem religionssoziologischen Aufsatz «Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus»205 eine bis in die Gegenwart intensiv und kontrovers diskutierte These zum Verhältnis von protestantischem Glauben und Wirtschaft aufgestellt.206 Auch wenn diese These nicht direkt das Verhältnis zwischen christlichen |67| Unternehmern und Kirchen thematisiert, so verdient sie dennoch – nur schon wegen ihrer grossen Bekanntheit und vielfältigen Rezeption vor allem des «‹Idealtypus› des kapitalistischen Unternehmers»207 – hier erwähnt zu werden. Die sogenannte Max-Weber-These besagt, dass der Calvinismus und insbesondere bestimmte Formen des Pietismus und Methodismus der geistige Nährboden für die Entwicklung des Kapitalismus gewesen seien. Dabei habe die Haltung der «innerweltlichen Askese»208 des calvinistisch geprägten Protestantismus zusammen mit einer religiös verstandenen Berufsausübung den Kapitalismus vielfach begründet und befördert. Es ist also dieser Zusammenhang – das vermehrte Fragen nach dem Verhältnis der Kirchen zur Wirtschaft –, das auch verstärkt zu einer Analyse christlicher Unternehmer geführt hat.

      Ein weiterer Grund, der die Analyse christlicher Unternehmer beförderte, liegt in der intensivierten wissenschaftlichen Untersuchung des «sozialen Protestantismus».209 Als konkrete Beispiele von in diesem Umfeld entstandenen Werken sei hier sowohl die Monographie210 über den christlichen Unternehmer Carl-Ferdinand Stumm (1836–1901) sowie ein soeben erschienener Sammelband211 mit zahlreichen Porträts christlicher Unternehmer aus Mitteldeutschland genannt. |68|

      Zudem lässt sich auch ein vermehrtes wissenschaftliches Interesse an der Erforschung von Unternehmern beobachten,212 ein Interesse, das sich auch in der Forderung äussert, Unternehmensarchive als Kulturgut zu behandeln und dementsprechend zu schützen.213

      Doch nicht nur Unternehmensarchive wurden als Kulturgüter entdeckt, auch die industriellen Objekte selbst wurden zunehmend als Kulturgüter erkannt und infolgedessen eine «Industriedenkmalpflege» gefordert.214 Selbstverständlich hat die Industriedenkmalpflege per se nicht direkt zur wissenschaftlichen Analyse christlicher Unternehmer geführt, sie ist aber offensichtlich ein weiterer

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