Harras - Alles wird böse. Winfried Thamm
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„Ich will ehrlich sein …“
„Ha!“
„Lass mich endlich ausreden. Ich habe dich um dieses Gespräch gebeten. Also lass mich reden oder geh.“ Ihr direkter Blick hielt ihn zurück. „Also, ich will ehrlich sein bei all dieser Unehrlichkeit, die dir widerfahren ist, durch Harras und mich. Ja, wir haben dich reingelegt. Harras wollte den Kontakt zu dir, unbedingt, versessen war er, wollte dich umgarnen. Aus ehrlicher Freundschaft oder aus Kalkül, was weiß ich, wollte er dich beeindrucken mit seinem Geld und seinem Luxus und hatte Angst, dass das nicht reicht. So hatte er mich zu einem Geschenk für dich auserkoren. Ja, ich habe mitgespielt. Wenn du wüsstest, welche Spiele ich vorher schon mitgespielt habe in meinem Leben, du würdest kotzen. Das lief schief, weil du dich ehrlich in mich verliebtest und ich mich in dich, ehrlich. Auch wenn du mir das jetzt nicht mehr glaubst. Als du bei diesem Wahrheitsspielchen sagtest, dass du die letzten Tage deines Lebens mit mir verbringen wolltest, wenn du vor dieser Frage stündest, da hat es bei mir ,klick‘ gemacht und ich war geliefert.“
Sie sah sich im Raum um, suchte nach einem Halt für ihren Blick, weil sie nicht wusste, wohin damit. Ein Geständnis ohne Akzeptanz, ein Gefühl ohne Resonanz. Sein Gesicht, eine Folie.
Sie zwang sich fortzufahren: „Natürlich wusste ich von Harras, dass dein Lieblingssong ,As time goes by‘ war und du ,Night and Day‘ spielen konntest. Natürlich wusste ich, was ich zu tun hatte bei Harras zu Hause, aber als das Wahrheitsspiel kam und was du da sagtest, hat mir die Schuhe ausgezogen. Danach war alles echt. Wie hatte ich mich gefreut, als Harras Jana und mich nach Amsterdam bestellte. Ich kam nicht mehr raus aus der Nummer. Ich hatte mich in dich verliebt. Das Gefühl war echt. Es war so … unschuldig mit dir. Und das ist wichtig, dass du das weißt, obwohl uns beiden ja klar ist, dass das keine Zukunft hat. Bitte glaube mir das wenigstens, bitte.“
Sie sah ihn an mit ihren ach so schönen, türkisfarbenen Augen in dem Gesicht voll Jugend und … Stopp, dachte er. Nicht wieder das.
„Stasia, wenn ich das alles glauben könnte, und ich würde es gerne glauben wollen, auch das brächte uns nicht weiter. Unter die ganze unsägliche Geschichte will ich einen Schlussstrich ziehen. Ich liebe meine Frau und meinen Sohn und mein Leben, so wie ich es lebe. Und da passt du nicht rein. Du tust mir nicht gut, obwohl du mir einmal gut getan hast, bei allem Dilemma. Ja, ich war einmal sehr verliebt in dich. Doch ich hatte viel Zeit im Krankenhaus über all das nachzudenken. Was willst du von mir? Es tut mir nämlich auch nicht gut, mit dir hier zu sitzen. Es tut mir weh“, sagte Henning und ihre Blicke trafen sich.
„Ich bitte dich zuerst um etwas Geduld. Denn ich muss ein bisschen weiter ausholen, um dir all das zu erklären“, begann sie ihre Geschichte.
„Okay, reichen zwei Stunden?“, und zum ersten Mal konnte er lächeln.
„Danke. Also: Ich kam mit meinen Eltern nach Deutschland, sogenannte Russlanddeutsche, du verstehst, als ich zehn Jahre alt war. Ziemlich schnell lernte ich Deutsch. Ich habe ein Faible für Sprachen. Meine Eltern wollten ein neues Leben anfangen, mein Vater hatte sich vorgenommen, nicht mehr zu saufen. Er war Ingenieur, hatte aber keine Chance in Russland als Russlanddeutscher. Hier in Deutschland wurden seine Qualifikationen aber nicht anerkannt. So arbeitete er in einer Fabrik als Hilfsarbeiter. Das half ihm nicht gerade von seiner Sauferei wegzukommen. Nebenbei brannte er hier schwarz Wodka für die russischen Kollegen und sackte immer weiter ab. Mit fünfzehn habe ich das nicht mehr ausgehalten, besonders die Prügel nicht, die er meiner Mutter verabreichte. Als ich dann merkte, dass er sich immer mehr für mich und meine Kurven interessierte, hab ich die Biege gemacht. Hoch lebe das Klischee, ich landete am Bahnhof auf dem Strich. Die Einzelheiten will ich dir ersparen. Jedenfalls hat mich Harras da rausgeholt.
„Wie alt warst du, als du ihn kennenlerntest?“
„Ich war achtzehn, drei Jahre habe ich in einem Sumpf gelebt, aus Scheiße, Gewalt und Drogen. Erspar mir die Details. Von einer Straßennutte stieg ich auf zu einem Callgirl, dank Harras. Um es kurz zu machen: Er kaufte eine Eigentumswohnung für mich, die ich zwar nutzen konnte, aber nicht besitze. Und er finanzierte mein Leben, weil ich ihm für spezielle Aufträge zur Verfügung stand. Das heißt, vornehme Herren begleiten, umgarnen, eine geschäftlich günstige Atmosphäre schaffen, wie Harras das nennt, und notfalls auch mal mit ’nem Geschäftspartner vögeln, aber nur mit netten, die nicht vergewaltigen, sondern vornehm bumsen. Dafür hatte ich die Wohnung und für meine Verhältnisse viel Geld. Und Harras’ Freundschaft. Mich hat Harras nie gezwungen, mit ihm zu schlafen. Er ist mein Freund, mein einziger Freund. Und bei meinem Lebenslauf ist das nicht schwierig mit einem Freund ins Bett zu gehen. Das mit der großen Liebe habe ich schon mit fünfzehn abgehakt. Dazu kommt noch, dass er sehr angenehm im Bett ist. Wie es aussieht, ist er es jetzt nicht mehr, nachdem ihr euch getroffen habt, denn er hat mir die Wohnung gekündigt. Ich sei alt genug und könne jetzt allein zurechtkommen. Was ist da passiert, als ihr euch neulich getroffen habt? Warum lässt er mich so hängen? Sag mir das, ich will das verstehen!“
„Ich war völlig geschockt, als ich euch beide bei mir auf dem Sofa sitzen sah. Was sollte das?
„Das kann ich dir auch nicht sagen. Als Harras mich bat mitzukommen, wollte ich nicht. Er hat mich gezwungen.“
„Also, ich habe von Harras gefordert, dich nie wieder mit mir oder mit meiner Familie zusammenzubringen. Er solle Helen sagen, er habe sich von dir getrennt.“
„Na prima, das hat er aber sehr wörtlich genommen“, bemerkte sie sarkastisch.
„Wir machen es so: Er hat bei mir noch einiges wieder gut zu machen. Ich werde ihn dazu bringen – als Abbitte sozusagen – dir die Wohnung zu überschreiben und dich mit all seinen zwielichtigen Aufträgen zu verschonen, damit du eine Startchance hast, dein Leben endlich alleine zu regeln. Wie du das hinkriegst, ist dann deine Sache. Was hältst du davon?“, schlug er sachlich vor und seine Hände waren klamm.
„Henning“, sagte sie und ihr Blick begann zu schwimmen, „wenn du das tust, wenn du das schaffst, werde ich dir das nie vergessen.“
Sie legte ihre warmen Hände auf seine kalten. Ihre Finger griffen ineinander. Er fühlte ihre trockene Wärme und traute sich nicht sich ihrer Berührung zu entziehen. Er wollte sie noch einmal spüren, für einen kleinen, letzten Moment.
Sein Blick senkte sich von ihrem Gesicht hinab auf ihrer beider Hände, als er tonlos sagte: „Doch, vergiss es, vergiss mich, vergiss alles, es ist besser so.“
Jetzt zog er seine Hände zurück, legte einen Zehneuroschein auf den Tisch für die Getränke, die beide nicht angerührt hatten, und stand auf.
„Fühl dich eingeladen“, lächelte er traurig in ihre Augen.
Im Aufstehen sagte sie: „Auch wenn wir uns nie mehr im Leben begegnen sollten, du bleibst für immer mein Freund.“
Dann tat sie einen schnellen Schritt nach vorn, umarmte ihn, gab ihm einen Kuss auf den erstaunten Mund und war verschwunden.
In den Sekunden des Abschieds surrte leise der Motorzug einer Spiegelreflexkamera mit