Weltkrise und Ignoranz. Robert Kurz

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Weltkrise und Ignoranz - Robert Kurz

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erfahren mußte: Aus dem Pseudo-Krieg gegen die von ihm selbst hervorgebrachten Dämonen der Weltkrise wird der Kapitalismus keine Nahrung für sein Fortleben mehr saugen können.

      Es sind auch Stimmen der Vernunft zu hören, von Feuer­wehrleuten in New York bis zu einzelnen Journalisten und Politikern, die wenigstens sagen, daß ein Krieg völlig sinnlos wäre. Aber diese Vernunft droht hilflos zu bleiben und von der Welle der Irrationalität weggeschwemmt zu werden, wenn sie nicht zu einer Analyse der Krisenverhältnisse findet. Es gibt nur einen Weg, dem Terror wirklich den Nährboden zu entziehen: die emanzipatorische Kritik am globalen Totalitarismus der Ökonomie.

      DAS ENDE DER THEORIE

      Auf dem Weg zur reflexionslosen Gesellschaft

      Es ist keineswegs selbstverständlich, daß eine Gesellschaft »über« sich selbst nachdenkt. Das ist nur möglich, wenn eine Gesellschaft sich selbst mit anderen Gesellschaften in Geschichte und Gegenwart kritisch vergleichen kann; vor allem aber in Zuständen, in denen eine Gesellschaft sich selber gewissermaßen von innen heraus fragwürdig wird, einen Widerspruch mit sich selbst austrägt, in ihrer eigenen Struktur und Entwicklung über sich selbst hinausweist.

      Ganz sicher trifft dies auf sämtliche vormodernen Gesellschaften nicht zu. Diese Gesellschaften waren noch keine planetarischen, sie hatten kein historisches Bewußtsein und keine Verfügung über die Geschichte als eine Abfolge von Entwicklungsprozessen und sozialökonomischen Formationen. Ebensowenig lagen sie mit sich selbst, mit ihrer eigenen Form, in Konflikt. Eine Dynastie konnte die andere ablösen, aber die gesellschaftliche Form als solche konnte nicht in Frage gestellt werden; dafür gab es gar keine Kriterien. Solche Gesellschaften konnten sich über unglaublich lange Zeiträume reproduzieren (im Falle des alten Ägypten über mehrere Jahrtausende hinweg), ohne aus sich selbst heraus zugrunde zu gehen; ihr Ende war daher in erster Linie von äußeren Ursachen bedingt.

      Gesellschaft erschien unter solchen Bedingungen immer als »Gesellschaft überhaupt«, nicht als spezifische Form, die auch ganz anders sein könnte. Und selbst als – relativ spät in der Antike – ein Räsonnement über verschiedene »Regierungsformen« einsetzte (Monarchie, Oli­garchie, Demokratie, Tyrannis), da blieb diese Differenzierung dem sozialökonomischen Gesellschaftskörper gegenüber ganz gleichgültig; sie erschien daher auch nicht etwa als eine lineare Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft selbst, sondern als ewiger Kreislauf bloß äußerlicher, immer wieder auseinander hervorgehender Herrschaftsformen. Dasselbe gilt für die Idee vom »Ideal­staat« (Platon), die nur eine idealisierte Gestalt der bereits bestehenden, als unüberschreitbar gedachten Gesellschaft darstellte.

      Dennoch gingen diese vormodernen agrarischen Hochkulturen nicht blind in ihrem »Funktionieren« auf; sie brachten eine über ihr unmittelbares Dasein hinausgehende Reflexion hervor. Aber diese Reflexion war nicht »gesellschaftskritisch«, sondern eine Reflexion »unmittelbar zu Gott« oder zum Weltganzen, zur Stellung des Menschen im Kosmos, zum Rätsel des Todes. Es war also notwendigerweise eine Reflexion in religiöser Form und mit religiösen Inhalten. Diese Art des Denkens »über« sich selbst, aber als Denken des Menschen und seiner Gesellschaft nicht in Beziehung zu sich selbst, sondern in Beziehung auf Gott und Kosmos, blieb dennoch eingebunden in das unkritisch vorausgesetzte sozialökonomische Gefüge. Denn trotz seiner Fraglosigkeit war dieses Gefüge nicht »stumm« in seiner blinden Positivität, sondern durchaus reflexiv legitimiert; nur eben nicht als eigener Gegenstand, sondern als sekundärer Bestandteil der göttlichen Weltordnung.

      Religiöse Reflexion, Naturwissen und sozialökonomische Verhältnisse bildeten daher eine unmittelbare Einheit, dargestellt und reproduziert in ritualisierten Formen sowohl des Denkens als auch der Tätigkeit und der sozialen Beziehungen. Deshalb waren zunächst in den ältesten Zeiten auch Funktions-Intelligenz und Reflexions-Intelligenz (oder soziologisch betrachtet: Funktions-Eli­ten und Reflexions-Eliten) unmittelbar identisch (Gottkönige, Priesterherrscher). Erst relativ spät differenzierten sich Funktion und Reflexion in getrennte Sphären aus. Damit war zwar der Keim eines Konflikts gelegt, der sich jedoch zunächst nur sporadisch äußerte (etwa im mittelalterlichen »Investiturstreit« zwischen Kaiser und Papst), ohne dabei über den Kampf um die übergeordnete Kompetenz innerhalb einer gemeinsam vorausgesetzten Ordnung hinauszugehen.

      Soweit sich das reflexive Denken in diesen Gesellschaften von der strengen religiösen Ritualisierung löste, wie in der antiken und mittelalterlichen Philosophie, richtete es sich entweder direkt auf die Natur (die Naturwissenschaft war ja ursprünglich ein integraler Bestandteil der Philosophie) oder auf den Menschen als ein quasi »natürliches« Wesen. Da die gesellschaftliche Form und Ordnung als solche nicht zur Disposition stehen konnte, mußte sich die Reflexion »über« den gesellschaftlichen Menschen grundsätzlich auf zwei Themen beschränken. Nämlich erstens auf »Ethik«, die Lehre von den »Tugenden« und vom moralisch richtigen Verhalten, die den Menschen einen Maßstab ihres Verhaltens liefern sollte, ohne gesellschaftliche Bedingungsgründe kritisch zu befragen. Für diese Metaphysik blieb der Zusammenhang ihrer normativen Vorstellungen mit den sozialökonomischen gesellschaftlichen Formen im Dunklen; sie richtete sich immer an den einzelnen Menschen, freilich noch nicht an das abstrakte Individuum schlechthin, sondern an den Menschen in seiner sozial »eingefrorenen« Bestimmung – im Grunde genommen handelte es sich um eine exklusive Veranstaltung unter »herrschenden Männern«: der Adressat (und damit »der Mensch«) war in der Regel der grundbesitzende pater familias.

      Zweitens entwickelte die philosophische Reflexion mit demselben Adressaten neben der »Ethik« auch eine Lehre vom »guten Leben«, vom »Glück« des Menschen innerhalb der fraglos vorausgesetzten Ordnung. Diese Philosophie der »Lebenskunst« beschäftigte sich zum Beispiel mit den verschiedenen Formen des Genusses, mit dem Verhältnis von Genuß und Enthaltsamkeit (Diogenes!) usw.; letzten Endes mit der Frage, was ein »gelungenes Leben« ausmacht. Dieser Aspekt der alten Philosophie zielte auf eine Ästhetisierung des Daseins, deren Zusammenhang mit den sozialökonomischen Verhältnissen ebenso dunkel blieb wie bei der metaphysischen »Ethik«. Sich selbst, das eigene Leben gewissermaßen zum Kunstwerk zu machen, ohne das Ganze der Gesellschaft in den Blick zu nehmen, und gleichzeitig möglichst einer normativen Verhaltenslehre zu folgen, darin erschöpfte sich der gesellschaftliche Charakter dieses Denkens.

      Erst in der Moderne begann der Kampf um die gesellschaftliche Form selbst, es entstand erstmals eine »Gesellschaftskritik«, ein Bewußtsein von sozialökonomischen Formationen, von Krise und Transformation der Gesellschaft. Aber diese neue Art der Reflexion führte nicht dazu, daß die Gesellschaft zum kritischen Selbstbewußtsein gelangte. Stattdessen handelte es sich nur um die geistige Gestalt einer blinden Dynamik – freigesetzt durch die Bedürfnisse der modernen ökonomischen Revolution. In dieser Umwälzung wurde die abstrakte Form des Geldes, bis dahin ein Rand- und Nischenphänomen der Gesellschaft, in einem kybernetischen Prozeß auf sich selbst rückgekoppelt: das gesellschaftliche Leben wurde der zum abstrakten Selbstzweck gewordenen Verwertungsbewegung des Geldes unterworfen. Indem das neue reflexive Denken diesem blinden Prozeß bloß Ausdruck gab, blieb es wie das frühere Denken in der Metaphysik befangen, allerdings in einer nunmehr säkularisierten, von der Religion abgelösten Metaphysik: an die Stelle der himmlischen Metaphysik eines göttlichen Kosmos trat die irdische Metaphysik des entfesselten Geldes.

      Aber die Metaphysik wurde wie ihre gesellschaftliche Grundlage nicht nur säkularisiert, sondern auch dynamisiert. Die Begriffe der Revolution, der Umwälzung, des Prozesses, der Bewegung usw. verweisen schon auf den entscheidenden Unterschied dieser neuen, modernen Gesellschaft zu allen vorhergehenden: sie löste sich nicht nur von der alten Ordnung ab, sondern sie konnte auch nicht bei sich selber bleiben, nicht in sich selber ruhen wie die alten agrarisch-religiösen Zivilisationen. Sie liegt seit ihren ersten Anfängen mit sich selbst im Widerspruch, weil der Verwertungsprozeß des Geldes unersättlich ist und sich in immer neuen Formen auf immer höherer Entwicklungsstufe reproduziert. Die kybernetische Maschine des zum »bewegten Prinzip« gewordenen Geldes läßt die losgerissene Gesellschaft wie ein Geschoß durch eine lineare Zeit fallen. Dementsprechend hat das neue »gesellschaftskritische« Denken die

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