Weltkrise und Ignoranz. Robert Kurz
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Während die finanzkapitalistischen Krisenmechanismen des Shareholder Value Milliarden von Menschen in Armut und Verzweiflung stürzten, sang die Mehrheit der globalen Intelligentsia wie zum Hohn das Lied des marktwirtschaftlich-demokratischen Optimismus. Sie haben jetzt die Quittung bekommen: Wenn die kritische Vernunft verstummt, tritt an ihre Stelle der mörderische Haß. Die objektive Unhaltbarkeit der herrschenden Produktions- und Lebensweise macht sich dann nicht mehr auf rationale, sondern auf irrationale Weise geltend. So folgte auf den Rückzug der kritischen Theorie der Vormarsch des religiösen und ethno-rassistischen Fundamentalismus. Solange sich die grundsätzliche emanzipatorische Kapitalismuskritik nicht neu formiert, werden die Ausbrüche von sozialer und ideologischer Paranoia zum alleinigen Gradmesser für das Ausmaß, in dem die Widersprüche der Weltgesellschaft herangereift sind. Unter diesen Bedingungen bedeutet die neue Qualität des Mega-Terrros in den USA, daß die offiziell ignorierte und heruntergeredete Krise des globalisierten kapitalistischen Systems eine neue Dimension angenommen hat.
Was als fremdartige Furie des Terrors erscheint, ist aber nicht nur auf dem Nährboden der marktwirtschaftlichen One World herangewachsen, sondern auch von den repressiven Machtapparaten der westlichen Demokratien selber gezüchtet worden, die jetzt ihre Hände in Unschuld waschen. Es handelt sich um Irrläufer des Kalten Krieges und der daran anschließenden demokratischen Weltordnungskriege. Saddam Hussein wurde vom Westen gegen das iranische Mullah-Regime aufgerüstet, das seinerseits aus der Modernisierungsruine des Schah-Regimes gekrochen war. Die Taliban wurden von den USA gepäppelt, geschult und mit effizienten Flugabwehrraketen ausgerüstet, weil damals alles zum Reich des »Guten« zählte, was gegen die Sowjetunion gerichtet war. Und der jetzt zur mythischen Figur des Bösen aufgeblasene Wirrkopf Usama bin Laden betrat aus demselben Grund ursprünglich als »Baby« der westlichen Geheimdienste die Weltarena der bewaffneten Paranoia. Der »Sicherheits«-Imperialismus der NATO, der die vom Kapital nicht mehr reproduzierbare Menschheit gewaltsam unter Kontrolle halten will, bedient sich auch aktuell befreundeter Folter-Regimes und diverser Gestalten des Wahnsinns in der Türkei, in Saudi-Arabien, Marokko, Pakistan, Kolumbien und anderswo. Aber weil diese Welt aus den Fugen geht, verselbständigt sich ein Wechselbalg nach dem anderen. Das »Baby« von heute ist immer schon das »unbegreifliche Monster« von morgen.
Die Fürsten des Terrors, die Gotteskrieger und Clan-Milizen sind allerdings keineswegs nur äußerlich vom Westen instrumentalisierte Kräfte, die ihm nun zu entgleiten beginnen. Auch ihr Geisteszustand ist nicht »mittelalterlich«, sondern postmodern. Die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen dem Bewußtsein der marktwirtschaftlichen »Zivilisation« und dem Bewußtsein der islamischen Terroristen können nicht allzu sehr erstaunen, wenn man bedenkt, daß es sich bei der Logik des Kapitals um einen irrationalen Selbstzweck handelt, der nichts anderes als säkularisierte Religion darstellt. Auch der ökonomische Totalitarismus teilt die Welt in »Gläubige« und »Ungläubige«. Die herrschende »Zivilisation« des Geldes kann die Abkunft des Terrors nicht rational analysieren, weil sie sonst sich selbst in Frage stellen müßte. So definiert der aufgeklärte Westen den Islamismus ebenso als »Werk des Teufels« wie dieser umgekehrt den Westen. Die irrationalen dichotomischen Bilder von »Gut« und »Böse« gleichen sich bis zur Lächerlichkeit.
Was in den Köpfen der Chefterroristen vorgeht, ist seiner Natur nach nicht bizarrer als die Art und Weise, wie die Chefmanager der globalen Marktwirtschaft Mensch und Natur unter dem destruktiven Zwang des abstrakten betriebswirtschaftlichen Kalküls wahrnehmen und zurichten. Der religiöse Terror schlägt ebenso blind und sinnlos zu wie die »unsichtbare Hand« der anonymen Konkurrenz, unter deren Regiment permanent Millionen von Kindern verhungern – um nur ein Beispiel zu nennen, das den angesichts der Opfer von Manhattan zelebrierten Kult der Betroffenheit in ein seltsames Licht taucht.
Wenn die Medien zwischen den Zeilen eine heimliche Bewunderung für die ungeahnten technischen und logistischen Fähigkeiten der Terroristen erkennen lassen, wird auch in dieser Hinsicht die Verwandtschaft der Seelen deutlich:
Beide Seiten gehören gleichermaßen der modernen »instrumentellen Vernunft« an. Denn auf beide trifft zu, was in Melvilles »Moby Dick«, dieser großen Parabel auf die Moderne, der unheimliche Kapitän Ahab sagt: Alle meine Mittel sind vernünftig, nur mein Zweck ist wahnsinnig. Die Ökonomie des Terrors entspricht spiegelbildlich dem Terror der Ökonomie. So erweist sich der Selbstmordattentäter als die logische Fortsetzung des einsamen Individuums in der universellen Konkurrenz unter den Bedingungen der Aussichtslosigkeit. Was hier zum Vorschein kommt, ist der Todestrieb des kapitalistischen Subjekts. Daß dieser Todestrieb dem westlichen Bewußtsein selbst inhärent ist und nicht nur durch die soziale, sondern auch durch die geistige Trostlosigkeit des totalitären Marktsystems ausgelöst wird, beweisen die periodischen Amokläufe von Mittelstandskindern in den Schulen der USA und das Attentat von Oklahoma, das bekanntlich ein authentisches Produkt des inneren Wahnsinns der USA war. Der auf ökonomische Funktionen reduzierte Mensch wird ebenso verrückt wie der Mensch, den der Verwertungsprozeß als »überflüssige Existenz« ausspuckt. Die instrumentelle Vernunft entläßt ihre Kinder.
Weil der irrationale Kern seiner Ideologie dem islamischen Fundamentalismus gleicht wie ein Ei dem anderen, kann der Kapitalismus nur noch zum Kreuzzug aufrufen, zum »heiligen Krieg« der westlichen »Zivilisation«. Allein solche Opfer, die Star-Kolumnistinnen der USA, Broker in Manhattan und Bürger der westlichen Freiheit sind, gelten als wirkliche Opfer und werden in Gedenkgottesdiensten beweint. Der Tod von irakischen Zivilisten und serbischen Kinder dagegen, die von Bomben aus zehn Kilometer Höhe zerfetzt wurden, weil die kostbare Haut der US-Piloten nicht geritzt werden durfte, erschienen nicht als Menschenopfer, sondern als »Kollateralschaden«. Sogar vor den Toten macht die globale Apartheid nicht halt. Der westliche Begriff der Menschenrechte enthält als stumme Voraussetzung die Verkäuflichkeit der Person und die Zahlungsfähigkeit. Wer diese Kriterien nicht erfüllen kann, ist eigentlich kein Mensch mehr, sondern ein Stück Biomasse. So teilt der westliche Fundamentalismus die Welt auf in das angeblich zivilisierte »Reich« einerseits und die »neuen Barbaren« andererseits, wie der französische Publizist Jean Rufin schon Anfang der 90er Jahre feststellte.
Das Imperium wankt. Innerhalb weniger Monate hat sich der Mythos der ökonomischen Unverwundbarkeit durch den Zusammenbruch der »New Economy« blamiert. Jetzt ist der Mythos der militärischen Unverwundbarkeit zusammen mit dem Pentagon in Flammen aufgegangen. Das utilitaristische Denken der Funktionseliten versucht sogar aus dieser Katastrophe noch Nutzen zu schlagen. Denn mitten im Absturz der Finanzmärkte hat man plötzlich den Stoff für eine Dolchstoßlegende: Nicht die herrschende Ordnung ist obsolet, wenn weitere Finanzblasen platzen und womöglich die Weltmarktwirtschaft kollabiert, sondern der »externe Schock« des Terrorschlags soll dann die Ursache gewesen sein – so Wim Duisenberg, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Das Systemversagen wird in die externe Bosheit der fremdartigen »Ungläubigen« umdefiniert, aber dadurch nicht ungeschehen gemacht.
Gleichzeitig rollt eine Welle der ebenso hysterischen wie schmalzigen Kriegspropaganda, als schrieben wir den August 1914. Überall melden sich zuhauf Freiwillige, mitten im Crash steigen die Aktien der Rüstungsindustrie, fast schon macht sich Hoffnung auf eine Kreuzzugs-Konjunktur breit. Aber klandestine Gruppen von Männern, die mit Messern und Teppichschneidern bewaffnet sind, fordern nicht die Massenmobilisierung und Bündelung aller gesellschaftlichen Kräfte heraus. Der Terror stellt kein äußeres Gegenimperium auf derselben Ebene von Staatlichkeit und Kriegswirtschaft dar. Er ist die innere Nemesis des globalisierten Kapitals selbst. Deshalb kann er keinen neuen Rüstungsboom hervorrufen. Auch militärisch wird der Kreuzzug ins Leere gehen. Ob mögliche »Vergeltungsschläge« der USA wie gehabt