Weltkrise und Ignoranz. Robert Kurz

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Weltkrise und Ignoranz - Robert Kurz

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Je weniger die Menschen einander zu sagen haben, desto riesiger die Bildschirme. Vom 3-D-Kino zum medialen Ganzkörper-Kondom: die Phantasien des Cyber-Sex versprechen die ultimative Selbstbefriedigungsmaschine. Die Endlichkeit der realen Erde, die dem schrankenlosen Wachstum der Ökonomie und des Konsums Grenzen setzt, soll durch virtuelle Räume überspielt werden. Gleichzeitig geht die Seele allmählich auf die Maschine über. Bösartige Mörder-Fahrstühle geistern ebenso wie Roboteraufstände durch die phantastische Literatur. Der Mensch scheint sich selber überflüssig zu machen, am Ende wird er nur noch medial simuliert.

      In den 80er Jahren griff das simulative Bewußtsein auf die berufliche Kompetenz und auf die Sozialstruktur über. Die Yuppies, selber schon ein Produkt der Medien, begannen die kapitalistischen Kriterien von Effizienz und Erfolg zu simulieren, statt sie real zu erfüllen. Je größer die High-tech-Investitionen sind und je stärker Produktion und Dienstleistungen rationalisiert werden, desto weniger funktioniert das System. Es ist, als wäre die Schlamperei des Sozialismus auf den Kapitalismus übergegangen. Alle mimen Professionalität, produzieren Schund und sagen gewohnheitsmäßig: »Wir bitten um Ihr Verständnis«. Es ist beinahe schon chic, sich auf nichts mehr konzentrieren zu können. »Jeder ist Künstler« (Joseph Beuys): Maler, die nicht malen können; Sänger, die nicht singen können, und Schriftsteller, die nicht schreiben können. »Jeder ist für fünf Minuten berühmt« (Andy Warhol). Und die Achtung vor dem eigenen Selbst reduziert sich auf das Outfit. Die simulativen Jugendlichen beiderlei Geschlechts erleben sich selbst als wandelnde Kleiderständer: du bist, was du an hast.

      Es ist keineswegs allein die technologische Revolution der neuen Medien, die am Ende des 20. Jahrhunderts eine armselige Kultur der »falschen Echtheit« oder der »echten Falschheit« hervorgebracht hat. In einer Gesellschaft, die bis ins Mark ökonomisiert ist, muß auch das simulative Bewußtsein eine ökonomische Grundlage haben. Worin also besteht die »Politische Ökonomie der Simulation«? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir wissen, was es eigentlich ist, das in der kapitalistischen Ökonomie nicht mehr »real« sein kann und deswegen simuliert werden muß. Das Problem scheint im Verhältnis von Arbeit (d.h. warenproduzierender Erwerbsarbeit) und Geld zu liegen. »Arbeit« in diesem Sinne ist Verausgabung abstrakter menschlicher Energie. Der moderne ökonomische Prozeß kann definiert werden als rastlose Verwandlung dieser Arbeit in Geld: gesellschaft­lich manifestierte menschliche Energie bildet die Substanz des Geldes. Alles Geld, das nicht reale vergangene Arbeit repräsentiert, ist substanzlos und daher simuliertes Geld.

      Karl Marx wird gegenwärtig als der große Verlierer der Theoriegeschichte bezeichnet. Aber jenseits der alten Konflikte und Interpretationen hat seine Theorie dem Kapitalismus noch viel zu sagen. Gerade der 3. Band des »Kapital« ist überraschend modern, denn dort finden wir die theoretischen Grundlagen für die heutige »Politische Ökonomie der Simulation«. Der zentrale Begriff in diesem Zusammenhang ist der des fiktiven Kapitals. Marx unterscheidet zwei Formen oder Säulen dieses fiktiven Kapitals: den Staatskredit und die Spekulation. In beiden Fällen findet keine reale Verwandlung von warenproduzierender Arbeit in Geld statt, sondern das Wachstum des Geldes wird simuliert. Der Staatskredit ist eine ökonomische Paradoxie. Denn im System der Marktwirtschaft dient der Kredit nur dazu, Produktion für den Markt zu finanzieren. Die Ausgaben des Staates sind im Sinne der Marktwirtschaft jedoch keine Produktion, sondern gesellschaftlicher Konsum. Deshalb ist die einzige seriöse, systemkonforme Quelle der Staatsfinanzen die Besteuerung der Gewinne und Löhne: der Staat schöpft von den reellen marktwirtschaftlichen Einkommen Geld ab, um den gesellschaftlichen Konsum zu finanzieren. Wenn der Staat sich aber stattdessen durch Kredite finanziert, muß er Zinsen dafür zahlen. Da er jedoch normalerweise keine Produktion für den Markt betreibt, kann der Staat das Geld für die Zinsen gar nicht erwirtschaften. Die Paradoxie besteht darin, daß in der Form des Staatskredits eine ökonomische Aktivität simulativ wie Produktion für den Markt behandelt wird, obwohl sie in Wirklichkeit gesellschaftlicher Konsum ist. Der Staat kann diesen logischen Widerspruch nur notdürftig dadurch lösen, daß er seine zukünftigen reellen Einnahmen aus Steuern verpfändet.

      Das bedeutet, daß die Gesellschaft zukünftige Arbeit kapitalisiert. Gesellschaftlicher Konsum der Gegenwart, der im Sinne des Systems notwendig ist, findet auf Kosten der Zukunft statt; der moderne Staat wird zum Vampir, der an seiner eigenen Zukunft saugt. Warum haben alle Staaten sich auf eine zunehmend unseriöse Finanzierung durch Kredite eingelassen? Der Grund dafür sind weder »zu hohe soziale Ansprüche« noch »falsche sozialistische Ideen«, wie die Ideologen des Neoliberalismus behaupten. Es war die Entwicklung des Kapitalismus selbst, die den kapitalistisch unproduktiven Konsum des Staates ansteigen ließ. Je mehr sich das System des Marktes historisch durchsetzte und je mehr die Konkurrenz dazu zwang, Wissenschaft und Technik anzuwenden, desto größer wurden auch die unproduktiven »Geschäftskosten« der Marktwirtschaft, die in der Form des staatlichen Konsums erscheinen. Dazu gehören nicht zuletzt auch die Kosten für das Militär.

      Schon im 1. Weltkrieg konnte die industrialisierte Maschinerie des Todes nur noch durch große Staatskredite finanziert werden. Diese Steigerung der Kosten für den unproduktiven gesellschaftlichen Konsum hat sich bis heute fortgesetzt, auch bei den zivilen Aufgaben des Staates. Wollte der Staat heute alle notwendig gewordenen Kosten für seine Tätigkeit reell durch Steuern finanzieren, so müßte er die Marktwirtschaft ruinieren und dadurch seine eigene Basis zerstören. Man könnte ironisch sagen, daß die gesellschaftlichen »Geschäftskosten« der Marktwirtschaft so groß geworden sind, daß sie nach ihren eigenen Kriterien historisch unrentabel wird. Um diesen Zustand zu verschleiern, muß das kapitalistische System zum Mittel der monetären Simulation greifen und durch das wachsende fiktive Kapital des Staatskredits eine imaginäre kapitalistische Zukunft anzapfen. Dieses simulative Verfahren konnte solange gutgehen, wie wenigstens die Marktwirtschaft selber noch reell blieb und ihr Wachstum wirklich durch eine wachsende Verausgabung menschlicher Arbeitsenergie gedeckt war.

      Zusammen mit dem Staatskredit wuchs bis ins zweite Drittel des 20. Jahrhunderts auch die produktive Arbeit in den warenproduzierenden Industrien an, und so konnte der Staat mehr reelle Steuern einnehmen und damit die Kosten für seine steigenden Kredite bezahlen. Die neuen, nach dem US-Unternehmer Henry Ford benannten »fordistischen« Industrien mit ihrer massenhaften Produktion von Automobilen, Unterhaltungs- und Haushaltselektronik usw. brachten nach dem 2. Weltkrieg allein in Deutschland einen Zuwachs von fast zehn Millionen Arbeitsplätzen. Aber dieses »Wirtschaftswunder« wurde durch die mikroelektronische Revolution seit Ende der 70er Jahre entzaubert. Dieselben neuen Technologien, von denen die neuen Medien hervorgebracht wurden, begannen in großem Maßstab menschliche Arbeit durch Roboter und durch Rationalisierung (»lean production«) zu ersetzen. Natürlich verschwand auf diese Weise die im kapitalistischen Sinne produktive Arbeit nicht, aber dem weiteren Wachstum des Geldes entsprach nicht mehr in ausreichendem Maße ein Wachstum der produktiven Arbeit. Nach dem Staat trat daher auch die Markt­wirt­schaft selber in das Stadium der Simulation ein. Neben das fiktive Kapital des Staatskredits trat das fiktive Kapital der kommerziellen Spekulation. Weil die Ex­pansion produktiver Arbeit nicht mehr rentabel oder zu teuer geworden war, flossen immer mehr Gewinne in die Spekulation mit Aktien, Immobilien, Devisen, Termin­kontrakten usw.

      Das Wesen der spekulativen Ökonomie ist es, daß eine fiktive Steigerung des Werts ohne jede produktive Arbeit erzielt wird, allein durch den Handel mit Eigentumstiteln. Bei den Aktien heißt das, daß nicht mehr die eigentliche Rendite durch Dividenden wichtig ist, sondern nur noch die Steigerung der Börsenkurse weit über jedes Wachstum der am realen Warenmarkt erziel­ten Gewinne hinaus. Auf diese Weise entstand in den 80er Jahren ein globalisierter spekulativer Kasino-Kapita­lismus, der bis heute andauert. Phasen der Spekulation hat es natürlich auch früher schon gegeben, aber sie endeten nicht nur regelmäßig nach kurzer Zeit mit einem großen Finanzkrach, sondern sie wurden auch immer wie­der von einem neuen Schub in der Expansion waren­produzierender Arbeit abgelöst. Heute jedoch ist das Ge­gen­teil der Fall.

      Die Ära des Kasino-Kapitalismus dehnt sich deswegen so unnatürlich lange aus, weil die markt­wirtschaftlich produktive Arbeit durch Rationalisierung weiter abschmilzt wie Schnee an der Sonne. Das neue Schlagwort »jobless growth« bedeutet, daß das Wachs­tum des Geldes substanzlos

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