Weltkrise und Ignoranz. Robert Kurz

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Weltkrise und Ignoranz - Robert Kurz

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Lebensgewohnheiten der »upper ten« heute »für alle« zugänglich machen zu wollen, müßte dem Verdikt der Unappetitlichkeit verfallen.

      Aber die Massenkultur! Könnte sie nicht emanzipatorische Potentiale enthalten? Sie könnte es, aber sie tut es gegenwärtig nicht. Es muß ja wirklich nicht immer nur die steifleinene klassische Bildung sein. Auch Comics können Witz und Wahrheit mobilisieren. Das Problem ist nicht die Massenkultur als solche, sondern daß deren Inhalt von der kommerziellen Form aufgesaugt wird. Die technischen Mittel sind nicht unabhängig von den sozialen Beziehungen, in denen sie praktisch erscheinen. In dieser Hinsicht erinnert die heutige Diskussion um die postmoderne Massenkultur an die Kontroverse zwischen Adorno und Walter Benjamin in den 30er und 40er Jahren. Adorno sah damals in den neuen künstlerischen Reproduktionstechniken (z.B. dem Film) vor allem eine neue Qualität der geistigen und kulturellen Enteignung der Massen von jeder selbständigen und kritischen Wahrnehmung der Welt; die Menschen würden durch die Macht des kapitalistischen Angebots zu passiven Konsumenten degradiert wie nie zuvor. Benjamin dagegen erblickte in den Techniken des Films eher die Möglichkeit für eine Erweiterung von sinnlichen und kognitiven Fähigkeiten des Publikums.

      Aber weder argumentierte Adorno gegen die neue Reproduktionstechnik als solche noch wollte sich Benjamin allein auf die technische Seite verlassen. Vielmehr sah er im bewußten »Anteil der Massen« an den neuen Kulturtechniken durch Formen der »kollektiven Apperzeption« eine emanzipatorische Möglichkeit, deren sozialen Hintergrund die damalige Arbeiterbewegung bildete. Auf die faschistische »Ästhetisierung der Politik« sollte die sozialistische »Politisierung der Kunst« antworten. Aber nach dem 2. Weltkrieg hat der Kapitalismus eine dritte Möglichkeit gefunden: die kommerzielle und mediale Individualisierung des gesamten Lebens, also auch von Politik und Kultur. Das Fernsehen war der Beginn einer neuen Massenkultur der »vereinzelten Einzelnen«, die heute in die postmoderne individuelle »Ästhetik der Existenz« mit ihren kapitalistischen »Technologien des Selbst« (Foucault) mündet, aus denen jede emanzipatorische Hoffnung getilgt ist. Es sind die ziellosen Amokläufer und Prominentenmörder, die heute am reinsten die postmoderne Ästhetik exekutieren.

      Der Kapitalismus hatte in Wahrheit nie eine eigene Kultur, weil er nichts als die gähnende Leere des Geldes repräsentiert. Künstlerisch stellte dies unbewußt K.S. Malewitsch schon vor dem 1. Weltkrieg mit seinem berühmten »schwarzen Quadrat« dar. Danach konnten eigentlich nur noch diverse Abgesänge kommen. Was als kapitalistische Kultur erschien, waren schon immer entweder Reste vormoderner Kultur, die sich allmählich in Marktgegenstände verwandelten, oder Formen des kulturellen Protests gegen den Kapitalismus selber, die ebenfalls kommerziell adaptiert wurden. Heute hat der Kapitalismus alles aufgefressen und verdaut oder in Müll verwandelt. Damit ist die Moderne am Ende ihrer kulturellen Möglichkeiten angekommen, gerade weil es keinen Protest mehr gibt.

      Der Postmodernismus bildet sich ein, er könne sich nun eklektisch die gesamte Kunstgeschichte verfügbar machen (»anything goes«); in Wirklichkeit wühlt er bloß verzweifelt auf dem Müllplatz und in den Exkrementen der kapitalistischen Vergangenheit, um vielleicht noch Reste für das kulturelle »Recycling« zu finden. Es könnte sein, daß gerade dieses postmoderne Recycling mit seiner popkulturellen Simulation einer oberflächlichen »guten Laune« jene reaktionäre Version der Apokalypse befördert, nach der keine neue Welt mehr aus den Trümmern der alten hervorgehen kann. Hoffnung gäbe allein eine neue soziale Massenbewegung, die sich die brachliegenden emanzipatorischen Potentiale der modernen Reproduktionstechniken selbständig gegen deren kommerzielle Form aneignet.

      TOTALITÄRE ÖKONOMIE UND PARANOIA DES TERRORS

      Der Todestrieb der kapitalistischen Vernunft

      Große und symbolische Katastrophen sind in der Geschichte der Menschheit immer wieder Anlaß zu einer Besinnung gewesen, in der die Mächtigen der Welt ihre Hybris ablegen, Gesellschaften sich selbst reflektieren und ihre Grenzen erkennen. Nichts dergleichen ist nach dem Kamikaze-Angriff auf die Nervenzentren der USA in der kapitalistischen Weltgesellschaft zu beobachten. Fast scheint es so, als hätte der barbarische Angriff aus dem Dunkeln der Irrationalität nicht nur das World Trade Center platt gemacht, sondern auch den letzten Rest von Urteilsvermögen der weltdemokratischen Öffentlichkeit. Diese Gesellschaft will sich im Spiegel des Terrors nicht selbst erkennen, sondern sie wird unter dem Eindruck des Grauens sogar noch selbstgefälliger, bornierter und unreflektierter als zuvor. Je gewaltsamer sie auf ihre Grenzen hingewiesen wird, desto heftiger pocht sie auf ihre Macht und desto sturer kultiviert sie ihre Eindimensionalität.

      Nach dem Terrorschlag verhalten sich die Funktions­eliten, die Medien und das Fußvolk des globalen Systems von »Marktwirtschaft und Demokratie«, als wären sie allesamt Schauspieler und Statisten in einer Realinszenierung des Films »Independence Day«. Hollywood ahnte ein apokalyptisches Ereignis voraus und verfilmte es als Darstellung von patriotischem Kitsch und hinterwäldlerischer Moral. So hat die Kulturindustrie die Wirklichkeit der Katastrophe banalisiert und entwirklicht, bevor sie überhaupt wirklich wurde. Die spontane Trauer und Fassungslosigkeit wird überlagert von den falschen Ritualen eines programmierten Reaktionsmusters, das jedes Verständnis für den inneren Zusammenhang von Terrorismus und herrschender Ordnung unmöglich macht.

      Die Verhärtung des offiziellen demokratischen Bewußt­seins zur wütenden Besinnungslosigkeit wird deutlich, wenn der Laiendarsteller des US-Präsidenten einen »monumentalen Kampf des Guten gegen das Böse« beschwört. Durch dieses naive Weltbild werden die eigenen inneren Widersprüche nach außen projiziert. Es ist das elementare Schema aller Ideologie: Statt den Komplex der Zusammenhänge aufzudecken, in die man selbst verwickelt ist, muß eine fremde Ursache für die Ereignisse gefunden und ein externer Feind definiert werden. Aber im Unterschied zu den pubertären Traumwelten Hollywoods wird es in der harten Wirklichkeit der zerbrechenden Weltgesellschaft kein happy end geben.

      In dem Film »Independence Day« sind es sinnigerweise Außerirdische, die »Gottes eigenes Land« angreifen und natürlich heroisch zurückgeschlagen werden. Diesen Part des außerweltlichen, außerkapitalistischen und außervernünftigen Aliens soll nun offenbar der militante Islamismus übernehmen, als handle es sich um eine soeben entdeckte fremde Kultur, die sich als finstere Bedrohung entpuppt. Auf der Suche nach dem Ursprung des Bösen blättert man im Koran, als ließen sich dort die Motive für die sonst unerklärlichen Taten finden.

      Aufgestörte westliche Intellektuelle entblöden sich nicht, den Terrorismus als Ausdruck eines »vormodernen« Bewußtseins zu bezeichnen, das die Epoche der Aufklärung verpaßt habe und deshalb die wunderbare westliche »Freiheit zur Selbstbestimmung«, den freien Markt, die liberale Ordnung und überhaupt alles Gute und Schöne der westlichen Zivilisation in Akten des blinden Hasses »verteufeln« müsse. Als hätte es nie eine intellektuelle Reflexion über die »Dialektik der Aufklärung gegeben« und als hätte sich der liberale Begriff des Fortschritts in der katastrophalen Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht längst blamiert, kehrt in der Verwirrung über den neuartigen Akt des Wahnsinns die ebenso arrogante wie ignorante bürgerliche Geschichtsphilosophie des 18. und 19. Jahrhunderts als Gespenst zurück. Im krampfhaften Versuch, die neue Dimension des Terrors einem fremden Wesen zuzuschreiben, fällt das westlich-demokratische Räsonnement endgültig unter jedes intellektuelle Niveau.

      Aber die Tatsache des inneren Zusammenhangs aller Erscheinungen in der globalisierten Gesellschaft läßt sich so billig nicht wegdefinieren: Nach fünfhundert Jahren blutiger Kolonial- und Imperialismusgeschichte, nach hundert Jahren einer gescheiterten staatsbürokratischen Industrialisierung und nachholenden Modernisierung, nach fünfzig Jahren destruktiver Integration in den Welt­markt und zehn Jahren unter der absurden Herrschaft des neuen transnationalen Finanzkapitals gibt es in Wahrheit keinen exotischen orientalischen Raum mehr, den man als fremd und äußerlich begreifen könnte. Alles, was heute geschieht, ist unmittelbar oder vermittelt ein Produkt des zwanghaft vereinheitlichten Weltsystems. Die One World des Kapitals ist selber der Schoß, der den Mega-Terror gebiert.

      Es war die militante Ideologie des westlichen ökonomischen Totalitarismus, die den

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