Bildwerte. Группа авторов
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Quelle: Kunsthalle Mannheim
Mit den Jesusworten an Petrus, den ersten Papst, hat es eine eigentümliche Bewandtnis. Denn sie sind offenbar nur an diese eine Person und nicht an eine lange Namensliste möglicher Stellvertreter des ersten Stellvertreters des Gottessohnes = Gottesstellvertreters auf Erden gerichtet, an ein Individuum, mit dessen Eigennamen Jesus Christus ironisch spielt: Petrus Simon. »Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen (griech. petra) werde ich meine Kirche (ecclesia) bauen und die Mächte (pulae, wörtlich Tore) der Unterwelt (hades) werden sie nicht überwältigen.« (Mt 16,18) Der Gottessohn erlaubt sich, wenn er seinen Stellvertreter auf Erden einsetzt, einen erhabenen Kalauer bzw. ein abgründiges Namensspiel. Der Fels, auf dem die Kirche ruht, ruht seinerseits auf einem heiklen Eigennamen, also einem Namen, der seinem Namen wenig Ehre macht – benennen sich die Benannten doch eben nicht selbst aus eigener Macht und Souveränität, ist der Taufakt, der Akt der Namensverleihung doch eine Urszene semantischer Fremdbestimmung. Bacon hat sich die Pointe nicht entgehen lassen, den Inhaber des Petrusamtes auf schwankendem Boden, über den Mächten der Unterwelt schwebend und schaukelnd darzustellen. Sein Papst schreit auch deshalb, weil er, der Fels, in diesen Abgrund zu stürzen droht.
Die Worte, mit denen nach katholischer Lehre das Amt des Papstes gestiftet wird, stammen aus dem Munde eines Menschen, der im Bilde ist, der durchblickt, weil er eben nicht nur Normalsterblicher, sondern zugleich Gottessohn ist, der bald sterben, aber eben auch aus dem Reich des Todes und der Unterwelt wieder auferstehen wird. Unabsehbar viele Bilder werden den lebenden, sterbenden, gekreuzigten und wieder auferstandenen Jesus Christus darstellen. Aus dem, der im Bilde ist, wird somit einer, der gleichfalls im Bilde ist – nämlich von anderen beobachtet wird. Sein Stellvertreter auf Erden, so wie Francis Bacon ihn ins Bild gebracht hat, ist sich dieser und weiterer Paradoxien bewusst. Weil er im Bilde ist, schreit er. Er, der nach Gottvater, Gottessohn, Heiligem Geist und erstem Papst Nachrangige ist nicht etwa aufgrund dieser seiner Nachrangigkeit narzisstisch gekränkt, sondern fundamentaltheologisch und bildstrukturell verwirrt. Er stellt im Glashaus sitzend und durch Brillengläser schauend fest, dass er, der Fromme, frevelt, wenn er den Letztbeobachter Gott, der universell im Bilde ist, seinerseits beobachtet. Unterhalb dieses Paradoxieniveaus ist Theologie nicht zu haben. Den schreienden Papst überkommt offenbar die bange Ahnung, dass diese Paradoxie nicht die einzige ist, die den göttlichen Letztbeobachter trifft und betrifft. Ob der allmächtige Gott auch so wie der Stellvertreter seines Sohnes ins Reich des Todes versinken kann? Wäre es nicht eigenartig, wenn sterbliche Menschen etwas vermögen, was dem allmächtigen Gott versagt ist – eben sterben zu können? Sollte das Geheimnis des Glaubens an Jesus Christus darin liegen, einen gestorbenen und eben deshalb allmächtigen Gott(-essohn) zu beglaubigen? Francis Bacons Papst hat viele Gründe zu schreien – auch darüber, dass ein Bild mehr (und eben zugleich auch deutlich weniger!) sagt als tausend Worte.
Gemälde schweigen, auch wenn sie geöffnete Münder zeigen, aus denen sich Schreie und Flüstertöne, kluge und dumme, liebevolle und aggressive Äußerungen ergießen würden, wenn denn ein Gemälde sprachfähig wäre. Gesprochenes kann man nicht sehen; selbst wer sich auf die Kunst versteht, Laute von den Lippen abzulesen, sieht eben sich bewegende Lippen, nicht aber den Sinn, den sie artikulieren. Es gibt ein altes Theologumenon, demzufolge sich zeigt bzw. offenbart, was sich nicht sagen lässt. Mit der Tradition des Bilderverbots, wie es die jüdische, christliche und islamische Religion in unterschiedlichen Ausprägungen kennt, liegt dieses Theologumenon in einem latenten Konflikt. Wir sollen uns kein Bildnis von Gott machen, denn mit dem von uns verfertigten Bildnis würden wir dem blendenden Schein erliegen, über Gott, den Abgebildeten zu verfügen. Gott kann sich zeigen und offenbaren, wir aber können ihn nicht angemessen darstellen und schon gar nicht über ihn bestimmen. Dieses Motiv hat noch in Kreisen der analytischen Philosophie Autorität. Heißt es doch in Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus in ergreifender Schlichtheit: »Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.« (6.522)1 Das Mystische, Mysteriöse, Geheimnisvolle gehört der visuellen Sphäre zu. Es wird entschleiert, es soll sich als nackte Wahrheit offenbaren, es bedarf der Enthüllung, es kann in Evidenz übergehen, es kann aber auch blenden und blind machen – zu viel Offenbarung, zu viel strahlende Illumination vertragen wir offenbar nicht. Es sei denn, wir halten dem Gewicht von Sein und Zeit sprachlich stand. Dann bewegen wir uns aber nicht mehr in der visuellen Sphäre der Bilder, sondern in der Sprache. Das Rätsel ist im Medium der Sprache, was das Geheimnis im Medium der Bilder ist. Wem es gelingt, das Enigma zu lösen und den rätselhaften Code zu dechiffrieren, wem das Losungswort über die Lippen kommt, hat das Rätsel des Sinns gelöst und muss doch feststellen, dass das Mysterium des Seins bleibt. Das gilt vice versa auch für den Enthüller des Mysteriums: er sieht, was der Fall ist, ist also im Bilde, ohne damit schon den Sinn dessen entschlüsselt zu haben, was sich ihm darbietet. Er sieht und durchschaut alles, ihm offenbart sich das Geheimnis, und dennoch oder eben deshalb bleibt alles rätselhaft. Rätsel und Geheimnis können so wenig zueinander kommen wie die beiden Königskinder – und wie Bilder und Sprache. Und doch sind sie einander ganz nahe.
»Ein a priori wahres Bild gibt es nicht.« (2.225)2 Aber es gibt diesen Satz, der offenbar wahr sein soll und der davon zeugt, dass sich ein kluger Kopf wie Wittgenstein ein Bild der Lage hat machen können. Die überlange Epoche der Medientechnologie, in der Sprache und Bilder, Kommunikation und Wahrnehmung, Enigma und Mysterium einfach deshalb unterschiedlichen Sphären zugehörten, weil Leinwand und Schreibpapier, Pinsel und Kreide, Fotoapparat und Wachswalze leicht zu unterscheiden waren, war die Epoche der Metaphysik und der Ontotheologie – mit Heidegger zu formulieren: die Zeit des Weltbildes. Metaphysik hieß immer auch, davon auszugehen, dass hinter der Physis noch etwas anderes als die Physis west; dass soma und sema zusammengehören, weil sie getrennt sind; dass das Seiende, das Ontische, vom Logos des göttlichen Seins (Onto-Theologie) gelassen wird. Für diese Denkmodelle, die ohne Medienmodellierungen undenkbar wären, gibt es ein schönes Denkbild, das in Francis Bacons Gemälde Schreiender Papst hineinspielt. Danach gehören das verhüllende Textil und der enträtselnde Text nicht nur etymologisch zusammen. Text/il/e ent- und verbergen. Der schreiende Papst artikuliert unförmig, er schreit eben, und er trägt ein unförmiges Textil, das Falten wirft.
Die Natur ist stumm, weil sie trauert. Und sie trauert ob ihrer Stummheit. Ein Circulus vitiosus, der Anlass zu einem Schrei gibt. Der Himmel schweigt, über allen Gipfeln ist Ruh. Bildende Kunst schweigt ihrerseits, aber das Pathos ihres Gelingens ist es, das Schweigen dessen, was im Bilde ist, zum Schweigen zu bringen. Der Letztsinn lässt sich weder wahrnehmen noch vernehmen – aber genau das lässt sich wahrnehmen und aussagen. Das weiß auch Lenz in Büchners Erzählung, die auffällig-unauffällig die Verben »sehen« und »hören« in eine spannungsreiche Konstellation bringt.
»Gegen Abend wurde Oberlin zu einem Kranken nach Bellefosse gerufen. Es war gelindes Wetter und Mondschein. Auf dem Rückweg begegnete ihm Lenz. Er schien ganz vernünftig und sprach ruhig und freundlich mit Oberlin. Der bat ihn, nicht zu weit zu gehen; er versprach's. Im Weggeh'n wandte er sich plötzlich um und trat wieder ganz nahe zu Oberlin und sagte rasch: ›Sehn' (!) Sie, Herr Pfarrer, wenn ich das nur nicht mehr hören (!) müsste, mir wäre geholfen.‹ – ›Was denn, mein Lieber?‹ – ›Hören Sie denn nichts? Hören Sie denn nicht die entsetzliche Stimme, die um den ganzen Horizont schreit und die man gewöhnlich die Stille heißt? Seit ich in dem stillen Tal bin, hör' ich's immer, es lässt mich nicht schlafen; ja, Herr Pfarrer, wenn ich wieder einmal schlafen könnte!‹ Er ging dann kopfschüttelnd weiter.«3
»Zu weit gehen« und »versprechen« sind bekanntlich (wie »im Bilde sein«) doppelsinnige Wendungen. Die Begegnungen von sehen und hören, von bildender Kunst und Sprache, von Wahrnehmung und Kommunikation sind ohne Paradoxien nicht zu haben. Wer glaubt beide Sphären zur Deckung bringen zu können geht zu weit und verspricht sich, wenn er ein verlässlich glückendes Rendezvous verspricht. Die hier angedeuteten Reflexionen über die Probleme, die das Verlangen, im