Bildwerte. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Bildwerte - Группа авторов страница 6

Bildwerte - Группа авторов Bild und Bit. Studien zur digitalen Medienkultur

Скачать книгу

Scorseses Hugo spielt im Pariser Bahnhof Montparnasse: kein schlechter Handlungsort, wenn man bedenkt, dass es sich um den Traum eines Jungen über den Ursprung des Kinos handelt – noch einmal erfunden, jetzt in 3D. Auch wenn der Film vorgibt, die Geschichte von Georges Méliès in der Rolle des Kinoerfinders zu erzählen, bezieht sich einer der narrativen Schlüsselmomente dennoch auf L'Arrivée d'un Train en Gare de La Ciotat der Brüder Lumière. In der Szene erhält der Zauberkünstler Méliès von eben jenen Brüdern Lumière unerlässliches Filmequipment und –wissen. In der Anspielung findet sich eine weitere versteckt: Hugo wird in einem seiner Albträume beinahe von einem in den Bahnhof Montparnasse einfahrenden Zug überrollt, eine Szene die gegen Ende des Films »Wirklichkeit« wird. Allerdings wird Hugo von seinem Peiniger, dem Bahnhofspolizisten, gerettet, was das Happy End einläutet. Für Filmkenner gibt es allerdings noch eine dritte Anspielung in der Anspielung auf Lumières L'Arrivée d'un Train en Gare de La Ciotat. Der Zug, den wir zweimal in den Bahnhof rasen sehen, ist nicht irgendein Zug und auch nicht irgendein beliebiger Zug der zwanziger Jahre. Es ist die digital überarbeitete Version des proleptischen Zuges aus Jean Renoirs La Bête humaine (1938), inklusive Jean Gabins bebrilltem und Ruß geschwärztem Gesicht, das aus der Lokomotive schaut: Scorseses mise-en-abyme der Filmgeschichte in umgekehrter Reihenfolge zeigt uns dieses Zugwrack als dreifachen Verweis in 3D und ist somit eher als zeitliches Anamorph denn als optischer Effekt zu verstehen. Scorsese changiert gekonnt zwischen Hommage an die (französische) Filmkultur und Cinephilie und der etwas fragwürdigen Stilisierung des Genies Méliès als Wegbereiter für Hollywoods »Wiederentdeckung« der dritten Dimension. Der Film macht Scorsese, als angesehenen Verfechter der Filmkonservierung, somit zum legitimen Erbe von Méliès' »verlorenem« Vermächtnis. Er deutet aber auch einen Paradigmenwechsel an, was die Wahrnehmung der 3D-Technologie betrifft: 3D versteht sich heute weniger als Spezialeffekt des filmischen Blicks und eher als eine besondere Art des »mentalen Bilds« (oder, um mit Deleuze zu sprechen, des »Kristallbilds«). Ein solches Verständnis passt zu unserem Zeitalter, in dem die Zeit zu einer Funktion des Raumes geworden ist und für die die Kino- und Fernsehgeschichte vermutlich zur einzigen Geschichte werden wird, aus der sich das affektive Gedächtnis unserer Kultur speisen kann. Welche Züge des Kinos könnten Scorsese zu solchen Vermutungen geführt haben?

      Digitale 3D-Technologie – ein erledigter Fall?

      Niemandem wird entgangen sein, dass das in den letzten Jahren meistkommentierte Phänomen im Bereich des Mainstreamkinos der Aufwand ist, mit dem die Filmindustrie das digitale 3D-Kino als neue »Attraktion« zu lancieren versucht hat. Künftige Filmhistoriker werden sich an die Filmjahre 2009-2010 als die Zeit der »Rückkehr des Dreidimensionalen« erinnern, die mit der Premiere von James Camerons Avatar am 18. Dezember 2009 ihren Höhepunkt erreichte; einem Film, der mit weltweiten Einnahmen von drei Milliarden Dollar innerhalb von nur sechs Wochen als der größte und schnellste Kassenhit aller Zeiten Geschichte schrieb.

      Im Vorfeld und seitdem haben viele die neue Technologie für sich entdeckt: Mainstreamregisseure wie Robert Zemeckis (Beowulf, 2007), Steven Spielberg und Peter Jackson (The Adventures of Tintin, 2011), Studios wie Pixar (Toy Story 3, 2010), Disney (Up, 2009) und Dreamworks (Shrek Forever After, 2010), und neben Scorsese auch andere anerkannte Auteurs wie Tim Burton (Alice in Wonderland, 2009), Michel Gondry (The Green Hornet, 2011), sowie – nicht zu vergessen – europäische Filmgrößen wie Werner Herzog (Cave of Forgotten Dreams, 2011) und Wim Wenders (Pina, 2011). Trotz des Interesses und der Befürwortung in dieser Größenordnung besagt ein zweiter respektierter Konsens, dass der Höhepunkt des 3D bereits überschritten, das Revival ins Stocken geraten ist und dass die 3D-Welle weder ein ästhetischer noch ein wirtschaftlicher Erfolg war. Der angesehene Kritiker Roger Ebert wetterte von Anfang an gegen das 3D-Kino und beschimpfte es als Irrweg, Travestie und Abscheulichkeit:

      Diese und viele ähnliche Ansichten stützen eine der gängigsten Erklärungen, warum es überhaupt ein 3D-Revival gab: Wie bei der Einführung des Fernsehens in den fünfziger Jahren sah sich Hollywood einmal mehr durch wachsenden Wettbewerb unter Druck gesetzt, diesmal allerdings durch Internet und dramatische Einbrüche im DVD-Verkauf. Um sich der Onlinepiraterie zu erwehren, den Erlebnischarakter des Kinos aufzuwerten und sich somit von Heimkino, Netflix und iPad zu unterscheiden, musste Hollywood einen neuen Gimmick, einen neuen Spezialeffekt einführen, eine neue Attraktion anbieten. Der neue Gimmick war jedoch tatsächlich ein alter, der sich bereits das erste Mal nicht lange hatte halten können. Da aber Hollywood ein schlechtes Gedächtnis habe und dazu noch keine neuen Ideen, habe man den alten Trick erneut probiert, um erneut damit zu scheitern.

      Soweit die landläufige Einschätzung, die durch eine kurze Aufarbeitung des Aufstiegs und Falls des anaglyphen 3D-Kinos von 1952 bis 1954 (dessen »goldene Zeit« also ebenfalls nur zwei Jahre dauerte) untermauert werden kann: Alles begann mit Bwana Devil (1952) und House of Wax (1953) und endete mit The Creature from the Black Lagoon (1954). Jane Russell zu Ehren sollte man auch The French Line (1954) erwähnen, einen Film der bezeugt, dass 3D als Spezialeffekt in den Fünfzigern vor allem darin bestand, dem Zuschauer große, runde oder spitze Objekte entgegen zu schleudern, seien es Pfeile, Schwerter, Felsbrocken oder Busen. Beeinträchtigt durch konkurrierende und inkompatible technische Systeme (anaglyphes und polarisiertes 3D), unbequeme Brillen, eingeschränkte Blickwinkel und angebliche Kopfschmerzen wurden 3D Filme tatsächlich nur zu einer flüchtigen Modeerscheinung Hollywoods. Die eigentlichen Gründe des Scheiterns von 3D in den Fünfzigern sind allerdings sowohl einfacher als auch komplexer als diese Erklärung vermuten lässt. Wie laut Thompson heute wieder der Fall, waren bereits in den Fünfzigern die 2D-Versionen wesentlich einträglicher als ihre Pendants in 3D. Dies lag nicht zuletzt daran, dass viele Kinos nicht auf 3D-Projektion umsteigen wollten, sozusagen dagegen wetteten, und somit zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung beitrugen. Ein Opfer dieser Situation war beispielsweise Alfred Hitchcocks Dial M for Murder (1954). Obgleich in 3D gedreht und beworben, kam der Film nur in 2D ins Kino. Derweil wurden in der Subkultur des Undergroundkinos weiter 3D-Filme produziert, wie z. B. The Stewardesses (Allan Silliphant, 1969), dem in Hinblick auf die Produktionskosten profitabelsten 3D-Film bis zum Erscheinen von Avatar. The Stewardesses und Avatar deuten auf erstaunliche Parallelen zu einem weiteren hocherfolgreichen und ebenfalls wegweisenden Film, Easy Rider (USA 1969, R: Dennis Hopper), der die Teenager, großenteils aufgrund seines Soundtracks, wieder in die Kinos holte. Die Verbindung ist weniger zufällig, als es vielleicht scheinen mag: populäre Musik und 3D hatten ebenfalls, wie noch gezeigt werden wird, ein verspätetes Rendezvous.

      Gegen-Narrative

Скачать книгу