Bildwerte. Группа авторов
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Es gibt allerdings noch einen weiteren Aspekt des Tons, der für die Entwicklung hin zum 3D-Bild von Bedeutung ist. Man bedenke, wie rasch – und für die Musikindustrie, wie profitabel – das gesamte überlieferte Archiv der Tonaufnahmen mit der Einführung der CD ins Digitalformat konvertiert wurde und wie bereitwillig die Konsumenten die CD akzeptierten. Angesichts dieser Tatsache fällt es nicht schwer zu verstehen, warum für die Besitzer der Hollywood-Filmbibliotheken die Aussicht, unser Filmerbe ins 3D-Format zu konvertieren, dem Heiligen Gral gleichkommt. Technisch machbar, wenn auch derzeit noch recht teuer, war genau dies (zumindest bis vor kurzem) das erklärte Ziel von Leuten wie James Cameron – nicht zuletzt, da er mehrere der Patente für solche Konvertierungsprozesse besitzt.24 3D könnte den eingebrochenen DVD-Markt wieder ankurbeln, ganz ohne Kinoneufassungen, und gleichzeitig den Konsumenten dazu bewegen, 3D als neue Standardtechnologie für TV- und Laptopbildschirme zu betrachten. Dies würde ihn natürlich dazu bringen die alte Hardware zu ersetzen, zumindest falls die neue Hardware ebenso für den Einsatz von vertrauter wie auch neuer Software geeignet ist. Die Vermarktung von 3D auf der Großleinwand heute wäre somit ein Weg auch durch die Filme von gestern in den Einsatz von 3D auf den Kleinbildschirmen von morgen zu investieren.25
Die vielfältigen Verständnisse der Geschichte des 3D – für eine andere Genealogie des Kinos
Die »Rückkehr« des 3D, um meine Hauptthese zu konkretisieren, ist daher nur eine von mehreren neuen Offensiven, die bestimmen, wie wir uns zukünftig in simultanen Räumen, in multiplen Temporalitäten sowie datenintensiven simulierten Umgebungen verorten, und die somit beeinflussen, wie wir in und mit »Bildern« leben. Um diese These weiter zu untermauern, muss ich im Folgenden einige der alternativen, und deshalb oft übergangenen Interpretationen der Filmgeschichte im Hinblick auf Stereoskopie und 3D-Technologie skizzieren.
Für den Filmhistoriker sind Überlegungen zur Rückkehr des 3D zunächst Anlass für Reflexionen über den Begriff der »Rückkehr« selbst. Bedient man sich hier einer alternativen Genealogie des Kinos, notwendig geworden nicht zuletzt durch Phänomene, die meist dem Übergang vom analogen (Zelluloid-basierten) zum digitalen (post-Zelluloid) Kino zugeordnet werden, dann versteht man 3D am Besten als »nie ganz verschwunden« oder die Wiederkehr des 3D als eine »Rückkehr des Unterdrückten«. Sobald man die Geschichte des 3D nicht nur bis in die Fünfziger (oder Zwanziger, oder in die Zeit der Brüder Lumière um 1900)26 zurückverfolgt, sondern 3D auf noch längere Sicht betrachtet und sich des beachtlichen Einsatzes von stereoskopischen Bildern im 19. Jahrhundert27 erinnert, kommt man auch schnell auf die Phantasmagorien des 18. Jahrhunderts zu sprechen, ebenso auf Panoramabilder, Dioramen und andere räumliche Projektionsmethoden, die seit Jahrhunderten neben den monokularen existiert haben.28 Anstatt von der »Rückkehr« des 3D zu sprechen, wäre es besser, ein weiteres Mal auf die Logik des Supplements zurückzugreifen. Dieser gemäß blieb 3D, aufgrund bestimmter historischer und ideologischer Einflüsse, unsichtbar oder unbemerkt, obgleich 3D sowohl der Photographie als auch dem Bewegtbild immer immanent war. Es lohnt sich, für einen Moment anzunehmen, dass Kino nicht aus einer Serie sich bewegender Einzelbilder besteht, nicht nur eine bildliche Kunstform ist, die auf zweidimensionaler Ebene die Illusion dreidimensionaler Tiefe produziert und durch die rasche Abfolge von solchen Einzelbildern die Illusion von Bewegung erzeugt. Macht man sich von diesen tradierten Vorstellungen einmal frei, so kann das Telos des Kinos recht plausibel in der Eliminierung jeder Art von Rahmen und sonstiger Einschränkungen des Wahrnehmungsfeldes gesehen werden, also in dem Bestreben, sein technisches Gerüst und die damit verbundene Repräsentationsgeometrie selbst abzuschaffen. Ein solcher Ansatz, der bereits in den Fünfzigern in André Bazins ironischem Sinnieren über das Kino (»Kein Kino mehr!«) zu finden ist, wird auch von Akira Lippit vertreten:
»Because the discussions of 3D cinema have often veered toward the history and theory of optics (nineteenth-century explorations of stereopsis, techniques of 3D rendering in film), its relation to genres of excess (horror, soft-porn, exploitation) and its function as a precursor of new media (virtual reality, interactive media), the persistence of 3D cinema as a recurring but wishful dream has been elided. […] The impulse toward stereoscopic cinema is sustained by a fundamental cinematic desire to eliminate the last vestige of the apparatus from the field of representation, the film screen. In this light, stereoscopic cinema can be seen not only as a technological extension of flat cinema, a surplus dimension, but as the dimension of its unconscious. 3D cinema represents the desire to externalize the unconscious of cinema.« 29
Auch wenn man diese erhellende Skizze einer alternativen Teleologie – alternativ, da sie nicht die typische Realismus/Illusion-Dichotomie bemüht – gerne etwas verfeinern möchte, führt Lippit dennoch ein gutes Argument ins Feld. Sein Ansatz wirft die Frage auf, wie es dazu kam, dass der vom Rahmen eingeschränkte Blick das Bild seit dem späten 15. bis Ende des 19. Jahrhunderts dominierte, obgleich andere Systeme sowohl technisch möglich als auch verbreitet waren. Avantgardebewegungen, die dem Monopol des monokularen Paradigmas trotzten, gab es natürlich immer. In der Moderne wurde die perspektivische Darstellung vor allem durch die Malerei in Frage gestellt. Dies geschah zu der Zeit, als Fotografie und Kino erstmals eine gewisse Verbreitung fanden. So malte beispielsweise J.M.W Turner seit 1840 Szenen, die fotographisch nicht darstellbar waren: Bilder ohne fixen Horizont oder Bilder, die einen mobilen Blickwinkel verlangen, wie das gefeierte Rain, Steam, and Speed – The Great Western Railway (1844), das Turner anfertigte, nachdem er seinen Kopf volle neun Minuten aus einem Zugfenster gestreckt hatte. Ähnlich das ebenso bekannte Bild The Slave Ship (1840): Es zwingt den Betrachter in unheilvolle Nähe zu den sterbenden, gefesselten Sklaven, die über Bord geworfen werden und ertrinken, da sich der Schiffsherr Versicherungszahlungen erschleichen möchte.30
Die andere große Herausforderung an die Perspektive bestand natürlich im Kubismus und Futurismus. Diese brachen den homogenen Raum der Renaissancemalerei in Segmente auf, welche die zeitliche Abfolge und die räumlichen Bewegungen des Beobachters repräsentierten. So stand zum Beispiel Eadweard Muybridges Chronofotografie dem Kubismus sehr nahe, wie Marcel Duchamps berühmtes Werk Nude Descending A Staircase (1912) belegt. Die Popularität und Verbreitung der 2D-Fotografie sowie die Vorteile, welche die scheinbar unmittelbare, apparativ nicht gestützte monokulare Bildbetrachtung gegenüber die Stereoskopie genoss, favorisierten allerdings im Kino eine Repräsentationsweise, die zweidimensionale Bilder auf die flache, umrahmte Leinwand projizierte und so die Illusion räumlicher Tiefe auf ähnliche Weise bot wie die Zentralperspektive im piktografischen Raum: ein einziger Fluchtpunkt, Tiefenwirkung, Schatten und gestaffelte Farbschemata, die genau bemessene Gradierung von Größe und Distanz der Objekte sowie Proportionierung des Raums und der menschlichen Gestalten.
Die eben geschilderte Entwicklung des Kinos war allerdings weniger natürlich und unausweichlich, als es in der Retrospektive der Fall zu sein scheint. Wie sorgfältigere filmhistorische Recherchen belegen, konnten Filmemacher in den ersten zehn, fünfzehn Jahre des frühen Kinos auf eine breite Palette von Techniken und Traditionen der bildlichen Raumgestaltung zurückgreifen, und machten von diesen Möglichkeiten auch regen Gebrauch. Dies führte zu Stilen der Mise-en-scène und Räumlichkeitskonzepten, die, aus der Perspektive der Renaissancetechniken betrachtet, abartig, wenn nicht sogar vollkommen ungeeignet erscheinen mussten. Als missglückt wurden sie auch oft beurteilt, bis die vereinten Anstrengungen einer jungen Generation von Filmwissenschaftlern beweisen konnten, dass eine historische Logik die übertriebenen Diagonalen in L'Arrivée d'un Train en Gare de La Ciotat (von den Brüdern Lumière, wie gesagt, 1902 als Stereoversion