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Ein weiterer Historiker und Theoretiker der digitalen Medien, Lev Manovich, zieht aus diesen Umständen weitreichende Schlüsse. Manovich hat viel über die Notwendigkeit geschrieben, Bildschirme in zwei Gruppen zu unterteilen: solche für Tele-Präsenz (Computermonitore, Videobildschirme) und solche für Tele-Aktion (Radar, Touchscreens, Infrarot, Laser); eine Unterscheidung, die ebenfalls nützlich ist, um zu verdeutlichen, was beim Einsatz von 3D-Bildern im Nichtunterhaltungssektor auf dem Spiel steht. Manovich fordert dazu auf, Bilder nicht nach Wahrheit und Fiktion, realem oder imaginärem Bildinhalt zu unterscheiden, sondern stattdessen zu differenzieren zwischen Simulation (virtueller Handlung) und »Dissimulation« (virtueller Präsenz) oder, wie er schreibt, zwischen »Handeln und Lügen«.64 Wenn eine mögliche Zukunft der Bildgestaltung darin besteht, dass sie Teil des »Kriegs zwischen Überwachung und Tarnung« (Manovich) sein wird, dann steht hinter der »Rückkehr des 3D« in der Unterhaltungsbranche und deren Einsatz in Industrie, Ingenieurswesen, Design und Militär die allgemeine kulturelle Entwicklung weg vom »Sehen« und hin zum »Handeln«. Avatar ist hier ein gutes Beispiel für den Punkt, an dem Simulation und Handlung ununterscheidbar werden.65 Camerons wirtschaftliche, militärische und wissenschaftliche Mission auf Pandora gleicht dem heutigen Einsatzspektrum von 3D: »computer game environments • unmanned surveillance and combat vehicles • oil-exploration, land-surveying • weather prediction, conservation, and environmental politics.«66
Ohne diese Anwendungen hier im Detail zu untersuchen, ist offensichtlich, dass der Einsatz von 3D im Nichtunterhaltungssektor eine facettenreiche Kartierung und Aneignung fast jeder Art von Territorium darstellt: über- und unterirdisch werden physikalischer Raum, virtueller Raum und der Weltraum hybridisiert und einander angeglichen, zusammengenäht oder gegeneinander ausgespielt, um dem Sichtbaren »Relief« und »Körper« zu geben und räumlich erfassbar zu machen, was das menschliche Auge überhaupt nicht wahrnimmt. Dies bringt uns über Umwege zurück zu den Anfängen des Kinos, über geringere Umwege allerdings, als es scheinen mag.67
Von besonderem Interesse ist der Name der Software, deren Vielseitigkeit ich eben zitiert habe – »Fledermaus«, was mich unpassender Weise zuerst an die gleichnamige Operette von Johann Strauss (Sohn) erinnert hat. Bei näherer Überlegung erwies sich das Wortspiel allerdings als bedeutsam. Dass die ursprünglich dänische Firma das deutsche Wort »Fledermaus« verwendet, erinnert einmal mehr an die Tatsache, dass 3D-Grafik und Software weniger mit dem Sehen, als mit der sensorischen Erfassung des Raums zu tun haben: Auch Fledermäuse orientieren sich im Raum und bestimmen ihre Flugbahnen nicht mittels des Sehvermögens, sondern durch Hochfrequenz-Ultraschall.68
Das erweiterte Ensemble und dessen Wechselwirkungen
In welchem Ausmaß betreffen stereoskopische und erweiterte 3D-Technologien nicht nur das Sehvermögen sondern jenes Spektrum, in dem sich Sehen, Fühlen, Tasten und Handeln vermischen und hybridisieren? Der Regisseur Harun Farocki befasst sich seit über drei Jahrzehnten mit dem industriellen, wissenschaftlichen, institutionellen und militärischen Einsatz von Bildern, die räumliche Tiefe und Vorgänge auf Distanz simulieren. Ihm zufolge haben sich die Bilder von »betrachtbaren Darstellungen« zu Informationsquellen entwickelt, die gescannt und klassifiziert werden können und benutzbar sind. Titel wie Images of the World and Inscription of War (1989), Eye/Machine (2001-2003), I Thought I was seeing Convicts (2000) oder Deep Play (2008) belegen, dass Farocki Bilder auf der Schwelle von der Betrachtung zur Benutzung dekonstruiert, analysiert und historisch kontextualisiert hat. Diese sogenannten operativen Bilder69 schließen Stereomessbilder der Architektur und Landvermessung des 19. Jahrhunderts ein sowie Fotoaufklärungsflüge der US-Luftwaffe über Auschwitz aus dem Jahre 1944, Überwachungsfilme aus Hochsicherheitsgefängnissen und Supermärkten, Zeit- und Bewegungsstudien in Fabriken und die daten-orientierte Erfassung des WM-Fußballfinales 2008 in Berlin. In vielen dieser Fälle sind die Bilder nicht etwas, das es zu betrachten gilt, in die man sich vertiefen, die man mit Bewunderung oder Desinteresse zur Kenntnis nehmen kann, sondern eine Reihe von Handlungsinstruktionen oder Datensätzen, die in Taten übersetzt werden sollen.
Die kursorische Auseinandersetzung mit Farockis Arbeiten70 führt mich zu einer Zusammenfassung meiner Argumente. Dreidimensionale Bilder (oder die räumliche Wahrnehmung durch technische Mittel) waren unter einer Reihe unterschiedlicher, aber verwandter Gesichtspunkte von Bedeutung und werden es auch weiterhin sein:
Erstens: Das Bedürfnis, dem projizierten Licht eine räumliche Form und Materialität zu verleihen, scheint der flachen Kinoleinwand vorausgegangen zu sein. Letztere war vom gerahmten Bildfeld der Malerei geprägt und entlieh ihr die Simulation von Tiefe durch perspektivische Darstellung und Proportionierung des Bildraums. In gewisser Hinsicht kann man also tatsächlich von einer Art Wiederkehr der 3D-Bilder sprechen: Einer Wiederkehr nämlich, die den unbeweglichen Betrachter vor der starren, rechteckigen Leinwand wieder zum historisch kontingenten Akteur macht. Dies geschieht in einem zwar übergangshaften, aber trotzdem notwendigen Arrangement, also durch einen anhaltenden transformativen Prozess, dessen Gesamtlogik uns derzeit noch zu entgehen scheint, weshalb sein Verlauf weder normativ noch teleologisch klar bestimmt werden kann.
Mein zweiter Punkt betrifft ein erweitertes Verständnis der stereoskopischen Bildgestaltung. Demgemäß symbolisiert 3D paradoxerweise weiterhin die verschiedenen Eigenschaften, Gebrauchsweisen und Oberflächen dessen, was wir immer noch »Bildschirm« nennen, was aber