Bildwerte. Группа авторов
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Wer heute vor einem Computermonitor und einer Tastatur sitzt oder auf das Display seines Smartphones tippt, macht mit diesem bildlichen Arrangement nicht schon deutlich, ob er Daten speichert, überträgt oder bearbeitet und ob diese Daten bildlicher, sprachlicher oder numerischer Natur sind. Dass der Tiefencode all dieser Medienprozeduren aus den beiden armseligen Zahlen 0 und 1 besteht, ist allen bekannt und verwundert deshalb niemanden mehr. Indigniertes Kopfschütteln und narzisstische Kränkung stellt sich bei den Verfassern umfangreicher Texte ab und an ein, wenn sie den geringen Speicherplatz, den 500 Buchseiten benötigen, mit dem erheblichen Speicherplatz nur eines Ferienfotos vergleichen (um von dem eines kurzen Videoclips zu schweigen). Sie sind dann sofort darüber im Bilde, was zählt und Gewicht hat. Zahlen erzählen davon, wie sehr das Zählen das Erzählen dominiert. Digitale Bilder sind in dieser Konstellation das Weltkind in der Mitten. Sie verleihen den Wendungen »sich ein Bild machen« und »im Bilde sein« neuen Glanz. Wer sich auf digitale Bilder einlässt (und wie sollte man das heute vermeiden?), kann wissen, dass er zugleich beides kann: ungemein verlässlich (mit Millionen Pixel und in höchster Auflösung) registrieren, was der Fall ist, und sich zugleich ein Bild machen, also das Material resp. im Vergleich zur analogen Foto- und Filmtechnik das Nichtmaterial bearbeiten.
Und so können wir uns ein Bild der gegenwärtigen Medienlage machen und im Bilde sein. Die altehrwürdigen Oppositionen und Binarismen (wie Wahrnehmung – Kommunikation, Physis – Metaphysik, Bilder – Sprache etc.) sind medientechnisch überwunden. Wer sich ein Bild vom Buch der Welt, der Natur, der Schöpfung, der Geschichte etc. macht, kann zugleich ein neues Bild dieser Bücher schaffen. Wie unmetaphorisch diese Rede ist, macht die Gentechnologie schlagend deutlich. Medientechnisch den Humancode zu dechiffrieren, also zu lesen, heißt, ihn auch neu schreiben zu können. Wenn Menschen dem Buch der Bücher zufolge von Gott nach seinem eigenen Bilde geschaffen wurden, so können sie sich nun ein Bild ihrer selbst designen und dafür sorgen, dass sie diesem Bild gleich werden. Hans Blumenberg, also ein Philosoph, der die branchenübliche Wende zur analytischen Philosophie nicht mitvollzogen hat, hat immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Denken und Sprechen dies- oder jenseits von Metaphern unmöglich ist. Metaphern, so die nicht sonderlich subtile, aber eben doch solide und plausible Grunddefinition, sind Weisen bildlicher Rede. Zu den Eigentümlichkeiten der digitalen Medienlage gehört es, dass Metaphern in 0/1-Sequenzen keinen Raum haben.
Dennoch werden Metaphern und Metonymien, in denen Bilder und Worte ihr Rendezvous haben, nicht aufhören aufzuhören. Das belegt auch die legendäre Schlagzeile der Bildzeitung vom 20. April 2005, die die frohe Botschaft von der Wahl des deutschen Kardinals Joseph Ratzinger zum neuen Papst verkündete. »Wir sind Papst« lautete die schnell zum Kultzitat avancierte überdimensionale Titelzeile. »Unser Joseph Ratzinger ist Benedikt XVI« lautete der Unter- bzw. Obertitel. Schon eine Woche später, am 27. April 2005, wurde sich die Bildzeitung selbst historisch, als sie auf der ersten Seite titelte: »Eine Schlagzeile wird Kult«.4
Abbildung 2: Bildzeitung
Quelle: Bildzeitung vom 27. April 2005
Von Francis Bacons Gemälde Schreiender Papst unterscheidet sich die legendäre erste Seite der Bildzeitung vom 20. April 2005 (kein Kommentar zu den Assoziationen, die dieser Tag zumindest bei Älteren freisetzt) in vielfacher Hinsicht. »Wir sind Papst« – hier demontiert, wohl ohne dies recht zu wollen, ein Massenmedium, dessen Name schon kundtut, dass Bilder das eigentliche Sagen haben, in drei Worten die Position eines souveränen Letztbeobachters. Alle beobachten alle. Alle können sich ein Bild machen und eine Meinung bilden. So wie Millionen Pixel sich zu einem Bild konfigurieren, das sich unendlich bearbeiten lässt, so konfigurieren sich, die Metaphorik des berühmten Titelkupfers von Hobbes Leviathan ernst nehmend, Millionen Mediennutzer, Medienuser, Medienloser zu dem Letztbeobachter, von dem sie wissen, dass es ihn nicht gibt.
Abbildung 3: Frontispiz zur Erstausgabe von Thomas Hobbes: Leviathan.
Quelle: London 1651
Parabolisch
Was im Leben uns verdrießt,
Man im Bilde gern genießt
(vgl. Goethe-BA Bd. 1, S. 411)
Literatur
Büchner, Georg: »Lenz«, in: Henri Poschmann (Hg.), Georg Büchner; Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zwei Bänden, Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1992.
N.N., Das siebte Gebot, http://www.bildblog.de/564/das-siebte-gebot/
Von Goethe, Johann Wolfgang/Otto, Regine: Berliner Ausgabe Bd. 1, Poetische Werke, Berlin: Aufbau-Verlag 1965.
Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus, Logisch-philosophische Abhandlung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003.
Filme
The Draughtman's Contract (GB 1982, R: Peter Greenaway)
1 Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus, Logisch-philosophische Abhandlung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, (6.522), S. 111.
2 Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus, Logisch-philosophische Abhandlung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, (2.225), S. 17
3 Büchner, Georg: »Lenz«, in: Henri Poschmann (Hg.), Georg Büchner; Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zwei Bänden, Frankfurt am Main.: Deutscher Klassiker Verlag 1992. S. 249
4 http://www.bildblog.de/564/das-siebte-gebot/
Die »Rückkehr« der 3D-Bilder
Zur Logik und Genealogie des Bildes im 21. Jahrhundert
Thomas