Die Poesie des Biers 2. Jürgen Roth

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Die Poesie des Biers 2 - Jürgen Roth

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Augenblick, Metulczki an die Seite eines Willem Kalf oder eines Vermeer zu stellen, dem Gombrich attestierte, reine »Wunder« geschaffen zu haben. Die harmonischen Licht-Schatten-Kontraste, die Reflexe und Brechungen, die wie naturgegeben in sich vollendeten Farb-Form-Kompositionen, die »Körperlichkeit« der Gläser, Stühle, Tische und angeschnittenen Räume – all das läßt die »Trinkgedächtnisse« bisweilen photographisch wirken, was, wie man hört, in der vermaledeiten »Kunstszene« heute kein Malus mehr ist.

      »Dinge sichtbar zu machen, die schon sichtbar waren, aber nicht gesehen wurden« (Sandra Markewitz) – diesem Ziel galten Siegfried Kracauers Studien über die »Errettung der äußeren Wirklichkeit«. Metulczki setzt sie fort und ist dabei völlig glaubwürdig. Er hat jedes einzelne der zu sehenden Biere höchstselbst getrunken – und dabei vermutlich als allererster Maler das eidetische Bier entdeckt.

      »Eidos« bezeichnet bei Aristoteles, in Abgrenzung zur bloßen Materie (»hyle«), die »inseiende Form«, das Allgemeine am je besonderen Stofflichen. Das Wesen des Bieres wird geschaut, an Hand des angeschauten einzelnen Gegenstandes (Bierglases). Metulczkis Bier- Eidetik folgt dergestalt der von Edmund Husserl entwickelten phänomenologischen Methode der eidetischen Reduktion: des Erfassens evidenter Phänomene, die es der Intuition zufolge tatsächlich gibt. Durch reines Schauen, das »intentionale Erlebnis« unter Ausschluß aller Vorurteile (»Epoché«), erschließt sich die Wesenhaftigkeit der Dinge – respektive das Wesen (»Eidos«) des Bieres. Bierphänomenologie also ist Husserl zufolge: »Wesensschau des Gegebenen«.

      Da allerdings schwer zu sagen ist, was das Wesen des Bieres schlechthin ausmacht, ordert Metulczki immer wieder ein Glas Bier, schaut es schweigend an, photographiert es, trinkt es und malt es hinterher, in mehreren Schichten. Und wenn Ernst H. Gombrich angesichts der holländischen Meister erläutert: »Sie waren es, die uns gelehrt haben, das Malerische in der vertrauten Umgebung zu suchen«; sie »konnten ohne dramatische Effekte auskommen; sie malten einfach ein Stück Welt, wie sie es sahen« – dann sage ich: Metulczki, dieser »Hexenmeister« (Gombrich über Rembrandt), macht eine Welt, eine Wirklichkeit, eine Wesenhaftigkeit sichtbar, die bislang niemand gesehen hat und doch jeder kennt.

      Und wie er das macht, das ist ein Wunder, das bewundert werden soll. Nein, muß.

      Die sieben heiligen Schlucke

      »Trink es mit den Augen!« Fergal Murray, Braumeister im Stammhaus von Guinness in Dublin, hebt das Glas und nimmt einen Schluck. Dann setzt er es behutsam auf dem rötlich schimmernden Holztresen ab und sagt: »Weiche Textur. Es ist die weiche Textur.«

      Die weiche Textur. Die sei es. Das sei es, was die Biertrinker der Welt, unabhängig davon, welchen Alkoholgehalt das Guinness habe (in Afrika trumpft es, da die Leute nach »Impact« verlangten, mit acht Prozent auf), an jenem Stout schätzen, das die Gemeinde seiner Verehrer seit mehr als zweihundertfünfzig Jahren zum Schwärmen bringe, auch deshalb, weil man, ergänzt Murray, an Geschmacksmoden keinerlei Konzessionen mache. Brauer, bleib bei deiner Rezeptur, und Murray erläutert, es sei ihm sogar ausdrücklich untersagt, mit anderen als den glänzend bewährten Geschmackstönungen zu experimentieren.

      Das Guinness ist eine Weiterentwicklung des klassischen englischen Porters, eines dunklen, röstmalzigen Vollbieres, und dennoch ist Guinness eine urirische Angelegenheit. Sein Erfinder, besser: sein Schöpfer, Arthur Guinness, wird adoriert wie eine Art Nationalheiliger. Das zumindest suggerieren die öffentliche und die mit einem gewissermaßen unaufdringlichen Aplomb unterbreitete Meinung des Unternehmens, das nach wie vor in Dublins ältestem Arbeiterviertel produziert, in den Liberties, westlich des Cathedral Districts.

      Wir unterstellen Furgal Murray nicht, daß er schnöde werbliche Interessen verfolgt, wenn er uns zum Toast auffordert: »Gedenkt dieses Mannes! Gedenkt Arthur Guinness’! Nicht des Bieres! Welch ein Genie! Welch ein Genie!« Wir sind artig und nehmen den zweiten Schluck. »So schmeckt ein jahrhundertelang gewachsenes Erbe«, betont Murray noch einmal, und er hat ja recht. Erbe hin oder her, es schmeckt, quirlig, leicht sämig, solide im Körper, feinfühlig und gleichwohl stark bittergehopft, auf den Aromahopfen zur Abrundung kann man getrost verzichten. Es schmeckt bereits zur Mittagszeit, und zwar vorzüglich, zweifelsohne – was wir allerdings schon vorher wußten.

      Ein Guinness zu trinken ist ein gesamtsensorisches Erlebnis, ein komplexer Akt der Perzeption, versucht uns Murray zu vermitteln. Man müsse sehen, was ein Guinness ausmache, »ein Guinness-Trinker trinkt zuerst mit dem Auge, denn ein Guinness ist ein Kunstwerk«. Der Erschaffung des Kunstwerkes durch das Zapfen sei daher ein gerüttelt Maß an Aufmerksamkeit zu schenken. Man befolge also geflissentlich folgende sechs Schritte: 1) Das saubere Glas konzentriert beäugen. 2) Das Glas mit vier Fingern und dem Daumen umklammern. 3) Das Glas im Fünfundvierzig-Grad- Winkel unter den Zapfhahn halten und bis zum Rand füllen. 4) Das Glas absetzen, zwei Minuten nicht berühren und »dabei beobachten, wie das Bier zum Leben erweckt wird«, wie sich der cremige Schaum durch die erwachenden und aufsteigenden Bläschen zu bilden und zu stabilisieren beginnt. 5) Kurz bis zur Oberkante nachzapfen. 6) Glas auf den Tresen stellen.

      Und schließlich, 7): trinken – unbedingt in gerader Körperhaltung, den Ellbogen fünfundvierzig Grad abgewinkelt. Andernfalls entrate der Ritus des Trinkens der Würde und des Stolzes. Im übrigen, beendet Fergal Murray seinen Vortrag, werde ein Glas Guinness in exakt sieben gleichen Zügen geleert, was sich hinterher an sieben gleichmäßig angeordneten Schaumringen ablesen lassen müsse.

      Mit diesen unantastbaren Regeln im Gepäck machen wir uns auf die Suche nach geeigneten Stätten, um dem Ritual der sieben heiligen Schlucke zu frönen. In der Grafton Street, Dublins Haupteinkaufsstraße, die den Park St. Stephen’s Green und das Trinity College an der Nassau Street verbindet, säumen Bettler und Immigranten, die mit Piktogrammen auf Pappdeckeln auf Fastfood- und Kleidungsläden hinweisen, die herausgeputzten Häuserzeilen. Ja, »überall herrscht tiefe Depression« (Spiegel), aus dem »keltischen Tiger« Irland ist, man hört es – obschon jüngst irgendwer Signale der Besserung wahrgenommen haben will – unablässig, eine »getretene Katze« (Spiegel) geworden, »täglich macht eine Kneipe in Irland dicht« (taz), die »Konsumphantasien« (Le Monde diplomatique) sind passé, heute laufe man wieder durch das altbekannte »Armenhaus« (taz).

      Wir biegen von der Grafton Street rechts ab in die Duke Street. Linker Hand blitzen goldene Lettern auf einer schwarzen Fassadenvertäfelung: The Duke. Einmal, ein einziges Mal über Dublin schreiben, ohne James Joyce zu erwähnen? Eher denken wir bei der Sahara an Orangenbäume.

      Joyce kehrte regelmäßig im Duke ein, einem großräumigen Pub mit zahlreichen Sitznischen und weitgeschwungenen Tresen. Vom Trinity College brauchte er zu Fuß zwei Minuten hierher. Es ist halb eins, wir trinken unser erstes public Pint Guinness. Es kostet 4,70. Irland ist das teuerste Land der Eurozone. Das verstehe einer.

      Das Glas schmiegt sich in die Hand. Vier Finger und der Daumen halten es im Klammergriff. Das Auge, das mittrinken soll, schaut den seidigsten Bierschaum aller Zeiten. Das Ohr vernimmt ein saumleises Bitzeln. Die Nase erhascht die noble Bittere. Die Zunge gibt sich den weichen Wirbeln des rubinroten Zaubertranks hin. Gottgefällig rinnt der ruhmreiche Rotz den Hals hinunter.

      Der Geist eines Getränks, er offenbart sich, wer hätte es gedacht, im Trinken, jedoch zudem im Blick, im Rückblick darauf, was man gerade getan hat. Ein angetrunkenes Glas Guinness, das vor einem thront, erfüllt einen mit majestätischer Zufriedenheit, und es fordert stumm: Komm, weiter geht’s, aber mit der Ruhe!

      »Enjoy Guinness sensibly«, ermahnt uns ein Schriftzug auf der Markise unter dem Markenlogo mit der Harfe, das Dublin beherrscht wie die Gier die Wall Street. Sensibly, logisch, genieße mit Verstand, nicht mit Gefühl. Ralf Sotscheck, seit 1985 Irland-Korrespondent der taz, gibt in seinem Dublin-Buch Die blaue Tür mit der Nummer sieben (Wien 2009) preis, man müsse im Pub nur den Zeigefinger heben, dann erhalte man in kürzester Zeit ein

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