Die Poesie des Biers 2. Jürgen Roth

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Die Poesie des Biers 2 - Jürgen Roth

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mehreren Brandkatastrophen wurde Goldkronach heimgesucht, die letzte ereignete sich 1836. Danach baute man den Ort im zurückhaltend eleganten Stil des Biedermeier wieder auf. Die Sandsteinhäuser an der leicht geschwungenen Hauptstraße und rund um den Marktplatz hinterlassen mit ihren weitgehend einheitlichen Traufhöhen, ihren Sprossenfenstern und ihren Gauben den Eindruck von bodenständiger Geschmackssicherheit.

      Am malerischen Marktplatz residiert der – neben unserem Hotel – letztverbliebene Gasthof, die Goldene Krone. Das Wirtshaussterben auf dem Land ist einer der elendsten Kulturvernichtungsvorgänge unserer Tage. Die Gastwirtschaften Glückauf, Beck, Rosenau und Roter Adler schlossen in den achtziger und neunziger Jahren. »Die ganze Wirtshauskultur funktioniert nemmer.« Inge Bär, eine unprätentiös selbstbewußte, schelmisch lächelnde Frau, führt den prachtvollen Schwarzen Adler im Ortsteil Nemmersdorf. Die Wirtsstube ist umwerfend sorgsam konserviert, Braten, Gemüseeintöpfe, Bratwürste und selbstverständlich selbstgemachte Klöße bereitet sie auf einem Holzherd zu, weder Kroketten noch Pommes kommen ihr ins Haus. Frau Rausch vom Nordbayerischen Kurier nickt.

      Die Feuerwehr und der Sportverein hätten ihre eigenen Lokale, erklärt Inge Bär. »Früher war der Freitag der Fortgehtag, das ist auch vorbei.« Samstagfrüh laufe es noch zwei Stunden, da rücken die Jäger und der Bulldogstammtisch an, und der sonntägliche Mittagstisch erfreue sich großer Gunst. Doch sonst?

      Um dem Jammer zu trotzen, pflanzen wir uns in den Straßenbiergarten der Krone. Die Linden an der vor langer Zeit kanalisierten, den Marktplatz teilenden Kronach wiegen ihre Zweige zart, die Steineinfassungen lauschen dem wohltemperierten Rauschen des Wassers. Nie schien, scheint’s, die Sonne schöner als jetzt, und »in des Goldes Scheine« (Wagner) erfüllt uns eine geradezu »närrische Freude« (Wutz), das Maisel’s-Weißbier vor uns, dem wir sogar den Apostroph verzeihen.

      Nun behauptet zwar der Förderverein für Roggen-Kultur in Weißenstadt, das unter seiner Ägide just Ende Juni eröffnete, man spitze die Ohren, Pädagogisch-Poetische Informationszentrum für Roggenkultur Rogg-In dokumentiere, daß der Roggen das »eigentliche Gold des Fichtelgebirges« sei. Allein, da beißt weder eine Fichtelgebirgsmaus einen Zwirn durch, noch kann man uns gelegentlichen Einfaltspinseln dergleichen weismachen. Das Gold des Fichtelgebirges, das niemand, irgendeinem Alberich wehrend, bewachen, sondern das man einfach bestellen muß, ist das Bier, Punkt – oder allenfalls zudem der Hafer am Rande von Goldkronach, genaugenommen ein Haferfeld, das sich im gnädigen Frühabendlicht wie verträumt und selig schlummernd an einen sanft geformten Hang schmiegt.

      »Bratwöscht?« – »Jawoll.« Acht Herren hocken friedvoll drei Tische weiter, einer von ihnen, ein glücklich geerdeter, daseinstüchtiger älterer Mann, schlendert irgendwann zu uns herüber. »Sie ham sich den richtigen Platz ausg’sucht.« Er grinst wie ein Bub’. »Ein schattiges Plätzla, des is’ vernünftig. Sonst brennt’s dir des Resthirn weg.« Gülden. Jedes Wort gülden.

      »Das Bier auf seine schönste Weisse«, steht auf dem Aschenbecher. Drüben werden die leuchtenden Pokale wie Monstranzen ins wacker ermattende Abendlicht gehoben. Beiläufig werfen die Bäume Schatten. Der Hausrotschwanz auf der Dachrinne macht einen Knicks, als verneige er sich vor alledem. »Genau.« – »Jawoll.« –»Genau so is’ es nämlich.«

      Am nächsten Morgen Bierschinken und Göttinger Wurst zu Kaffee und Brötchen, lediglich echtes Landbrot fehlt auf dem Büffet. Die fröhlichen Damen des Hauses plaudern, gänzlich unfränkisch, ausgelassen. Item itzo diese höchst wohlige Gestimmtheit: Es genügte vollauf, »nie mehr begehrend als die Gegenwart« (Wutz), den ganzen Tag damit zu verbringen, in die Luft zu gukken, neben sich zwei, drei Flascherl Bier mit Schraubverschluß. Die säkulare Vita contemplativa, sie wäre das Naheliegendste und Einfachste, und man spürte endlich einmal die Zeit, ohne daß sie bedrohlich erschiene. Gegen Abend fielen schließlich die »Goldfäden« (Wutz) der wandersmüden Sonne aufs Turmkreuz von St. Erhard, vorm sacht wolkendurchwebten Himmelsfond.

      Doch Goldkronach ist ja nicht zuletzt Alexandervon-Humboldt-Stadt, dem sollte man Rechnung tragen. Der nachmalige Universalwissenschaftler und »Wissenschaftsfürst«, dessen Ceterum censeo die Freiheit (»Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt«) und der ein inständiger Anhänger der Französischen Revolution war, ward 1792 als Bergbauingenieur von Berlin aus für fünf Jahre nach Franken entsandt, um den Erzabbau in den Fürstentümern Ansbach und Bayreuth zu reorganisieren. 1793 beförderte man ihn zum Oberbergmeister, im nämlichen Jahr trat er seinen Dienst in Goldkronach an.

      Humboldt war bestrebt, »dieser romantischen Gegend nur einen kleinen Teil ihres Glanzes wiederzugeben«. Bereits im Januar 1794 ließ er seiner Begeisterung in einem Brief die Zügel schießen: »Mit dem Bergbau geht es überhaupt hier jetzt vorwärts. In Goldkronach besonders bin ich glücklicher, als ich es je wagen durfte zu glauben.«

      Am Rande Goldkronachs wurde seit 1363 Goldbergbau betrieben, der erste schriftliche Nachweis des Namens Goldtkranach stammt aus dem Jahr 1398. Die Blütezeit der Goldgewinnung aus leicht zugänglichen Bodenschichten dauerte bis ins 15. Jahrhundert an (manche Quellen sprechen vom 16. Jahrhundert), die Schächte im Goldberg, im heutigen Stadtteil Brandholz, wo vermutlich das größte Goldvorkommen Deutschlands lag, hießen »Name Gottes«, »Unverhofft Segen Gottes«, »Schickung Gottes«, aber auch »Fauler Nickel« oder »Goldener Hirsch«.

      Humboldt war – wie Jean Paul und dessen Figur des Maria Wutz (er »war allen Menschen gut«) – ein wahrer Philanthrop. Im Sinne seines Credos, »das Studium der physischen Natur mit dem der moralischen zu verknüpfen«, rationalisierte er nicht nur die Arbeitsabläufe im seit Mitte des 17. Jahrhunderts maroden Bergbau, sondern er verbesserte die Sicherheit der Hauer, Steiger und Fördermänner, führte die Bergbauhilfskasse und das »Büchsengeld« für Witwen und Waisen ein und gründete Ende 1793 in Steben auf eigene Kosten die Erste Königlich Freie Bergschule.

      Der Goldbergbau verdankte Humboldt eine merkliche Renaissance, die ein gutes halbes Jahrhundert anhielt (endgültig Schicht im Schacht war allerdings erst 1925). Trotz seines Enthusiasmus gab er sich jedoch keinen übermäßigen Illusionen hin. Man dürfe »nichts von der Natur erzwingen wollen, was sie nicht leisten kann«, und die Abholzung der Wälder nannte er einen »Menschenunfug […], der die Naturordnung stört«.

      Im vor zehn Jahren eröffneten, liebevoll gestalteten Goldbergbaumuseum im ehemaligen Forstamt an der Bayreuther Straße, in dem Humboldt ab und an Quartier nahm, werden in sieben übersichtlichen Abteilungen Werkzeuge, Grubenrisse, Befahrungsprotokolle, Karten, Modelle, ein nachgebauter Stollen, Gesteinsproben aus goldhaltigen Quarzgängen und anderen Montanformationen, Zeugnisse der Goldverarbeitung und viele aufschlußreiche Dokumente mehr präsentiert. Gold, erfährt man, widersteht Alkalien und Säuren, ist unzerstörbar, verliert seinen Glanz nie und symbolisiert daher Macht, Göttlichkeit und die Ewigkeit. Vielleicht bestrafte darob der Goldkönig in der Goldkronacher Goldbergsage die Gier der Menschen, die sich mit dem Edelmetall zu schmücken gedachten, mit schlimmer Not und Armut.

      Vor etwa zwanzig Jahren fand in Goldkronach eine Goldwasch-WM statt, ins Leben gerufen vom damaligen, wir scherzen nicht, Bürgermeister Blechschmidt. Auf sie folgte die seither alle zwei Jahre ausgetragene Deutsche Goldwaschmeisterschaft auf dem Goldberg. Der sei, schmunzelt der zuvorkommende Rathausangestellte, der uns durchs Museum geleitet, auf Grund der »durchschlägigen Stollen« ein »Schweizer Käse«, mithin ein Beispiel für jene »durchsichtigen Berge voller Goldadern«, die wiederholt Topographien der Jean Paulschen Traumwelten sind.

      Am Humboldtweg auf dem Goldberg liegen die zwei Besucherstollen »Schmutzlerzeche« (zugänglich seit 1985) und »Mittlerer Name Gottes« (seit 1993), die wie das Museum sonn- und feiertags geöffnet sind. Es empfiehlt sich, frei von Platzangst zu sein, schlüpft man in die engen Gänge hinein und versucht, ein Goldfinserl zu finden, eines der nach wie vor dort dösenden, zwischen einem halben und einem Millimeter kleinen Goldkörner.

      Die

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